Yes, we can, but we don’t do it.

Die Enttäuschungsgeschichte vom Streben nach einer atomwaffenfreien Welt

von Andreas Buro

Es war eine große Überraschung. Das norwegische Nobel-Komitee beschloss, US-Präsident Barak Obama den Friedensnobelpreis 2009 zu verleihen. Das Komitee hatte dabei vor allem Obamas Vision für eine Welt ohne Atomwaffen und das Versprechen, die Atomwaffen und ihre Rolle zu reduzieren, im Auge. Das gäbe den Menschen der ganzen Welt Hoffnung auf eine bessere Welt. Es bezog sich auf Obamas Worte, dass „nun die Zeit für uns alle gekommen ist, unseren Teil der Verantwortung zu übernehmen, um eine globale Antwort auf globale Herausforderungen zu finden“.

Der US-Präsident hatte kurz nach seiner Wahl in Prag eine Aufsehen erregende Rede gehalten. „Ich halte heute eindeutig und mit Überzeugung an Amerikas Verpflichtung fest, sich für Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen einzusetzen.“ Er wolle deshalb die nuklearen Atomwaffenarsenale verringern und sich gegen die weitere Verbreitung von Atomwaffen einsetzen. Den Tschechen versprach er, den Raketenschild gegen iranische Bedrohungen weiter aufzubauen. Selbstkritisch räumte er ein, es sei naiv anzunehmen, das Ziel einer atomwaffenfreien Welt sei schnell zu erreichen – vielleicht nicht einmal zu seinen Lebenszeiten. Doch solange es Atomwaffen gäbe, würden die USA ihre nuklearen militärischen Fähigkeiten aufrecht erhalten.

An diese Rede knüpften sich große Hoffnungen, wie die Verleihung des Friedensnobelpreises zeigte. Obamas Rede stützte sich auf die Vorarbeit der Initiative ‚Global Zero’, die sich seit 2008 die Realisierung des Zieles einer atomwaffenfreien Welt zur Aufgabe gemacht hatte. Es waren PolitikerInnen der ersten Reihe, die sich lange für die Ausweitung der nuklearen Abschreckung im West-Ost-Konflikt eingesetzt hatten. Sie hatten nun auch – etwa 50 Jahre nach dem Aufkommen der weltweiten Friedensbewegung – die Gefährlichkeit der nuklearen Aufrüstung erkannt. Sie entwickelten einen Rahmenplan, der mit einer starken Reduzierung der Atomwaffen der USA und Russlands beginnen und in etwa 20 Jahren zum Ziel führen sollte.

In der Tat wurde in der Amtszeit von Obama die Zahl der nuklearen Sprengköpfe der anerkannten Atommächte von 22.365 im Jahr 2010 auf 16.075 im Jahr 2014 vermindert. Hintergrund ist der 2011 in Kraft getretene Vertrag "New START". Demnach müssen Russland und die USA die Zahl ihrer strategischen Atomwaffen je auf 1550 Stück reduzieren. Diesem Ziel kommen die Länder näher: Nach SIPRI-Angaben sind die USA noch in Besitz von 1920 solcher sofort einsetzbarer Sprengköpfe (insgesamt: 7300), Russland hat etwa 1600 dieser Waffen (8000). SIPRI schreibt dazu, die USA habe ihre vertraglichen Verpflichtungen bislang vor allem durch die Reduktion von „Phantomwaffen“ erfüllt. Das sind Trägersysteme, die nicht mehr Kernwaffen zugeordnet sind. Russland habe im Wesentlichen veraltetes Material verschrottet. Das klingt nur nach Kostenersparnis an überflüssigem Material und ändert an dem tatsächlichen Bedrohungspotenzial wenig. Doch diese Zahlen verzerren die Realität in mehrfacher Weise: New START reduziert die gezählten Waffen zwar auf je 1550, faktisch können jedoch deutlich mehr bleiben, weil jeder Bomber nur als eine Waffe zählt, aber 10 bis 20 Raketen oder Bomben tragen kann, und zusätzlich die Reservepotenziale erhalten bleiben. So hat Obama in seiner ganzen Amtszeit die Zahl der Atomwaffen bisher nur um wenige hundert Sprengköpfe reduziert.

