NPT-Verhandlungen im Mai 2015

Den Weg für Fortschritt ebnen

von Ray AchesonMia Gandenberger

Fast 70 Jahre nach den Bombardierungen von Hiroshima und Nagasaki und 45 Jahre, nachdem der Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen (NPT) in Kraft getreten ist, trafen sich Delegationen der unterzeichnenden Staaten vier Wochen lang vom 27.4. bis 22.5.2015 zur 9. Überprüfungskonferenz. Am Ende der Konferenz verabschiedeten die Delegationen nicht den Entwurf eines Ergebnisdokuments (1). Nachdem sie zunächst andere Länder dazu gedrängt hatten, den Entwurfstext anzunehmen, wurde er schließlich durch die USA, Großbritannien und Kanada zugunsten Israels blockiert, einer nicht-unterzeichnenden Partei, die Atomwaffen besitzt. Die einmonatige Überprüfungskonferenz demonstrierte so die Dringlichkeit und Notwendigkeit, andere Mittel zu finden, Atomwaffen zu verbieten und abzuschaffen.

Die ganze Konferenz über betonten die Staaten immer wieder die zentrale Rolle des NPT für die nukleare Abrüstung und Nichtweitergabe. Er hat effektiv dafür gesorgt, Proliferation zu verhindern, hat eine Norm gegen die Anschaffung von Atomwaffen etabliert und eine Infrastruktur geschaffen, die Inspektionen und Verifikation durch die Sicherheitssysteme der Internationalen Atomenergie-Organisation ermöglicht. Aber er war unwirksam als ein Instrument der Abrüstung.

Es hat Reduzierungen bei den weltweit vorhandenen Atomwaffen gegeben. Nach der Zeit des exzessiven Rüstungswettlaufs zwischen den USA und der Sowjetunion in den 1980er Jahren haben die USA ihre Vorräte um rund 72% auf 7.300 Sprengköpfe reduziert; Russland um 68% auf 8.000 und Großbritannien um 52% auf 180 Sprengköpfe (2). Das französische Arsenal ist mehr oder weniger gleich geblieben, jedoch das chinesische ist im Zeitraum des vergangenen Überprüfungszyklus leicht angestiegen (3).

Aber wie viele NPT-Unterzeichner betont haben, geht es bei der in Artikel VI ausgesprochenen Verpflichtung nicht um Reduktionen. Sofern solche Reduktionen nicht Teil eines “Maßnahmenrahmens sind, der atomare Abrüstung erreichen wird”, genügen sie nicht, um das Mandat von Artikel VI zu erfüllen (4). Außerdem werden Reduktionen durch die Modernisierungsprogramme unterminiert, die in allen nuklear bewaffneteten NPT-Unterzeichnerstaaten betrieben werden (5).

Zudem bleiben einige Länder, die Atomwaffen besitzen, außerhalb des NPT. Nach Schätzungen der Federation of American Scientists (6) besitzt Indien 90-110 Atomwaffen, Israel rund 80 und Pakistan 100-120. Appelle an alle drei, ihre Atomwaffenprogramme aufzugeben und sich dem NPT als nicht-atomwaffenbesitzende Staaten anzuschließen, klingen hohl, denn Unterzeichnerstaaten betreiben entgegen den Bestimmungen des Vertrags nuklearen Handel mit diesen Ländern. Und eines dieser Länder war in der Lage, das Abschlussdokument zu Fall zu bringen, mit Hilfe seiner Verbündeten, die dem NPT angehören.

Der Ablauf der Konferenz
Wenn die einmonatige Überprüfung der Umsetzung des Vertrags und Versuche, weitergehende Aktivitäten zu entwickeln, nicht schon genügend klargemacht hätten, zu welchem tiefen Ausmaße der Vertrag die privilegierten atomwaffenbesitzenden Staaten bevorzugt, dann wäre es durch den Schluss der Konferenz sicherlich deutlich geworden (7).

“Das Versagen beim Nahen Osten lässt uns in einer perversen Situation zurück”, sagte Südafrika in seinem Schlussstatement, in der “ein Staat außerhalb des Vertrages Erwartungen an uns hat und von uns erwartet, nach Regeln zu spielen, die er selbst nicht akzeptiert, und Kontrollen hinzunehmen, denen er sich selbst nicht unterwerfen will” (8). Das könnte nicht nur einfach Israels Einfluss auf das Ergebnis der Überprüfungskonferenz beschreiben, sondern auch die Haltung der Atomwaffenbesitzer unter den Unterzeichnerstaaten gegenüber dem Rest.

