Bundesregierung

Friedensbewegung sollte die Debatte zum neuen „Weißbuch“ nutzen!

von Otmar Steinbicker

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat für 2016 eine Neufassung des „Weißbuches“ der Bundeswehr angekündigt, in dem die sicherheitspolitische Lage Deutschlands und der Auftrag der Bundeswehr neu definiert werden.

Das letzte Weißbuch stammt aus dem Jahr 2006. Damals erstattete ich für den Aachener Friedenspreis e.V. bei der Generalbundesanwältin Anzeige gegen den amtierenden Verteidigungsminister und die Kanzlerin wegen Vorbereitung zum Angriffskrieg. Die Meldung über diese Anzeige wurde von vielen Zeitungen in Deutschland und auch darüber hinaus verbreitet.

Der Vorwurf lautete damals im Kern, das Weißbuch rechtfertige inhaltlich und geografisch nahezu unbegrenzte militärische Interventionen unter dem Vorwand von Wirtschaftsinteressen und vermeintlicher oder vorgeblicher Sicherheitsrisiken. Diese Neuausrichtung der Bundeswehr diene somit der Vorbereitung von Angriffskriegen und stelle damit einen Straftatbestand dar. Vollmundige Ankündigungen einer „Armee im Einsatz“ und von „deutscher Verantwortung“ in Gestalt von Bundeswehreinsätzen rund um den Globus waren damals üblich.

Heute gibt sich die Bundesregierung sehr viel zurückhaltender. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz sprach die Verteidigungsministerin ungewohnt von Waffenlieferungen als „Brandbeschleuniger“ – auch wenn sie diese Bemerkung nur auf die Ukraine bezog, nicht auf andere Regionen, in die Deutschland nach wie vor in erheblichem Umfang Waffen exportiert.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier plädierte jüngst in einem Zeitschriften-Aufsatz: „Früher, entschiedener und substanzieller wollen wir handeln – nicht nur in der akuten Krise, sondern verstärkt in der frühzeitigen Einhegung von Konflikten, aber auch in der Nachsorge in Post-Konflikt-Situationen. Dafür müssen wir unsere Instrumente schärfen und neue Werkzeuge entwickeln, von Frühwarnsystemen bis hin zu verbesserten Mechanismen internationaler Zusammenarbeit.“ Vorsichtig schob er dann nach: „Dafür müssen wir uns mit der gebotenen Zurückhaltung und Sorgfalt auch der schwierigen Frage stellen, ob und wann zur Absicherung politischer Lösungen auch der Einsatz militärischer Mittel erforderlich sein kann.“ (1)

Das klingt alles deutlich anders als frühere martialische Töne aus der Bundesregierung! Ob daraus ein nachhaltiges und ernsthaftes Nachdenken erwächst, ist aber längst noch nicht ausgemacht. Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jüngst die Idee einer Europäischen Armee in die Welt setzte, plädierte Frau von der Leyen gleich für einen Abbau des Bundestagsvorbehaltes bei Bundeswehreinsätzen im Ausland. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özedmir setzte da noch eins drauf und plädierte dafür, perspektivisch die nationalen Streitkräfte aufzulösen und eine neue, supranationale Armee unter Kontrolle des europäischen Parlaments zu stellen.

Jetzt muss Friedensbewegung darauf drängen, dass eine ernsthafte Debatte an einer kritischen Bilanz des Afghanistankrieges ansetzt. Da gilt es, die Fehlerhaftigkeit militärischer Lösungsversuche politischer Konflikte zu analysieren. Da geht es auch darum, ernsthaft nach diplomatischen und politischen Alternativen der Konfliktlösung zu suchen.

Wenn über eine neue deutsche Außenpolitik nachgedacht werden soll, dann müssen viele – auch grundsätzliche – Fragen gestellt werden. Was kann Deutschland dazu beitragen, dass internationale Konflikte beizeiten zivil, also diplomatisch und politisch gelöst werden, bevor sie eskalieren und auf andere Länder übergreifen? Wie muss sich Deutschland dann international von der EU bis in die UNO aufstellen, um glaubwürdig diplomatisch agieren zu können?

In diesen Fragen kann und muss sich die Friedensbewegung sachkundig in die Debatte einbringen, denn hier hat sie einen deutlichen Vorsprung! In ihren Dossiers zur zivilen Bearbeitung konkreter Konflikte, vom Kurdenkonflikt in der Türkei über den Konflikt um das iranische Atomprogramm, den Nahost- und den Afghanistankonflikt, den Krieg um Syrien bis hin zum Ukraine-Konflikt, hat sie seit Jahren praktikable zivile Alternativen zu militärischem Handeln eingebracht und in der Vermittlung zwischen NATO und Taliban sogar praktische Erfahrungen erworben.

Selbstverständlich wird die Friedensbewegung auch weiterhin ihre kritischen Fragen nach dem Sinn von NATO und Bundeswehr stellen müssen. Jetzt aber eröffnet sich mit der Weißbuch-Debatte erstmalig die Möglichkeit, unterhalb der Schwelle der Abschaffung des Militärs konkrete Schritte in Richtung auf zivile Konfliktlösungen an Stelle von Militäreinsätzen politisch umzusetzen und einen politischen Richtungswechsel mitzugestalten. Diese Möglichkeiten gilt es in der öffentlichen Debatte und ebenso in einem neuen Dialog mit der Politik auszuloten.

 

Anmerkung
1 Frank-Walter Steinmeier, Zur „DNA“ der deutschen Außenpolitik, in: IPG Journal, 26.02.2015, http://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/zur-dna-der-deutschen-aussenpolitik-810

Ausgabe

Rubrik

Im Blickpunkt
Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de