Bertha bei Rheinmetall

von Jan Michaelis

Sie kommt am Bahnhof an. Kleid, Hut, hochgesteckte Haare: sofort habe ich sie erkannt, denn tatsächlich sieht sie noch aus wie auf den berühmten Abbildungen, die inzwischen die österreichische zwei Euro Münze und eine deutsche Briefmarke im Wert von 200 Cent ziert. Mir fällt ihr trauriger Blick auf, der auf mich aber nicht resigniert, sondern kämpferisch wirkt.

Ich verbeuge mich zu einem Handkuss und begrüße sie herzlich. Mein Respekt ist groß und fast schmeichlerisch sage ich: "Verehrte Baronesse. Als Schriftstellerin haben Sie zum ersten Mal original Dokumente in Ihre Romane und Texte montiert, das war ausgesprochen innovativ und ist eine herausragende Erneuerung der darstellerischen Mittel. Meine untertänigste Hochachtung."

Sie lacht: "Untertanen gab es doch nur im Kaiserreich. Und so viel weiß ich schon von heuer, dass Sie in einer republikanischen Zeit leben."

Sie zieht ihre Hand zurück und ihre feinen Handschuhe nesteln an ihrem Halstuch, als sie sagt: "Eben noch war ich in Wien. Diese schnellen Züge, alle Achtung!" An der Rückseite des Düsseldorfer Bahnhofs darf ich sie empfangen auf dem ihr gewidmeten Bertha-von-Suttner-Platz.

Ich weise sie auf das Straßenschild hin: "Ich zolle Ihnen Respekt." "Danke, aber ich interessiere mich nicht für diese Eitelkeiten, sondern nur für die Wirkung meines Werkes." Ich nenne den Titel: "Die Waffen nieder!" - "Die Waffen nieder! Sag`s vielen - vielen." - "Sie sind so bescheiden verehrte Freundin." - "Meine Freunde nennen mich Sophia." - "Gut, dann: Sophia!"

"Und jetzt zu Rheinmetall!", fordert sie, hakt sich bei mir ein: "Wo ist denn die nächste Droschkenkutsche?" - "Wir nehmen ein Taxi!", fast führt sie mich zum Taxistand, wo wir einsteigen und sie sagt: "Bei Rheinmetall muss die Botschaft: `Die Waffen nieder!` laut erklingen." Ich pflichte ihr bei: "Die Waffen nieder! Sag`s vielen - vielen. Und wie soll ich Sie bei Rheinmetall vorstellen? Baronesse." - "Mit meinem Pseudonym: Jemand." - "Nun, aber Herr Papperger wird fragen, ob diese `Jemand` nicht einen Namen hat." - "Dann mit dem anderen Pseudonym: B. Oulot." - "Gut, das will wohl angehen."

Das Taxi fährt nach Derendorf und zu der Verwaltung von Rheinmetall. Hier demonstrieren Aktivisten gegen die Panzergeschäfte mit Sprechchören: "Legt den Leo an die Kette!" Bertha von Suttner ist begeistert und stimmt einem Aktivisten zu, der ihr eine Unterschriftenliste hinhält: "Genau. Wer die Opfer nicht schreien hören, nicht zucken sehen kann, dem es aber, sobald er außer Seh- und Hörweite ist, gleichgültig ist, dass es schreit und zuckt - der hat wohl Nerven, aber - Herz hat er nicht."

Wir haben einen Termin beim Rheinmetallchef, wo ich und eine Schriftstellerkollegin aus Wien angekündigt sind. Ich stelle sie als Frau Oulot vor und sie spricht eine Stunde mit dem Menschen, der mit Waffen Geschäfte machen will, und versucht ihm zu erklären: "Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden. Und Panzer gegen Panzer anrollen zu lassen? Ich dachte immer: von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen. Mir scheint, Deutschland liefert die Waffen für viele Kriege."

Der Chef von Rheinmetall setzt auf Waffen, wenn er dagegenhält: "Wenn mein künftiger Schwiegersohn in den Kampfeinsatz nach Afghanistan muss, will ich, dass er wenigstens gut ausgerüstet ist." Doch Sophia, wie ich sie nennen darf, beharrt: "Der nächste Krieg wird von einer Furchtbarkeit sein wie noch keiner seiner Vorgänger. So warnte ich. Der Weltkrieg 1914, der sich mit einer Waffenruhe bis 1945 weiter satt fraß an Millionen Toter, richtete auch Schaden an den Seelen von Soldaten und Zivilisten an." Papperger ist 49 Jahre alt. Er hat diesen Krieg nicht erlebt. Er hört nicht auf die Aktivisten, sondern auf die Aktionäre als Manager eines Dax-Unternehmens.

Wenn Panzer nach Saudi Arabien geliefert werden, gibt es womöglich gute Gründe, die geheim sind, denn keiner will die Angst vor einem Krieg schüren. Bertha von Suttners Botschaft fordert trotzdem in Derendorf: "Die Waffen nieder!"

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Jan Michaelis, geboren1968 in Heilbronn, lebt in Düsseldorf. Er ist Mitglied im Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, Wien, den Bertha von Suttner mitbegründete.