Das Verhalten dieser Staaten war im Laufe des Monats zeitweilig feindselig, zeitweilig machten sie sich über nicht-nukleare Staaten lustig, die konkrete Maßnahmen verlangten, um die Implementierung von Abrüstungsverpflichtungen und -versprechen zu sichern (9). Ihr legaler Status als “Atomwaffen-Staaten” im Vertrag “wird routinemäßig übersetzt in eine Sprache des permanenten Anspruchs, legaler Rechte und internationaler politischer Legitimität”, schreibt Dr. Rick Ritchie von der Universität New York (10).

Es war dieser Anspruch, der zu den bellizistischen Interventionen der Atomwaffenstaaten während der gesamten Überprüfungskonferenz 2015 führte. In ihren Reaktionen auf den ersten Entwurf des Abschnitts über Abrüstung in der Schlussresolution sagten die meisten dieser Staaten, dass er inakzeptabel sei und völlig gestrichen werden müsse. Sie lehnten jede Formulierung ab, die andeutete, dass ihre Waffen inakzeptabel seien oder die ihr Versagen offenlegte, die legalen Verpflichtungen einzuhalten, sie abzuschaffen. Sie wehrten sich auch gegen Formulierungen, die neue legale Instrumente betrafen. Die US-Delegation argumentierte entschieden, dass es keine rechtliche Lücke im NPT gebe, und dass effektive Maßnahmen nicht auf multilaterale, legal bindende Handlungen beschränkt seien. “Wir können akzeptieren, dass die letzte Phase des nuklearen Abrüstungsprozesses innerhalb eines vereinbarten legalen Rahmens stattfinden sollte”, gestand Botschafter Wood zu. Aber “nichts in Artikel VI verlangt Zeitrahmen oder spezifische Bedingungen, um die schließliche Eliminierung von Atomwaffen zu erreichen” (11). Frankreich und Großbritannien lehnten ebenfalls alle Versuche ab, Zeitrahmen für Abrüstungsmaßnahmen im Ergebnisdokument festzuhalten, sowie jede Formulierung, die einen Bedarf an neuen legalen Instrumenten betraf. Großbritannien sprach sich direkt gegen einen Vertrag aus, der Atomwaffen ächten würde (12). Die atomwaffenbesitzenden Staaten wehrten sich auch gegen die Idee, dass irgendwelche neuen Beweise über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen vorgelegt würden, oder dass das Risiko von versehentlicher oder beabsichtigter Anwendung von Atomwaffen gestiegen sei (13).

Am Ende bekamen diese Staaten ihren Willen. Trotz aktiver Opposition von Seiten vieler nicht-nuklearer Länder reflektierte der fertige Text in erster Linie die Sicht einer widerspenstigen Minderheit (14). Staaten, die für Abrüstung eintreten und den Text nicht guthießen, beschlossen, das Schlussdokument nicht zu blockieren, weil es verbunden war mit einer Vereinbarung, endlich eine Konferenz abzuhalten, bei der es um eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten gehen sollte. Aber es war dieser Teil des Textes, den Israel ablehnte. Und so blockierten zwei der drei atomwaffenbesitzenden Staaten, nachdem sie Wochen lang für ihre Auffassung bei den Formulierungen zu Abrüstung gekämpft hatten, das Dokument am Ende doch.

Während des Schlussplenums argumentierte eine große, überregionale Gruppe von 49 Staaten in einem Statement, das von Österreich vorgetragen wurde, dass die Diskussionen  während der Überprüfungskonferenz und der aus ihnen resultierende Text die “Dringlichkeit [demonstrierten], sich der inakzeptablen  humanitären Konsequenzen von Atomwaffen anzunehmen”, aber dann “dramatisch zu kurz sprangen, einen glaubhaften Fortschritt beim Füllen der rechtlichen Lücke zu machen” (15).

Ein Hoffnungsschimmer
Das echte Ergebnis des Überprüfungszyklusses ist die Humanitäre Verpflichtung (Humanitarian Pledge), die Österreich während der Dritten Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen im Dezember 2014 initiierte. Zu Beginn der Überprüfungskonferenz hatte dieser Pledge nur knapp über 70 Unterstützer. Bis zum 22. Mai 2015, dem Ende der Konferenz, hatten 107 (16) Staaten sich verpflichtet, “effektive Maßnahmen zu identifizieren und zu ergreifen, um die rechtliche Lücke zu füllen, Atomwaffen zu verbieten und zu eliminieren” (17).

Diese Staaten - und jene, die die Verpflichtung nach dieser Konferenz unterzeichnen werden – müssen sie als Basis für einen neuen Prozess nehmen, ein legal bindendes Instrument zu schaffen, das Atomwaffen verbietet. Solch ein Instrument kann mit großen praktischen und normativen Wirkungen (18) von jenen verhandelt werden, die atomare Abrüstung wollen, selbst ohne die Atomwaffenbesitzer.

