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Eindrücke vom Antimilitaristischen Kongreß
von"Zu einem Antimilitaristischen Kongreß nach Potsdam einzuladen ist mehr als nur ein symbolischer Akt zum 1000mjährigen Jubiläum der Stadt. Nach nunmehr drei Jahren Einheitsdeutschland mit allen Veränderungen innen- und außenpolitischer Bedeutung gibt es in der antimilitaristischen Friedensbewegung nur wenige Kontakte zwischen Ost und West." Dies schrieb Ralf Blauert von der "Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär Potsdam" zur Einstimmung auf den Anfang Oktober durchgeführten Kongreß.
Potsdam feierte dieses Jahr sein 1000jähriges Bestehen mit zahlreichen Veranstaltungen. Da kam das Militär nicht zu kurz, und das hat durchaus Tradition. Potsdam war neben Berlin die Residenzstadt Preußens, von hier aus wurde der preußische Militarismus mit aufgebaut. Die Umbettung des Grabes von Friedrich Ⅱ. war deshalb zugleich Anlaß, eine Heerschau preußischen Militärs abzuhalten.
Um die Tradition preußischen Militärs und den Bezug zur heutigen Militärpolitik in der BRD offenzulegen und zu behindern, führte die Kampagne gegen Wehrpflicht in Potsdam immer wieder direkte Aktionen durch. So blockierten sie z.B. als Blauhelme verkleidet den geschichtsträchtigen Aufmarsch der "Langen Kerls", als diese vom Schiff nach Potsdam einziehen wollten. Mit solchen Aktionen haben sie nicht nur die Lacher auf ihrer Seite, sondern verschaffen sich zunehmend Öffentlichkeit in Potsdam.
Um die Kontakte zu verbessern und gemeinsam Perspektiven zu entwickeln, waren ca. 100 Teilnehmerlnnen auf Einladung der Gruppe in Potsdam und der "Internationale der KriegsdienstgegnerInnen" (IdK) Berlin zum Kongreß gekommen. Der gewählte Ort Potsdam als Veranstaltungsort in den neuen Bundesländern und die einladenden Gruppen sorgten auch dafür, daß es tatsächlich zum ersten Mal seit Jahren möglich war, sich über die immer noch sehr unterschiedlichen Bedingungen in alten und neuen Bundesländern sowie Berlin auszutauschen.
So wurde beispielsweise in einigen Arbeitsgruppen am Samstag ausführlich über die unterschiedliche Situation der Beratung von Kriegsdienstverweigerern berichtet und diskutiert, wie damit umzugehen sei. In den neuen Bundesländern gibt es nach wie vor nur wenige Anlaufstellen für Kriegsdienstverweigerer. Der Bedarf nach grundlegenden Informationen über das Verfahren und die Rechtssituation sei hoch. Für eine politische Beratung ergäbe sich aber zunehmend die Schwierigkeit, daß immer mehr Kriegsdienstverweigerer in die Beratung kommen, die an einer politischen Auseinandersetzung über Militär, das eingeschränkte Recht auf Kriegsdienstverweigerung oder die Militarisierung des Zivildienstes kein Interesse haben. An diesem Punkt sei seit dem Anschluß der DDR eine Veränderung eingetreten.
In den alten Bundesländern gibt es Gruppen, die die Beratung eingestellt haben. Sie sehen in der Beratung für Kriegsdienstverweigerer lediglich noch die Zuarbeit für Wohlfahrtsverbände, die gerne billige Zivildiener haben will. Außerdem halte in der derzeitigen Situation eine hohe Zahl von Kriegsdienstverweigerern durch den niedrigen Bedarf an Wehrpflichtigen bei der Bundeswehr die Wehrpflicht aufrecht. Entpolitisierte Kriegsdienstverweigerer, die an sich nur noch einen Antrag auf Zivildienst stellen wollen und nicht bereit zu einer Auseinandersetzung sind, seien kein Argument, eine Beratung aufrechtzuerhalten.
In Berlin wiederum wurde mit dem Anschluß der DDR die Wehrpflicht wieder eingeführt. Viele ältere Jahrgänge, die sich durch die Flucht nach Berlin sicher fühlten, waren plötzlich wieder wehrpflichtig. In dieser Situation entstand die "Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär Berlin", die versucht, über die Beratung für Kriegsdienstgegnerlnnen, die bislang eher als eine Beratung für den Zivildienst bekannt ist, auch andere Formen der Verweigerung, z.B. Erfassungs- und Musterungsverweigerung als Zivilen Ungehorsam zu propagieren. Vierteljährlich werden in Berlin auch Rekrutenzüge blockiert. Die Ablehnung des Zivildienstes als Kriegsdienst, die Wehrpflicht als Mittel der Militarisierung könne darüber öffentlich gemacht und praktisch in Frage gestellt werden. Der Blick geht dabei in Berlin in Richtung totaler Kriegsdienstverweigerung. Über die Musterungsverweigerung, die lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt und noch kein Gerichtsverfahren zur Folge hat, könnten Verweigerer für die totale Kriegsdienstverweigerung sensibilisiert werden. Durch diese Situation und die politische Arbeit ist Berlin derzeit eine Hochburg der totalen Kriegsdienstverweigerer. Sie waren auch. zahlreich auf dem Kongreß vertreten.
