Chronik einer angekündigten Demo-Verhinderung: Davos 2003

von Heiner Busch

Mehr Offenheit hatten die Behörden des Kantons Graubünden im Vorfeld des diesjährigen WEF (World Economic Forum) versprochen. 2001 war die Demonstration in Davos ganz verboten worden. 2002 hatte sich die Privatveranstaltung der Mächtigen und ihrer Groopies nach New York verflüchtigt. In diesem Jahr sollte es erstmals eine bewilligte Großdemonstration geben. Die Polizei hat das verhindert.

Dass es nicht einfach würde, in Davos zu demonstrieren, war lange vor dem 25. Januar klar. Bereits im Spätherbst 2002 kalkulierten die Behörden die zusätzlichen Sicherheitskosten für das WEF mit 13,5 Millionen Franken (rd. 7,5 Mio Euro) - aufzuteilen zwischen der Eidgenossenschaft, dem Kanton Graubünden (je drei Achtel), der Gemeinde Davos und dem WEF (je ein Achtel). Finanziert wurde damit ein einzigartiger Aufmarsch der Staatsmacht. Zwischen 1.200 und 2.000 PolizeibeamtInnen aus der gesamten Schweiz - genaue Zahlen gibt es nicht - wurden in und um den Wintersportort zusammengezogen. 1.300 Milizsoldaten - bewaffnet mit dem armee-üblichen Sturmgewehr - sorgten für den Objektschutz, 320 Berufssoldaten des Festungswachtkorps für den Schutz angeblich gefährdeter Personen. Die schweizer Luftwaffe kümmerte sich um den Schutz des WEF vor terroristischen Angriffen von oben, sechs Wasserwerfer und 77 Polizisten aus Bayern und Baden-Württemberg halfen auf der Erde mit.

Bereits Ende Dezember hatte der "Dienst für Analyse und Prävention" (DAP), die eidgenössische Staatsschutzzentrale, über 100 Einreisesperren gegen potenzielle ausländische Demonstrierende verhängt. Wieviele es am Ende waren, gibt der DAP nicht bekannt. Unter Verschluss blieb auch die Zahl derjenigen, gegen die die Bündner Kantonspolizei ein Aufenthaltsverbot aussprechen wollte. Auch hier kamen die Informationen vom DAP, und sie betrafen keineswegs nur die einschlägig Verurteilten, sondern auch Personen, die nur "polizeilich erfasst" waren.

Das Viehgatter in Fideris
Davos ist im Winter nur von einer Seite aus, nämlich über das Landwassertal erreichbar, an dessen unterem Ende das Dorf Landquart liegt. Bis dahin fahren die Züge der Schweizerischen Bundesbahn. Wer mit der Bahn weiter will, muss umsteigen auf die Rhätische Bahn (RHB). Eine halbe Bahnstunde vor Davos, in Fideris, hatte die Polizei eine spezielle Kontrollstelle eingerichtet, die sämtliche Demonstrierenden passieren sollten: RHB-Kurzzüge sollten dort auf einem eigens errichteten Bahnsteig halten, der auf einen von Baugittern und dem Fluss begrenzten Platz mündet, der nur auf einer Seite durch ein Zelt verlassen werden konnte. In diesem Zelt waren Absperrgitter zu zwölf Schleusen angeordnet, an deren Ende Angestellte der Zürcher Flughafenpolizei die Demonstrationswilligen nach "gefährlichen Gegenständen" durchsuchen sollten. Dahinter würden polizeiliche "Szenekenner" die "potenziell Gewalttätigen" herausfischen und ihnen das Aufenthaltsverbot eröffnen. Etwa 100 Meter danach sollte ein weiterer Zug nach Davos bereit stehen. Die OrganisatorInnen der Demo, das Oltener Bündnis, hatte dieses Kontrollszenario eine Woche vor dem Demo-Termin in Augenschein genommen und beschlossen: "Durch dieses Viehgatter gehen wir nicht". Man werde in Fideris verhandeln. Wenn die Polizei keinen kontrollfreien Zugang nach Davos ermögliche, dann werde eben in Landquart demonstriert.

Am Samstag treffen die meisten WEF-GegnerInnen mit dem "Davos Social Express", einem Sonderzug der SBB, der von Genf über Bern und Zürich das Land durchquert, auf dem von der Polizei umstellten Bahnhof Landquart ein. Rund 200 von ihnen steigen gegen 10 Uhr als Delegation des Bündnisses in einen RHB-Zug. Um 10.30 Uhr hält der Zug in Fideris. "Wir sind die Delegation des Oltner Bündnisses. Wir steigen nicht aus und gehen nicht durch die Kontrollen," wird per Megafon angesagt. Kurz darauf halten auf der Straße vor dem Kontrollgelände Busse der Gewerkschaft Bau und Industrie. Die GewerkschafterInnen solidarisieren sich mit den Forderungen des Bündnisses. Es beginnt ein mehrstündiger Verhandlungsprozess mit dem Einsatzleiter der Polizei und dem offiziellen Beauftragten der Bündner Behörden, dem Davoser Landrat Hans Peter Michel. Gegen 12.30 Uhr zeichnet sich ein Kompromiss ab: nur Gepäckkontrollen und zwar im Zug, die Polizei verzichtet auf Personenkontrollen, niemand wird von polizeilichen "Szenekennern" herausgepickt.

Bevor die KontrolleurInnen den Zug besteigen, ist es der Einsatzleiter der Polizei, der vom Oltner Bündnis eine Zusage verlangt, dass sich auch die Leute in den nächsten Zügen an den Kompromiss halten. Ein zweites Mal will er nicht verhandeln. Die Bündnisleute telefonieren nach Landquart. Der Deal ist perfekt. Michel verkündet ihn per Megafon. Um 12.59 Uhr fährt der Zug los.

Zwanzig Minuten später orientiert der Einsatzleiter die Medien und widerruft. Dass die Polizei wieder auf Kontrollen in den Schleusen besteht, ist längst klar, bevor der nächste Zug kurz nach 14 Uhr eintrifft. Die Entscheidung hat weder damit zu tun, dass er vollbesetzt ist, noch dass angeblich der "schwarze Block" mitreist. Alles Verhandeln nützt nichts, die Polizei will weder im Zug noch auf dem Bahnsteig kontrollieren. Um 15.17 Uhr fährt der Zug mit den DemonstrantInnen nach Landquart zurück.

Landquart - Wollishofen - Bern
Im immer noch umstellten Bahnhof Landquart warten noch über 3.000 Leute. Nachdem einige versuchen, die parallel zu den Gleisen verlaufende Autobahn zu blockieren, setzt die Polizei Tränengas, Gummigeschosse und Wasserwerfer ein. Gegen 17 Uhr stellt die SBB einen Zug zur Verfügung, der im Zürcher Vorort Wollishofen und schliesslich in Bern hält. Auch dort emfängt die Polizei die DemonstrantInnen mit Tränengas und Gummigeschossen, Sachbeschädigungen dienen ihr als willkommener Vorwand. Ihr einziges Ziel ist, keine Demonstration in die Innenstadt vordringen zu lassen, Ansammlungen aufzulösen und in Richtung des autonomen Kulturzentrums Reitschule abzudrängen. An einer Pressekonferenz am Sonntag spricht der Berner Polizeidirektor von "Terroristen der übelsten Sorte". Die Reitschule, schon immer ein Dorn im Auge des rechtsbürgerlichen Scharfmachers, sei das Zentrum der "Militanz".
 

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