Fröhliche Friedensfreizeiten für alle Kinder Mazedoniens sind die billigste Prävention

Ferien vom Krieg - mitten im Krieg

von Helga Dieter
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In den letzten acht Jahren konnten, durch die Spenden vieler "FerienpatInnen" aus der Friedensbewegung, 13.650 Flüchtlings- und Waisenkinder aus dem ehemaligen Jugoslawien sich satt essen, im eigenen Bett schlafen, warm duschen, spielen, tanzen und vor allem Schwimmen lernen. Und was für manche Kinder noch wichtiger ist: Sie durften sich in Ruhe und Geborgenheit erinnern, aussprechen, trauern und weinen. Viele der Kinder erzählten zum ersten Mal über das Grauen, das sie erlitten haben. Sie vergraben es in sich, denn zu Hause fühlen sie sich schuldig, wenn sie die Mutter, die Großeltern oder andere Erwachsene damit belasten, denn viele von diesen wollen "einfach" vergessen.

Ein Ziel der Aktion war von Anfang an, dass die Kinder der angeblichen Feinde sich bei den Freizeiten begegnen und dabei ihre eigene Leidensgeschichte im Spiegel der Schicksale der "anderen" Kinder neu begreifen: Dass nämlich die "eigenen" Leute nicht nur Opfer sind, sondern auch Täter gewesen sein müssen, wenn auch die Kinder der "Feinde" ihre Eltern verloren haben, vertrieben wurden und nun im Elend hausen.

Von den 1.650 Kindern und Jugendlichen (10-15 Jahre) und 170 BetreuerInnen, die diesen Sommer "Ferien vom Krieg" machten, kamen ca. 220 Kinder und 25 Erwachsene aus der geteilten Stadt Mitrovica im Kosovo, allerdings sind hier gemeinsame Gruppen noch undenkbar. Schon die Vorbereitungen dieser Freizeiten waren besonders schwierig, denn auch die UN-Protektoratsverwaltung in Prishtina konnte bis zur Abfahrt der Kinder keine Auskunft geben, ob bzw. welche Reisepapiere für Montenegro benötigt würden. Nach langem Hin und Her fuhr ich nach Prishtina, wo mir die zuständigen UN-Offiziellen mitteilten: "Das sind die ersten Gruppenreisen. Sagen Sie uns nachher, wie es gelaufen ist, dann wissen wir es auch". Entgegen der UN-Ratschläge fuhr die serbische Gruppe ohne Kfor-Schutz, da sie nicht durch albanisches Gebiet musste. Zu Hause werden die Kinder aus den umliegenden Enklaven und aus einer "multiethnischen" Hochhaussiedlung mit Panzern zur Schule gebracht. "Ich hasse die Albaner" geht den serbischen Kindern und Erwachsenen ebenso leicht über die Lippen wie "Ich hasse die Serben" den albanischen Kindern und BetreuerInnen der anderen Gruppe aus Mitrovica. Als wir erzählten, dass seit vier Jahren die aus Srebrenica deportierten muslimischen Kinder die Ferien mit den serbischen Kindern, die nun als Flüchtlinge in Srebrenica leben, verbringen und in Mazedonien gerade slawische, albanische und serbische Kinder mitten im Krieg gemeinsame Freizeiten erleben, wurden sie nachdenklich. Sie unterstellten dann der jeweils anderen Seite der Stadt, dass diese sicher nicht bereit sei, diesen Schritt zu tun. Wir wollen nun im Frühjahr den Erwachsenen die Möglichkeit eines gemeinsamen Vorbereitungstreffens anbieten. Falls im nächsten Sommer Kinder von beiden Seiten Mitrovicas zusammen Ferien machen, so könnte das ein friedenspolitisches Signal sein.