Als eine andere Weiterentwicklung wurde das "Internationale Deserteursnetzwerk'' vorgestellt. Die Zusammenarbeit mit Initiativen in Ländern, in denen Krieg herrscht (z.B. ehemaliges Jugoslawien, Türkei/Kurdistan), die Unterstützung von Deserteuren in und aus diesen Ländern gehen einher mit der Förderung nach "Offenen Grenzen und einem unbefristeten Bleiberecht für Kriegsdienstverweigerer und Deserteuren aus Kriegsgebieten". Dabei stellt sich in der praktischen Arbeit des Netzwerkes die Notwendigkeit heraus, den Zusammenhang von Militärpolitik mit der in der BRD praktizierten Ausgrenzung von Flüchtlingen aufzuzeigen:
"Wir müssen in unserer Arbeit viel stärker die Auseinandersetzung mit aktuell stattfindenden Kriegen und die damit verbundene herrschende; Politik in den Vordergrund stellen. Deserteure, z.B. aus dem ehemaligen Jugoslawien, unterliegen zum großen Teil der Visumspflicht und können daher gar nicht erst ins Land. Hier erhalten sie kein Asyl und nur in begrenztem Maße die Möglichkeit des Aufenthaltes aufgrund der Desertion. Immer wieder werden Deserteure in den Krieg zurückgeschickt. "Die praktizierte Politik stellt sich damit tatsächlich als kriegsunterstützend heraus", erläuterte Franz Nadler von der AG "Kriegsdienstverweigerung im Krieg".
Die "Abwehr" von Flüchtlingen und Out-of-area-Einsätze zur Herrschaftssicherung sind nicht allein auf die BRD beschränkt. Die Europäisierung der Militärpolitik ist schon lange im Gange. Die internationale Arbeit ist für AntimilitaristInnen, dies wurde auf dem Kongreß deutlich, wichtiger denn je.
Ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses war die Diskussion über die Praxis des Zivilen Ungehorsams. Zum Beispiel Peenemünde: Aus alten NVA-Beständen hatte die Bundesregierung 39 Schiffe nach Indonesien verkauft. Für dieses Geschäft war es auch kein Hindernis, daß von der indonesischen Armee seit 1975 ein Völkermord gegenüber der Bevölkerung von Ost-Timor durchgeführt wird. So besetzten in einer Überraschungsaktion zu Pfingsten diesen Jahres KriegsgegnerInnen einige der zur Auslieferung bestimmten Schiffe, um diese zu behindern. In praktischer Vorarbeit wurde auch die militärische Nutzbarkeit der Schiffe gemindert: Diese Aktion des Zivilen Ungehorsams steht nicht allein, In der Colbitz-Letzlinger Heide und in der Heide bei Wittstock sollen Truppenübungsplätze, trotz anfänglich gegenteiliger Zusage von der Bundeswehr übernommen werden.
Mit Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Protestwanderungen zu den Plätzen u.a. wird der Widerstand vor Ort, gemeinsam mit der Bevölkerung, organisiert. "Wir wandern auf den alten, durch den Schießplatz unterbrochenen Verbindungswegen und -straßen zwischen den historisch zusammengehörigen und künstlich voneinander abgeschnittenen Orten der Ostprignitz. An der Schießplatzgrenze wird jeweils eine Mahnsäule enthüllt, die auf den Anspruch hinweist, eines Tages gefahrlos auch zu dem gegenüberliegenden Ort weiterwandern zu können. Bis zum Herbst diesen Jahres wird der Platz auf diese Weise einmal umrundet werden. Neben vielen hundert Menschen kommen ebenfalls prominente Gäste, wie Minister der brandenburgischen Landesregierung und Bundestagsabgeordnete, regelmäßig mit auf den Weg."
Eine neue Qualität in der Diskussion ergab sich durch den gelungenen Versuch, die antimilitaristischen Ansätze mit anderen, z.B. ökologischen zu koppeln. Auch die Mercedes-Benz-Teststrecke in Papenburg ist Anlaß für Zivilen Ungehorsam. Dort wird mit einer Platzbesetzung und einem Hüttendorf gegen die Zerstörung eines der größten zusammenhängenden Moorgebiete im Emsland mobil gemacht. Der gemeinsame Austausch sollte helfen, den Widerstand gemeinsam voranzutreiben, von den Erfahrungen zu lernen und damit Zivilen Ungehorsam effektiver zu machen.
Was ist nun die Perspektive? Inhaltlich bestand wohl in einem Punkt Übereinstimmung: Das Militär gehört abgeschafft. Dennoch muß konstatiert werden, daß es eine Friedensbewegung, eine antimilitaristische Bewegung, die dieses Ziel umsetzen könnte, nicht gibt. Eine kritische Bestandsaufnahme tut not. Der Kongreß konnte dieses nur im Ansatz Ieisten, da die Vielzahl der Arbeitsgruppen eher darstellte, was derzeit alles von AntimilitaristInnen beackert wird. Ein Austausch über die derzeit praktizierten Ansätze von Antimilitarismus, über Zivilen Ungehorsam, internationale Zusammenarbeit, die Arbeit zu Rüstungsproduktion und -export, Besetzung von Truppenübungsplätzen oder eine antimilitaristische Bettung gelang. Eine gemeinsame Diskussion war nur in Ansätzen möglich. Dies wird auch weiter eine notwendige Aufgabe bleiben.