Die neue Militärstrategie der USA – Herausforderungen und Chancen

von Jürgen Heiducoff

Unter dem Titel „Amerikas Pazifisches Jahrhundert“ erschien in der Novemberausgabe 2011 des US-Magazins „Foreign Policy“ ein Artikel von Außenministerin Hillary Clinton. „Die Zukunft der Politik wird in Asien … entschieden werden und die Vereinigten Staaten werden direkt im Zentrum des Geschehens sein.“ – so lautet die dominante Leitthese. 1 Eine breit verteilte militärische Präsenz der USA im Raum zwischen dem Pazifischen und dem Indischen Ozean biete große Vorteile, so Clinton. So würden die Vereinigten Staaten besser positioniert sein, um humanitäre Missionen zu unterstützen und mit den Partnern robuster gegen Bedrohungen für den regionalen Frieden und Stabilität vorzugehen. Die USA wollten Partner, die anderer Auffassung zu Reformen und zu besserer Regierungsführung seien und die zum Schutz von Menschenrechten und politischen Freiheiten auffordern. Der Beitrag schließt mit dem Ausblick ab, dass Amerika für die nächsten 60 Jahre in der asiatisch-pazifischen Region präsent und dominant bleiben werde.

Die USA wollen mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln den größten Kontinent ihren eigenen strategischen Zielen unterordnen. Dazu suchen sie Verbündete und bilden Allianzen. Dies geschieht durch Kooperation, Partnerschaft sowie militärischen Druck. US-Flottenverbände operieren unweit der Territorialgewässer Chinas. Der Ring amerikanischer Militärbasen von Korea über Okinawa und Guam bis Pakistan, Afghanistan und Kirgisien umschließt China. Die Stationierung von Marines in Australien hat begonnen.

Asien und der pazifische Raum sind den US-Militärs nicht fremd. Dort haben Amerikaner Kernwaffen gegen die japanische Zivilbevölkerung eingesetzt, als Japan schon am Boden lag. Da sind im Namen von Freiheit und Demokratie brutale Kriege geführt worden - in Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak. Amerikanische Waffengänge waren stets von technologischer Überlegenheit und nicht selten von Terror und der Verletzung des Kriegsvölkerrechtes bestimmt. Und dennoch – die Fähigkeit zum asymmetrischen Kampf und die moralische Überlegenheit vor allem des vietnamesischen und afghanischen Widerstandes haben den USA die Grenzen ihrer Macht demonstriert.

Neuer Charakter der Kriege der USA und seiner Verbündeten
Die neue Militärstrategie der USA beschränkt sich jedoch nicht nur auf eine geografische Schwerpunktbildung. Sie wird zugleich von der Generierung eines völlig neuen Kriegsbildes begleitet. Der Krieg neuen Typus wird eine Kombination von Cyber- und kosmischen Operationen mit dem massiven Einsatz effektiver auch unbemannter Vernichtungsmittel sein. Völlig neue operative Ansätze und taktische Verfahren werden entwickelt. Die Eroberung fremder Territorien durch Heeres- und Marineinfanteriekräfte mit Luftunterstützung soll durch den massierten Einsatz von Marschflugkörpern, Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Raketen und die grenzüberschreitende Vernichtung von harten wie lebenden Zielen mit unbemannten Kampfdrohnen auf der Basis einer weltraumgestützten globalen Aufklärung abgelöst werden. Der Krieg gegen Libyen war die Generalprobe einiger Komponenten und operativer Ansätze dieser neuen Kriegsform. Das Ziel in Libyen war die Beseitigung eines politischen Systems unter Inkaufnahme der Zerstörung der Infrastruktur und ziviler Opfer. Ergebnisse, wie auch im Irak, sind Chaos, Machtvakuum, Gesetzlosigkeit, Instabilität und der Auftrieb islamistischer Tendenzen. Der Libyenkrieg und auch die derzeitigen Machtdemonstrationen um Syrien und den Iran laufen nach dem Drehbuch der neuen US Strategie. Es geht, wenn auch verdeckt, im Grunde um die Schwächung des Einflusses Chinas und Russlands. Die USA versuchen sich in einem Doppelspiel von Kooperation und Konfrontation. Das Ziel ist nicht neu: die eigene Vormacht im asiatisch-pazifischen Raum und damit in der Welt.

Kontrolle von Meerengen und Seegebieten
Unter dem Titel „Als Teil des Abkommens treffen US-Marines in Australien, in Chinas Hinterhof ein“ schrieb die „New York Times“ am 05.04.2012, dass nach einem bilateralen Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Australien neben der Stationierung der Marineinfanterieeinheiten auch die Nutzung australischer Militärflugplätze durch US-Flugzeuge sowie eine verstärkte Schiffs- und U-Boot Präsenz der USA in der Marinebasis Perth an der australischen Westküste vorgesehen sei. Des weiteren werde noch die Stationierung von amerikanischen Langstrecken-Aufklärungsdrohnen auf den zu Australien gehörenden Cocos-Inseln im Indischen Ozean verhandelt. 2

Damit wollen die USA weitab vom eigenen Territorium die Meerengen und Seegebiete zwischen dem Pazifischen und Indischen Ozean militärisch kontrollieren. Das Gebiet ist eine der Hauptschlagadern für die exportorientierte chinesische Wirtschaft. Auch Chinas Rohstoffimporte werden zumeist auf Schiffen durch diese Meerengen transportiert. Die Sicherheit der Handelsschifffahrt von und nach China ist von vitalem Interesse für die Volksrepublik.

