Neuer Gesetzentwurf zu Migration

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

von Thomas Hohlfeld

Am 3.12.2014 beschloss das Bundeskabinett den „Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“. Bundesinnenminister de Maizière erklärte dazu: „Das Gesetz hat eine einladende und eine abweisende Botschaft. Beide sind Teil einer Gesamtstrategie“. Das stimmt. Seit langem schon dominiert im Bereich der Migrationspolitik eine Nützlichkeitslogik, die Erleichterungen für diejenigen vorsieht, „die uns nützen“, und Verschärfungen für diejenigen, „die uns ausnützen“ (Günther Beckstein, 2000).

Der Minister nahm entsprechend Bezug auf die Einstufung dreier Westbalkan-Länder als sichere Herkunftsstaaten im September 2014, die mit den Stimmen des grün-rot regierten Baden-Württemberg im Bundesrat erzielt worden war – im Kuhhandel gegen Verbesserungen für bereits hier lebende Flüchtlinge, etwa beim Arbeitsmarktzugang. Perfide wurde nach dem Motto ‚gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge‘ der schnelle Rauswurf der Roma vom Westbalkan damit begründet, dass dies erforderlich sei, „um die Zustimmung zur ... Aufnahme von Schutzbedürftigen in Deutschland zu sichern“ (de Maizière). Dabei steht die gesetzliche Unterstellung eines „Asylmissbrauchs“ im eklatanten Widerspruch zur massiven Ausgrenzung und zur systematischen Diskriminierung der Roma in ihren Herkunftsländern. Den Abwehrstrategen im Bundesinnenministerium (BMI) war wohl bewusst, dass die bloße Umetikettierung eines Landes als „sicher“ die Roma noch lange nicht von einer Flucht nach Deutschland abhalten wird. Der aktuelle Gesetzentwurf enthält deshalb weitere Elemente einer gegen die Flüchtlinge vom Balkan gerichteten Strategie. Doch hierzu später mehr.

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD war eine „Weiterentwicklung“ des Ausweisungsrechts und der „Vorschriften zur Durchsetzung von Aufenthaltsbeendigungen“ vereinbart worden – eine euphemistische Umschreibung für forcierte Abschiebungen. Im Gegenzug sollte es eine „alters- und stichtagsunabhängige [Bleiberechts-]Regelung“ geben. Was dann jedoch im April 2014 in Form eines Referenten-Entwurfs des BMI das Licht der Öffentlichkeit erblickte, charakterisierte Heribert Prantl zu Recht als „das Schärfste und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist“. Weder mit anderen Ministerien noch mit der SPD-Fraktion war dieser Wunschkatalog der Grausamkeiten aus Sicht der Abschiebungsbürokratie abgestimmt worden. Nach einer breiten Kritik in der Öffentlichkeit und seitens der Verbände wurden in einer aufwändigen Ressortabstimmung noch einige Korrekturen am Ursprungsentwurf vorgenommen.

Das Gesetzespaket
Was genau ist im vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzespaket enthalten? Packen wir ausgewählte Einzelstücke einmal aus:

