Pax Christi-Bischöfe aus den USA appellieren: Atomwaffen passen nicht zu dem Frieden, den wir für das 21. Jahrhundert suchen

Die Moralität der nuklearen Abschreckung

Hintergrund
Hintergrund

Zum 15. Jahrestag des Hirtenbriefes "Die Herausforderung des Friedens - Gottes Verheißung und unsere Antwort" im Juni 1998 haben Pax Christi-Bischöfe aus den USA erneut zur atomaren Bedrohung und insbesondere zur Atompolitik der USA Stellung genommen. Wir dokumentieren den von Regina Hagen für Pax Christi, Deutsche Sektion, übersetzten Text mit dem Titel "Die Moralität der nuklearen Abschreckung" in einer gekürzten Fassung.

In den letzten 15 Jahren haben wir, die katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten, insbesondere im Hinblick auf den Kalten Krieg, widerstrebend zugegeben, daß Kernwaffen möglicherweise eine gewisse moralische Berechtigung haben, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die nukleare Abrüstung angestrebt wird. Heute sind wir zu der aufrichtigen Überzeugung gelangt, daß diese Berechtigung inzwischen fehlt.

1983 hat die Katholische Bischofskonferenz der USA in dem Hirtenbrief "Die Herausforderung des Friedens - Gottes Verheißung und unsere Antwort" um eine Antwort auf die einzigartige moralische Herausforderung gerungen, vor die uns die Kernwaffen stellen. Vor fünfzehn Jahren haben wir festgestellt, daß der Einsatz von Kernwaffen moralisch nicht zu rechtfertigen ist, da diese Waffen ein unvorstellbar großes Zerstörungspotential haben und unterschiedslos töten. (...)

Jetzt bekräftigen wir diese Bewertung. Kernwaffen dürfen niemals eingesetzt werden. Dabei spielt es keine Rolle, wie groß die Provokation sein mag oder welche militärischen Ziele verfolgt werden.

Vor 15 Jahren teilten wir die Einschätzung von Papst Johannes Paul II., daß unter den damaligen Umständen der Besitz dieser Waffen zur Abschreckung gegen den Einsatz von Kernwaffen durch andere moralisch annehmbar sein könnte, allerdings nur vorübergehend und nur, wenn die Abschreckung mit deutlichen Schritten zu einer fortschreitenden Abrüstung gekoppelt ist. (...)

1998 stellt sich die globale Situation deutlich anders dar als noch vor wenigen Jahren. Das Kernwaffenarsenal wurde im Kalten Krieg als äußerstes Verteidigungsmittel in einem ideologischen Konflikt entwickelt und aufrechterhalten (...). Kernwaffen und die Politik der gegenseitig gesicherten Zerstörung (Mutually Assured Destruction) wurden als unausweichliche Folge dieses speziellen Kampfes hingenommen.

Inzwischen hat sich die Sowjetunion aufgelöst. Die USA unterstützen heute den demokratischen Nachfolgestaat der Sowjetunion, die Russische Föderation, bei der Beseitigung eben jener Kernwaffen, die noch vor kurzem zu unserer Zerstörung bereitstanden. Dennoch haben die Waffen des Kalten Krieges, die im Verlauf dieses Kampfes angehäuft wurden, den Kampf selbst überlebt und suchen heute nach neuen Rechtfertigungen und nach neuen Aufgaben.

Allerdings brachte das Ende des Kalten Krieges auch neue Hoffnung. Die ganze Welt ist sich einig in den konkreten Bemühungen, die Kernwaffen zu bannen, so wie zuvor schon die biologischen und chemischen Waffen und kürzlich die Antipersonenminen. (...) Darüber hinaus hat auch der Heilige Stuhl die Kernwaffen deutlicher verurteilt und ihre Abschaffung verlangt.

Wir anerkennen diese neue Situation und stimmen dem Heiligen Stuhl zu, der sich wie folgt geäußert hat: "Wenn es möglich ist, biologische Waffen, chemische Waffen und jetzt auch Landminen abzuschaffen, so muß dies auch mit Kernwaffen möglich sein. Keine andere Waffe bedroht den Frieden, den wir für das 21. Jahrhundert herbeisehnen, so sehr wie die Kernwaffe. Wir sollten uns durch die Größe dieser Aufgabe nicht davon abhalten lassen, alle Anstrengungen zu unternehmen, die für die Befreiung der Menschheit von dieser Geisel erforderlich sind."

Leider wurden die politischen Umwälzungen in der Nachfolge des Kalten Krieges nicht von gleichermaßen weitreichenden Veränderungen in der militärischen Planung bezüglich der Entwicklung und Stationierung von Kernwaffen begleitet. Für uns besteht kein Zweifel, daß die momentane Politik der USA kein entscheidendes Engagement für die fortschreitende nukleare Abrüstung vorsieht. Ganz im Gegenteil: Die nukleare Einsatzdoktrin wurde seit dem Kalten Krieg ausgeweitet und schließt jetzt neue Aufgaben ein, die weit über die bisherige Rolle der Abschreckung vor einem nuklearen Angriff hinausgehen.