Admiral Samuel Locklear, Chef des amerikanischen Pazifik-Kommandos, hatte laut der russischen Zeitung „Kommersant“ vom 06.04.2012 im Februar im Verteidigungsausschuss des US-Senats erklärt: „Wir sind eine Großmacht in Asien. Die Chinesen und die anderen Länder der Region müssen begreifen, dass die USA bereit sind, dort ihre nationalen Interessen zu verteidigen.“ 3

Betrachtet man nun den Zugang zu den Weltmeeren Chinas einerseits und der USA andererseits werden deutliche Nachteile für China erkennbar. Während die USA über große Häfen sowohl an der Westküste als auch an der Ostküste, und damit über direkte Zugänge zum Pazifischen und Atlantischen Ozean verfügen, ist China deutlich benachteiligt. Der gesamte Frachtverkehr muss über Häfen an der Ostküste und über den Pazifischen und Indischen Ozean abgewickelt werden. Dabei stellen besonders die Inseldurchfahrten und Meerengen zwischen diesen beiden Weltmeeren eine Art Nadelöhr dar. Dort kann es durch die Beeinträchtigung des freien Schiffsverkehrs zu empfindlichen Störungen der chinesischen Wirtschaft kommen.

Und genau hier setzen die Vereinigten Staaten mit ihrer neuen Strategie an. Durch intensivere politische und wirtschaftliche Einflussnahme in Anrainerstaaten dieser Meerengen wie den Philippinen, Singapur, Thailand, Taiwan, Korea, Australien und anderen Partnern und durch die Verdichtung und den Ausbau ihrer militärischen Präsenz schaffen sich die USA die Möglichkeit, Chinas lebenswichtige Seewege zu kontrollieren und bei Bedarf zu stören. Nicht ansatzweise findet man Analogien im Vorgehen Chinas gegen die USA.

Die Neuausrichtung der US-Strategie auf den asiatisch-pazifischen Raum stellt nichts anderes dar, als die Einnahme einer strategischen Ausgangslage zur Beeinträchtigung und Blockade der Zugänge Chinas zu den Weltmeeren.

Ausblick
Das eigene System, vor allem die Staatsfinanzen der USA setzen Politik und Militär Grenzen. Die Krise des Finanzsystems ist aufgrund der Höhe der Staatsverschuldung keine vorüber-gehende Erscheinung, sondern ein permanentes Problem. Dies sind die systemimmanenten, inneren Grenzen der Macht der Vereinigten Staaten.

Daneben gibt es äußere Kräfte, die die Fähigkeiten und die Implementierung der aggressiven Außen- und Sicherheitspolitik der USA einschränken. Diese entstehen in den Staaten, auf die die amerikanischen Ambitionen gerichtet sind. Und da sind vor allem die BRICS – Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) zu nennen. Gegen die neue US Strategie und deren schrittweise Umsetzung muss sich auch China schützen. Der überdurchschnittliche Zuwachs des Verteidigungsetats in den kommenden Jahren dient vor allem dem Ausbau seiner technologischen Fähigkeiten.

Die chinesische Politik steht für das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und für ein friedliches Krisenmanagement. Das chinesische Engagement in Afrika und Asien, z.B. auch in Afghanistan, trägt rein wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Charakter. China diktiert weder politische Bedingungen, noch übt es Druck auf die nationalen Regierungen aus. Dieses Engagement ist ebenfalls von keinerlei Präsenz militärischer Verbände der Land- oder Luftstreitkräfte begleitet. All dies führt zu einem steigenden Ansehen Chinas in den Entwicklungs- und Schwellenländern und stärkt seine Fähigkeiten, den globalen Ambitionen der USA Grenzen zu setzen. Die Konkurrenten in diesem neuen „Großen Spiel“ versuchen natürlich, jeweils Verbündete für die Durchsetzung ihrer Interessen zu beteiligen. China und die Russische Föderation setzen auf den weiteren Ausbau der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und die Initiativen der BRICS – Staaten.

Die chinesische Wirtschaft boomt. Größter Absatzmarkt sind die Vereinigten Staaten. Und die USA wissen, dass ihr größter Dollargläubiger China ist. Dies wiederum schränkt die Ambitionen ein, China militärisch zu bedrängen. Eine interessante Verflechtung, die auch sehr viel Hoffnung auf Vernunft in sich birgt. Diese enge Verquickung zwischen den Kontrahenten USA und China und ihre daraus resultierende gegenseitige Abhängigkeit stellen auch eine Chance dar. So könnte ein Gleichgewicht der Kräfte wie zwischen den Blöcken im Kalten Krieg, eine Art Pattsituation entstehen, die eine militärische Auseinandersetzung verhindern könnte. Ein stabiler Frieden ist deshalb jedoch nicht garantiert.

Die Neuausrichtung der Militärstrategie der USA bleibt eine Herausforderung für die Welt!

Anmerkungen
http://www.foreignpolicy.com/articles/2011/10/11/americas_pacific_century

http://www.nytimes.com/2012/04/05/world/asia/us-marines-arrive-darwin-au...

http://de.rian.ru/politics/20120406/263284572.html

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Schwerpunkt
Jürgen Heiducoff war zu Anfang des ISAF-Einsatzes über ein halbes Jahr als Soldat und in den Jahren 2006 bis 2008 als Diplomat in Afghanistan.