Zur „einladenden Botschaft“ gehört die Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge „bei nachhaltiger Integration“. Anders als alle bisherigen gesetzlichen Regelungen soll dieses Bleiberecht alters- und stichtagsunabhängig gelten. Bislang führten insbesondere Antragsstichtage dazu, dass sich die Diskussion um ein Bleiberecht für langjährig Geduldete nach einigen Jahren stets wiederholte. Immer wieder wuchsen (Zehn-) Tausende neu in den Status der „Kettenduldung“ hinein, zurzeit werden etwa 100.000 Menschen lediglich geduldet, 35.000 von ihnen seit mehr als sechs Jahren. Eine Aufenthaltserlaubnis sollen Geduldete künftig nach einem sechs- bzw. achtjährige Aufenthalt (Einzelpersonen / Familien) erhalten, wenn zugleich – entsprechend der Nützlichkeitslogik – eine „überwiegende“ Lebensunterhaltssicherung aus eigener Erwerbstätigkeit nachgewiesen werden kann. Für Menschen, die systematisch gesetzlich ausgegrenzt wurden (Arbeitsverbote, Beschränkung der Erwerbstätigkeit und Bewegungsfreiheit, unsicherer Aufenthalt, kein Zugang zu Sprachkursen, isolierende Unterbringung in Massenunterkünften usw.), ist die Anforderung einer – und sei es „überwiegenden“ – eigenständigen Lebensunterhaltssicherung eine hohe Hürde. Das Gesetz sieht deshalb Ausnahmeregelungen vor, etwa bei einer günstigen Prognose oder bei alten, kranken oder behinderten Menschen oder für Studierende, Familien mit Kindern, Alleinerziehende und pflegende Angehörige in ihrer besonderen Lebenssituation. Umgekehrt gibt es auch Ausschlussgründe, etwa bei falschen Angaben zur Identität oder Staatsangehörigkeit oder wenn „bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen“ nicht mitgewirkt wird. Zwar sollen entsprechende „Verfehlungen“ in der Vergangenheit unberücksichtigt bleiben, doch angesichts zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe wird erst die ausländerbehördliche Praxis zeigen, inwieweit potenziell Berechtigte hierdurch vom Bleiberecht wieder ausgeschlossen werden. Eine klare, humanitäre Regelung sieht anders aus. In der Gesetzesbegründung wird davon ausgegangen, dass rund 30.000 geduldete Flüchtlinge sich nicht im bürokratischen Gestrüpp der Regelung verfangen und ein Bleiberecht beanspruchen können – dies scheint eine überzogene Einschätzung zu sein, zumal vergleichbare Prognosen in der Vergangenheit stets zu hoch ausgefallen waren.

Positiv ist die angestrebte Verbesserung für Flüchtlinge, die nicht als Asylberechtigte oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden, aber aus anderen Gründen als schutzbedürftig angesehen werden, etwa viele syrische Kriegsflüchtlinge. Sie sollen künftig ähnliche Rechte in Bezug auf die Aufenthaltsverfestigung und den Nachzug von Familienangehörigen haben wie anerkannte Flüchtlinge – eine sinnvolle und überfällige Anpassung der Rechtslage an die Realität, da auch diese so genannten subsidiären Schutzberechtigten im Regelfall nicht in absehbarer Zeit in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Einer jahrelangen Forderung entspricht auch, dass die Aufnahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten („resettlement“) künftig auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und die Rechte der Betroffenen verbessert werden sollen. Schließlich werden die Aufenthaltsrechte von Opfern des Menschenhandels gestärkt, jedoch bleibt es bei der problematischen Anknüpfung an eine Verwertbarkeit ihrer Aussage in einem Strafverfahren gegen die Menschenhändler als Voraussetzung für die erste Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis.

Die „abweisende Botschaft“
Doch nun zur „abweisenden Botschaft“ des Gesetzentwurfs. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass die neuen Regelungen zur Abschiebungshaft wie ein Inhaftierungsprogramm für Schutzsuchende wirken könnten. Derzeit können Asylsuchende faktisch nicht in Haft genommen werden, um sie in ein anderes EU-Land zurückzuschicken, das für die Asylprüfung zuständig sein soll. Denn die seit dem 1.1.2014 geltende Dublin-III-Verordnung fordert gesetzliche Konkretisierungen dazu, wann von einer Fluchtgefahr als Voraussetzung für die Haft ausgegangen werden kann – solche fehlen bislang im Aufenthaltsgesetz, wie der Bundesgerichtshof Mitte 2014 feststellte. Es dürfte ein zentrales Anliegen des BMI sein, die Inhaftierung von Schutzsuchenden zum Zwecke ihrer Zurückweisung in andere EU-Mitgliedstaaten schnell wieder zu ermöglichen. Die vorgesehenen Inhaftierungsgründe sind so umfassend, dass nahezu alle auf dem Landweg eingereisten Flüchtlinge darunter fallen dürften. Ein solcher Schutz vor statt von Flüchtlingen ist ein zutiefst menschenrechtswidriger und flüchtlingsfeindlicher Ansatz. Im Kern entspricht er der Drittstaatenregelung von 1993, mit der ein cordon sanitaire um die Bundesrepublik Deutschland errichtet wurde, um Schutzsuchende ohne Asylprüfung abweisen zu können. Das geltende EU-Asylsystem ist allerdings faktisch längst gescheitert: Weder gibt es ein gerechtes System der Verantwortungsteilung, noch einheitliche Standards in den Ländern der EU. Viele rechtlich mögliche Überstellungen von Asylsuchenden in andere EU-Länder werden in der Praxis zudem nicht vollzogen.