Das ist, was die breite International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) vorschlägt. Diese Kampagne, die 424 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 95 Ländern vertritt, hat mit Regierungen, internationalen Organisationen, AkademikerInnen, KünstlerInnen und AktivistInnen gearbeitet, um die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen ins Bewusstsein zu rufen, und ruft alle Staaten auf, einen Ächtungsvertrag auszuhandeln.

Während der NPT Überprüfungskonferenz arbeiteten Campaigners von ICAN im Raum und in den Hauptstädten hart – und mit großem Erfolg – daran, das Momentum für nukleare Abrüstung zu verstärken, das aus dem besseren Verständnis der humanitären Auswirkungen herrührt. Sie drängten Regierungen dazu, die Humanitäre Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen, gaben überzeugende Statements ab und kämpften hart um ein bedeutsames Ergebnis in der Frage der Abrüstung. Die Women’s International League for Peace and Freedom, eine von ICANs Partnerorganisationen und Mitglied des SteeringCommittees von ICAN, beobachtete und analysierte die gesamte Konferenz. Ihr Abrüstungsprogramm Reaching Critical Will produzierte eine tägliche Zeitung mit Informationen, Analysen und politischen Vorschlägen und stellte ein Archiv mit Statements und offiziellen Dokumenten bereit, die nirgendwo sonst öffentlich verfügbar sind.

Am 70. Jahrestag beginnen
Dieser Prozess, ein Ächtungsabkommen auszuhandeln, sollte ohne Verzögerung beginnen. Der 70. Jahrestag der Bombardierungen von Hiroshima und Nagasaki ist bereits als der angemessene Zeitpunkt identifiziert worden, an dem der Prozess anfangen sollte. Dies ist eine historische Gelegenheit, eine Gelegenheit, die von jenen ergriffen werden sollte, die die Vorstellungskraft und den Mut haben, aktiv eine bessere Welt für uns alle zu schaffen.

 

Anmerkungen
1 NPT/CONF.2015/R.3.

2 S. Snyder, Conference on Disarmament – Civil Society Forum, PAX-No Nukes, 19 March 2015; http://nonukes.nl/conference-on-disarmament-civil-society-forum/ .

3 Nordkorea, das sich nicht länger an den NPT gebunden sieht, besitzt geschätzt bis zu zehn Atombomben.

4 Siehe z.B. Irlands Statement an das Main Committee I, 2015 NPT Review Conference, New York, 15 May 2015, http://www.reachingcriticalwill.org/images/documents/Disarmament-fora/np... .

5  Assuring destruction forever: 2015 edition, Reaching Critical Will of the Women’s International League for Peace and Freedom, April 2015.

6 Status of World Nuclear Forces, Federation of American Scientist, 28 April 2015; http://fas.org/issues/nuclear-weapons/status-world-nuclear-forces/ .

7 Ray Acheson, “Uprising,” NPT News in Review, Vol. 13 No. 17, 25 May 2015, http://www.reachingcriticalwill.org/disarmament-fora/npt/2015/nir/10049-... .

8 South Africa statement to closing plenary, 2015 NPT Review Coference, New York, 22 May 2015.

9 Ray Acheson, “Uprising,” op. cit.

10 N. Ritchie, On Trident, party politics trumps international treaty obligations, Left foot forward, May 2015; http://leftfootforward.org/2015/05/on-trident-party-politics-trumps-inte... .

11 Statement der USA an das Main Committee I, 2015 NPT Review Conference, New York, 11 May 2015.

12 Ray Acheson, “How to be unacceptable in an NPT outcome document,” NPT News in Review, Vol. 13, No. 8, 12 May 2015, http://www.reachingcriticalwill.org/disarmament-fora/npt/2015/nir/9887-1... .

13 ebda.

14 Ray Acheson, “¡Ya basta! It’s all about the ban,” NPT News in Review, Vol. 13, No. 16, 22 May 2015, http://www.reachingcriticalwill.org/disarmament-fora/npt/2015/nir/10037-... .

15 Joint Closing Statement, vorgelegt am 22 Mai 2015 an die NPT Überprüfungskonferenz durch Österreich für 49 Staaten, http://reachingcriticalwill.org/images/documents/Disarmament-fora/npt/re... .

16 S. www.icanw.org/pledge

17 Siehe http://www.reachingcriticalwill.org/images/documents/Disarmament-fora/vi... .

18 A treaty banning nuclear weapons: developing a legal framework for the prohibition and elimination of nuclear weapons, Reaching Critical Will and Article 36, April 2014, http://www.reachingcriticalwill.org/images/documents/Publications/a-trea... .

(Alle Internetseiten letztmalig am 25.5.2015 aufgerufen.)

 

Ray Acheson und Mia Gandenberger arbeiten für Reaching Critical Will (RCW), das Abrüstungsprogramm der Women’s International League for Peace and Freedom. Ray ist seine Leiterin, Mia seine Programmmanagerin.

Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer

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