Quer zu dieser wenig eindrucksvollen Reduzierung lief und läuft ein entgegengesetzter Prozess der Unterminierung des Abschreckungsgleichgewichts zwischen den USA und Russland. Er kann mindestens bis auf die Kündigung des ABM-Vertrages (Anti-Ballistic Missiles) durch den damaligen US-Präsidenten Bush jr. im Dezember 2001 zurückgeführt werden. Der ABM-Vertrag von 1972 sollte eine gegenseitig gesicherte Verwundbarkeit zwischen den Machtblöcken herstellen, indem nur an zwei Standorten jeweils 100 Abwehrraketen gegen Atomangriffe in jedem Land aufgestellt werden durften. Die USA haben den ABM-Vertrag gekündigt, um das Raketenabwehrsystem (NMD) weiträumig installieren zu können. Das bedeutete eine gravierende Verschiebung des Gleichgewichts der Abschreckung.

Ein weiteres Element der Verschiebung ist die Ausweitung der NATO gen Osten seit dem Ende des so genannten Kalten Krieges. Am Ende des West-Ost-Konflikts versicherten US-Präsident Bush sen., US-Außenminister Baker und nicht zuletzt NATO-Generalsekretär Wörner dem Staatspräsidenten der UdSSR Michael Gorbatschow, die Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts würden nicht Mitglieder der NATO werden. Die NATO würde also nicht an die Grenzen der Sowjetunion vorrücken. Nichts davon wurde eingehalten. Die EU und im Gefolge die NATO expandierten gen Osten. Nach 1999 traten Polen, Tschechien, Ungarn, nach 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien und nach 2009 Albanien und Kroatien der NATO bei. Fast alle sind Länder, die einst zur Sowjetunion oder zum Warschauer Pakt gehörten. Die Bemühungen um weitere NATO-Beitritte sind damit nicht beendet. Es ist kaum zu bezweifeln, dass der Kreml diese NATO-Einkreisung als Bedrohung empfindet.

Das dritte Element der Fortführung des West-Ost-Konflikts durch die USA ist die Installierung von Raketenabwehrsystemen in Mitteleuropa. Sie sollen angeblich gegen iranische Raketen, die es, mit Atomwaffen bestückt, gar nicht gibt, eingesetzt werden. Der Kreml verbindet mit ihnen die Befürchtung, die USA würden eine Erstschlagfähigkeit gegenüber Russland anstreben. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die US-Pläne für konventionelle Langstreckenwaffen, die geeignet wären, russische Interkontinentalraketen vor dem Abschuss zu zerstören.

Gegenwärtig tritt nun der angebliche Marsch in eine atomwaffenfreie Welt in eine neue Phase ein. Einige der vorhandenen Atomwaffen auch im Westen erreichen ihr technisches Verfallsdatum. Eigentlich eine gute Gelegenheit, sie zu verschrotten. Doch das Gegenteil wird betrieben. Sie werden modernisiert. Das Modernisierungsprogramm wird auf 10-12 Mrd. Dollar geschätzt. Freilich wird auch Russland entsprechend modernisieren.

Auch die Atombomben in Büchel werden nicht abgezogen, wie es der deutsche Bundestag 2010 mit großer Mehrheit gefordert hat, sondern sollen ebenfalls modernisiert werden. Dazu das federführende Auswärtige Amt: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der Nato eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Das wäre durch eine Politik der einseitigen Schritte gefährdet.“ Wenn die USA also bald wie geplant ihre in die Jahre gekommenen Atombomben gegen die neuentwickelten B61-12 austauschen sollten, werden auf deutschem Boden die modernsten Nuklearwaffen der Welt lagern – für den Abwurf durch deutsche Jagdbomber.

Der einst mit dem Nobelpreis gefeierte Weg in die atomwaffenfreie Welt hat eine Kehrtwende gemacht und ist auf täuscherischen Umwegen wieder in der Abschreckungs- und Overkill-Welt gelandet. Dies offiziell selbstverständlich unter dem Vorzeichen, unsere Sicherheit zu erhöhen. Doch sicher ist nur die wieder wachsende Bedrohung, während die atomwaffenfreie Welt am Horizont untergeht.

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