Gesetzlich neu vorgesehen ist ein „Ausreisegewahrsam“ zur erleichterten Durchsetzung einer konkret bevorstehenden Abschiebung. Inhaftierungen ohne richterlichen Beschluss, wie noch im Referenten-Entwurf vorgesehen, wird es zwar nicht geben, doch dafür soll künftig eine Abschiebungshaft zum Beispiel auch damit begründet werden können, dass „erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt“ wurden. Das zeugt von einer besonderen gesetzgeberischen Niedertracht, denn angesichts der perfektionierten Abschottung der EU können Flüchtlinge europäischen Boden ohne teure Schleuserdienste im Regelfall nicht erreichen.

Weiterhin sollen EU-weit geltende Einreise- und Aufenthaltsverbote verstärkt ausgesprochen werden können, etwa wenn einer Ausreiseaufforderung nicht Folge geleistet wurde (dies betrifft nahezu alle Geduldeten) oder nach einer Asyl-Ablehnung von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten oder bei mehrfach vergeblichen Asylanträgen. Unausgesprochen, aber erkennbar richten sich diese Verschärfungen insbesondere gegen die Gruppe der asylsuchenden Roma aus Westbalkan-Ländern, die derzeit etwa 30 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland ausmachen. Faktisch wird damit ein völlig gesetzestreues Verhalten und die – wenn auch vergebliche – Berufung auf das Grundrecht auf Asyl sanktioniert. Das ist inakzeptabel und ähnelt den menschenrechtswidrigen Strafvorschriften, mit denen etwa Serbien die vergebliche Asylsuche im Ausland verfolgt, aus Angst vor einer Wiedereinführung der Visumpflicht.

Der Gesetzentwurf enthält auch eine grundlegende Neufassung des Ausweisungsrechts. Das geltende schematische System von Ist-, Soll- und Kann-Ausweisungen ist in der Praxis seit langem kaum noch anwendbar. Europäisches Recht fordert strikte Einzelfallprüfungen und verbietet pauschale Ausweisungen zu Abschreckungszwecken (dies gilt für Unionsangehörige, aber auch für die große Gruppe der türkischen Staatsangehörigen). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zudem aus dem Recht auf Privatleben nach Art. 8 der EMRK unter bestimmten Bedingungen Abschiebungsverbote für „faktische Inländer“ abgeleitet. Doch obwohl die Rechtsprechung Lockerungen des Ausweisungsrechts aus einer menschenrechtlichen Perspektive verlangt, soll die vorgesehene Neustrukturierung des Ausweisungsrechts laut Gesetzesbegründung „unter Umständen“ zu mehr Ausweisungen führen. 

Die Nützlichkeitslogik des Gesetzentwurfs manifestiert sich auch in einem neuen Aufenthaltstitel zum Zweck der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen – gemeint sind natürlich solche Qualifikationen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt benötigt werden. Auf der anderen Seite wird durch die verschärften Einreiseverbote und Inhaftierungsregelungen suggeriert, es gebe einen verbreiteten „Asylmissbrauch“, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. Die Einteilung in vermeintlich ‚gute‘ und ‚schlechte‘ MigrantInnen wird damit weiter verschärft. Das stärkt vorhandene Ressentiments in der Bevölkerung, die sich insbesondere gegen asylsuchende Roma richten. Unerwarteter Widerspruch zu dieser in der Politik dominierenden Linie kam jüngst von Kardinal Reinhard Marx. Er lehnte eine Unterscheidung von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen als „wenig hilfreich“ ab. Eine genaue Trennung sei „nie zu ziehen“, auch viele abgelehnte Asylsuchende könnten nicht einfach in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Doch genau das hat die Bundesregierung insbesondere mit den Roma-Flüchtlingen vor. Das Gesetz soll bis Juni 2015 verabschiedet werden.

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Hintergrund
Thomas Hohlfeld ist Politikwissenschaftler und seit 2006 Fachreferent der Bundestagsfraktion DIE LINKE für die Themen Migration, Integration und Flüchtlinge, zudem langjähriges Mitglied im Arbeitsausschuss des Komitees für Grundrechte und Demokratie. 2006 promovierte er zur Verwaltungspraxis des Umgangs mit Flüchtlingen („Strategien der Ausschaffung – Eine Archäologie der Flüchtlingsbürokratie“). Von 1992 bis 2006 arbeitete er in zwei Asylberatungsstellen in Berlin, vorwiegend mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien.