Militarisierung

Eritrea nach dem Friedensabkommen mit Äthiopien

von Rudi Friedrich
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Die Hoffnung auf ein Ende der Unterdrückung ist trügerisch. Nach dem Friedensvertrag zwischen Eritrea und Äthiopien und der im November 2018 erfolgten Aufhebung der UN-Sanktionen gegenüber Eritrea sind immer wieder Stimmen zu hören, dass das eritreische Regime keinen Vorwand mehr habe, die repressive Militarisierung der Bevölkerung fortzusetzen. Hier soll auf die aktuelle Situation im Land eingegangen werden, insbesondere auf die Lage der von einem unbefristeten Militärdienst betroffenen Männer und Frauen, die sich zu Tausenden zur Flucht aus dem Land entscheiden.

Im Juli 2018 haben Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed und der eritreische Präsident Isayas Afewerki einen Friedensvertrag unterzeichnet, mit dem der Krieg von 1998 bis 2000 formal beendet wurde, der etwa 100.000 Tote gefordert hatte. Im September 2018 wurde zusätzlich feierlich ein Freundschaftsvertrag im saudi-arabischen Dschidda abgeschlossen. Im Oktober wurde Eritrea in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. Im November 2018 wurden die zehn Jahre zuvor beschlossenen Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gegenüber Eritrea aufgehoben, womit nun auch Waffenlieferungen nicht mehr sanktioniert sind.

Nur wenige Monate vorher hatte die UN-Sonderbeauftragte Eritrea noch bescheinigt, „dass eritreische Staatsbürger unter willkürlicher Haft, Einzelhaft, Tod im Gewahrsam, Verschwindenlassen, Unterdrückung ihrer religiösen Freiheit und einem System des Nationaldienstes leiden, das im Effekt der Sklaverei gleichkommt.“ (1)

Und tatsächlich erwiesen sich alle Hoffnungen, dass es nach dem Friedensvertrag zu positiven Veränderungen für die Menschen in Eritrea kommen würde, als trügerisch. Das Land wird weiter unter der Diktatur des Präsidenten und der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) geführt. Auch der als Nationaldienst bezeichnete Militärdienst ist nach wie vor nicht befristet. SoldatInnen werden nicht aus dem Militär entlassen, sondern in Wirtschaftsbetrieben des Militärs eingesetzt, unter voller militärischer Kontrolle und nur ausgestattet mit einem kümmerlichen Sold. (2)

Gaim Kibreab, der aus Eritrea emigrierte und an der London South Bank University lehrt, beschreibt dies in einer ausführlichen Studie: „Es gibt keinerlei Regelungen zwischen Wehrpflichtigen und Vorgesetzten. Damit haben die Befehlshaber freie Hand bzw. sie können alles tun, was sie wollen, einschließlich unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung, Ausbeutung der Arbeitskraft der Wehrpflichtigen zum persönlichen Vorteil und sexuelle Gewalt gegenüber weiblichen Rekrutinnen.“ (3) Als Teil der Repressionen wird auch gegen Kriegsdienstverweigerer vorgegangen. Derzeit sind mindestens 16 von ihnen in Haft, zum Teil seit fast 25 Jahren. (4)

Das sind die wesentlichen Gründe, warum nach wie vor Tausende aus dem Land fliehen und auch in europäischen Ländern versuchen Schutz zu erhalten. Allein im September 2018 verließen 15.000 das Land Richtung Äthiopien. (5)

„Die internationale Gemeinschaft hingegen“, so schreibt Abraham T. Zere, der im Exil lebende Geschäftsführer von PEN Eritrea, „scheint zu glauben – oder besser gesagt, gibt vor zu glauben – dass sich die Dinge in Eritrea verbessert haben“. (6) Ein Grund für diese Politik sollte im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union gesehen werden. Verschiedentlich waren europäische Asylbehörden nach Eritrea gefahren, um anschließend wohlwollende Berichte über das Land zu verfassen. 2014 wurde zudem der sogenannte Khartum-Prozess angestoßen, mit dem Ziel der „Stärkung der institutionellen und personellen Kapazitäten der eritreischen Regierung bei der Migrationskontrolle“. (7) Das ist besonders zynisch angesichts dessen, dass die eritreische Regierung an der Migration profitiert, wie der ehemalige BBC Journalist Martin Plaut schreibt: „Die eritreische Regierung kontrolliert rigoros die Grenzen, auch durch die Einführung eines Schießbefehls, einer Politik der ‚Todesschüsse‘ gegenüber jeder Person, die versucht, unerlaubt die Grenzen zu übertreten. Zur gleichen Zeit gibt es zunehmend Beweise dafür, dass es ein bestens organisiertes Netzwerk von hochrangigen Offizieren und Regierungsvertretern gibt, die zusammen mit Eritreern im Ausland den Menschenhandel von EritreerInnen kontrollieren und davon profitieren.“ (8)

Nicht vergessen werden sollte, dass der Freundschaftsvertrag sehr wahrscheinlich nicht ganz zufällig im saudi-arabischen Dschidda unterzeichnet wurde. Saudi-Arabien hat großes Interesse an einer Unterstützung seines Militäreinsatzes im Jemen und stärkt mit seiner Vermittlung im eritreisch-äthiopischen Konflikt auch seine Rolle in der Region. Die Vereinbarungen des Friedens- wie auch des Freundschaftsvertrages sind übrigens bislang nicht veröffentlicht worden.

Und so zeigt sich, dass die diplomatische Anerkennung vor allem den Interessen der Regierungen verschiedener Staaten geschuldet ist, nicht der Verbesserung der Situation im Land selbst. Abraham T. Zere kommt daher auch zu dem Schluss, dass die „diplomatischen Entwicklungen Präsident Afewerki stärken könnten, sein Land mit eiserner Hand zu regieren und ihn ermutigen, seine Macht noch stärker im Griff zu halten“. (9)

Anmerkungen
1 Report of Sheila B. Keetharuth to the Human Rights Council, 7.6.2017. A/HRC/35/39.
2 Dazu: Schweizerische Flüchtlingshilfe: Eritrea – Reflexverfolgung, Rückkehr und «Diaspora-Steuer». 30. September 2018.
3 Gaim Kibreab: Reflections on the Causes of Displacement in Post-Independent Eritrea. 19.10.2017.
4 Liste der Zeugen Jehovas vom Januar 2019. https://download-a.akamaihd.net/files/content_assets/c9/1012732_E_cnt_1.pdf.
5 Abraham T Zere: The peace deal with Ethiopia has not changed Afwerki’s Eritrea. 12. Oktober 2018.
6 ebda
7 EU 2015: EU Meeting Document DS 1250/15.
8 Martin Plaut: Eritrea – a mafia state? Review of African Political Economy, 13.9.2017.
9 Abraham T Zere: The lifting of UN sanctions will not solve Eritrea’s problems. 19. November 2018.

Broschüre: Eritrea: ein Land im Griff einer Diktatur – Desertion, Flucht & Asyl. Mai 2018. Die umfangreiche Broschüre kann über Connection e.V. bezogen werden: www.Connection-eV.org/shop

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