Wir waren überrascht und beglückt, dass in Mazedonien 200 Kinder aus Skopje und den Kampfgebieten im Norden und Westen des Landes in vier Gruppen "Ferien vom Krieg" genossen -und dies gemeinsam! (92 slawische-, 56 albanische-, 30 Roma-, 12 türkische-, 6 serbische- und 4 Wladen-Mazedonier). Bei drei Freizeiten waren Kinder aus Romanovce, einem Dorf im Kampfgebiet, das sich der Hetze beider Seiten widersetzte und weiterhin zusammen dort leben will. Dass die Kinder gemeinsam in Ferien fuhren, verstanden die Dorfbewohner als friedenspolitisches Zeichen gegen die Kriegstreiber. Die "Kinderbotschaft" in Skopje hat das Komitee gebeten, neben den drei geplanten noch eine vierte Freizeit für Kinder aus den Flüchtlingslagern (Kollektivzentren) zu finanzieren. So spielten, sangen und tanzten albanische Kinder, die von der mazedonischen Armee vertrieben wurden, mit slawischen Kindern, die von der UCK vertrieben wurden. Obwohl die Gefechte täglich bedrohlicher wurden und näher rückten, haben keine Eltern angerufen, um ihr Kind nach Hause zu holen, und kein Kind hat den Wunsch zur Rückfahrt geäußert. Unter den Betreuern waren zwei junge Männer, einer davon Albaner. Die Regierung hatte gerade die Mobilmachung verkündet und Waffen an Reservisten verteilt, auch an einschlägig bekannte Kriminelle. Beide diskutierten, wie sie sich ggf. einer Rekrutierung entziehen könnten. Sich in einem kleinen, öden Land von weniger als drei Millionen Einwohnern zu verstecken, erschien ebenso unmöglich wie die Flucht, denn es gibt kein Land, in das sie ohne Visa reisen könnten. Die anderen Hotelgäste und Nachbarn waren erstaunt, dass zu dieser Zeit neben ihnen ein friedenspolitisches Beispiel vorgelebt wurde. Auseinandersetzungen zwischen den BetreuerInnen, wie es sie in den Vorjahren bei den mazedonischen Freizeiten gegeben hatte, waren nicht spürbar. Auch Provokationen gegen die albanischen Kinder und BetreuerInnen hat es, im Gegensatz zu den Vorjahren, nicht gegeben. Letztes Jahr sind unsere Gruppen wegen ständiger Verdächtigungen und Anfeindungen der albanischen Kinder mit einem Eklat aus einem staatlichen Jugendhotel ausgezogen. Diesen Sommer wurden unsere Gruppen an diesen Ort zur Disco und zum Spielen eingeladen. Vielleicht hat der Wind ein Samenkorn von diesem Geist zwei Hotels weiter geblasen, denn dort wurde während der letzten Freizeit der Waffenstillstand beschlossen, der anzuhalten scheint.

Noch nie haben unsere Kinderfreizeiten so viel Aufmerksamkeit in der örtlichen Presse erregt. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten über das "Wunder von Ohrid". Bei der ersten Gruppe haben einige Mazedonier ihre Kinder nicht zum Bus gebracht, weil sie erfahren hatten, dass albanische Kinder nicht nur teilnehmen, sondern auch in derselben Gruppe seien und möglicherweise im selben Zimmer schlafen würden. Nachdem sich einerseits die kriegerischen Angriffe zuspitzten und die Presse andererseits über die fröhlichen Friedens-Freizeiten berichtet hatte, gab es dann hunderte von Nachfragen von Menschen, die das Projekt unterstützen wollten oder demonstrativ ihre Kinder - auch mit Kostenbeteiligung - daran teilnehmen lassen wollten.

Die beste und billigste Prävention wäre es, alle diese Kinder gemeinsam in Ferien zu schicken. Ich bin mir sicher, es wären in Mazedonien (anders als im Kosovo) tausende von Kindern und Eltern, die das wollen. Wer könnte dann in diesem kleinen Land noch aufeinander schießen?

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