Die USA behalten sich das Recht auf einen Ersteinsatz von Kernwaffen vor, einschließlich vorbeugender Angriffe auf Länder, die selbst keine Kernwaffen besitzen. "Flexible Zielplanungsstrategien" richten sich gegen Länder in der Dritten Welt; es gibt inzwischen eine neue Anordnung, gemäß der Kernwaffen vorbeugend oder als Antwort auf den Einsatz chemischer und biologischer Waffen oder bei einer Bedrohung US-amerikanischer Interessen eingesetzt werden können. Die erweiterte Rolle, die der nuklearen Abschreckung der USA zugewiesen wurde, ist nicht annehmbar.

Damit die notwendige Glaubwürdigkeit erhalten bleibt, die für die Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung nötig ist, sind die USA momentan dabei ihren Kernwaffenkomplex auszubauen. Gemeinsam haben das US-amerikanische Energieministerium (Department of Energy) und das Verteidigungsministerium (Department of Defense) das sogenannte "Stockpile Stewardship and Management-Programm" erarbeitet (wörtlich: Uberwachung und Verwaltung der Lagerbestände). Dabei handelt es sich um ein umfangreiches und vielfältiges Programm zur Modernisierung des Kernwaffenkomplexes, das gewährleisten soll, daß Kernwaffenforschung, -entwicklung und -tests bis weit ins nächste Jahrhundert hinein gewährleistet sind. (...)

Gegenwärtige Schätzungen gehen davon aus, daß das Stockpile Stewardship Programm in den nächsten zwölf Jahren 60 Milliarden US-Dollar kostet. Eine solche Investition in ein Programm, das die Möglichkeit zum Entwerfen, Entwikkeln, Testen und Bereithalten von Kernwaffen optimiert, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die USA (wie auch die anderen Kernwaffenstaaten, die ebenfalls an diesen neuen Test- und Entwicklungsmethoden arbeiten) überhaupt nicht vorhaben, mit der "fortschreitenden Abrüstung" voranzukommen, und schon gar nicht, diese Waffen komplett abzuschaffen.

Anstelle fortschreitender nuklearer Abrüstung werden wir Zeugen der Institutionalisierung von nuklearer Abschrekkung. Die kürzlich ausgegebene strategische Anweisung des US-Präsidenten (Presidential Decision Directive) zur Kernwaffenpolitik, die auszugsweise im Dezember 1997 bekannt wurde, macht dies nur zu klar. Die Direktive beweist, daß die USA die Kernwaffen auch weiterhin als Eckpfeiler für die strategische Landesverteidigung ansehen. Sie macht deutlich, daß die Rolle dieser Waffen erweitert wurde und jetzt die Abschrekkung von Drittweltländern einschließt, die selbst keine Kernwaffen besitzen, außerdem die Abschreckung gegenüber chemischen und biologischen Waffen und ganz allgemein den Schutz nicht näher definierter vitaler Interessen der USA im Ausland. (...)

Das ist eindeutig nicht die Politik des Übergangs, der wir 1983 widerwillig unsere moralische Zustimmung gaben. Ganz im Gegenteil: Hier offenbart sich genau das Vertrauen in die nukleare Abschreckung als einer "langfristigen Grundlage für den Frieden", die wir in unserem Hirtenbrief, "Die Herausforderung des Friedens" entschieden ablehnten. Führt diese Politik, die fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit etabliert wird, nicht dazu, daß sich unser Land weit vom Ziel der vollständigen Abschaffung der Kernwaffen entfernt, und zwar genau in dem Moment, an dem die Bemühungen der Weltgemeinschaft für diese Abschaffung an Schwung gewinnen?

Aufgrund der entsetzlichen Folgen eines möglichen Waffeneinsatzes und der gestiegenen Wahrscheinlichkeit dieses Einsatzes halten wir es nun für zwingend, klar und deutlich die Stimme dagegen zu erheben, daß sich die Politik nach wie vor auf die nukleare Abschreckung verläßt.

Dabei folgen wir dem Aufruf von Papst Johannes Paul II., dessen Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen sich im Oktober 1997 wie folgt äußerte: "Dieses Komitee (das 1. Komitee der Vereinten Nationen) muß seine Bemühungen intensivieren, zu Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention aufzurufen. Die Kernwaffenstaaten, die sich solchen Verhandlungen verweigern, müssen verurteilt werden, da sie mit ihrem Festhalten an überholten Argumenten für die nukleare Abrüstung die leidenschaftlichen Anstrengungen der Menschheit sowie die Meinung der höchsten juristischen Autorität in der Welt ignorieren. Die Menschheit steht vor den schwerwiegendsten Konsequenzen, wenn die Welt von einem durch Kernwaffen repräsentierten Militarismus beherrscht wird, anstatt dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen, für das der Internationale Gerichtshof einsteht. Kernwaffen passen nicht zu dem Frieden, den wir für das 21. Jahrhundert suchen. Es gibt keine Rechtfertigung für sie. Sie sind zu verdammen. Der Nichtverbreitungsvertrag ist nur zu retten, wenn sich alle Beteiligten einmütig zur vollständigen Abschaffung der Kernwaffen verpflichten. Dies ist eine moralische Herausforderung, eine juristische Herausforderung und eine politische Herausforderung. Dieser vielfältigen Herausforderung muß mit dem Einsatz unserer Menschlichkeit begegnet werden."

Es folgen die Unterschriften von 75 katholischen Bischöfen der USA.

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