Gipfelsturm: Zu viele Aktionen für zu wenig Menschen

von Werner Rätz
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Zehntausend Menschen demonstrierten am 19. Juni 1999 anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels in Köln gegen globale Armut, Rassismus und Krieg. Auch bei anderen Aktionen blieb die Teilnahme hinter den Hoffnungen der VeranstalterInnen zurück. Lediglich die Demonstration der Euromärsche und der Alternative Weltwirtschaftsgipfel waren gut besucht.

Etwa 30.000 Menschen bei der Demonstration gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Ausgrenzung Rassismus und Krieg sind durchaus ein Erfolg. Allerdings sind die "Märsche" in Deutschland noch längst nicht in der Lage, die Interessen der Erwerbslosen zu einem unumgehbaren gesellschaftlichen Thema zu machen. Bei der Demonstration stellten die nicht-deutschen TeilnehmerInnen die Mehrheit. GewerkschafterInnen hatten zwar in ansehnlicher Zahl einen eigenen Aufruf unterschrieben, fehlten aber auf der Demo selbst weitgehend - mit Ausnahme der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), deren Vorsitzender schon durch seine Unterschrift unter einen gewerkschaftlichen Aufruf gegen den Nato-Krieg in Jugoslawien positiv aufgefallen war.

Auch EU-weit ist die Erwerbslosenbewegung gegenwärtig noch kein Motor gesamtgesellschaftlicher Veränderung. Die Konsolidierung ihres europäischen Netzwerkes unterscheidet die Märsche aber immerhin von vielen anderen oppositionellen Bewegungen, die oft noch keinerlei Vorstellung davon haben, was es bedeutet, inmitten einer Supermacht mit weltweiten Interessen Politik machen zu müssen.
 

Mit dem an die Demo vom 29.5. anschließenden EU-Alternativgipfel hatten sich einige erhofft, hier auch zu neuen und weiterführenden Schritten europäischer Zusammenarbeit zu kommen. Obwohl von einer neuen Qualität kaum gesprochen werden kann, war die Beteiligung an den vielen Einzelveranstaltungen doch erfreulich breit und international.

Auf der Demo am 29.5. hatte ein Block der Antifaschistischen Aktion TeilnehmerInnen überall aus Europa angezogen - und war in inzwischen leider allzu bekannter Manier von der Polzei durch engstes Spalier von Anfang an heftigst provoziert worden; allein der unglaublichen Disziplin der TeilnehmerInnen ist es zu verdanken, dass es zu keiner Katastrophe gekommen ist. Nach dem Erfolg der Misserfolg: Ein geplantes europaweites Treffen fiel mangels Masse aus.

Die eigenständige Demonstration eines Bündnisses linksradikaler, autonomer und antifaschistischer Gruppen konnte am 3.6., dem ersten Tag des EU-Gipfels, mit etwa 2.500 Personen und ohne allzu heftige Polizeiprovokationen durchgeführt werden: Die Themen unterschieden sich kaum von den Aktionen am 29.5. und 19.6., Krieg, kapitalistische Weltwirtschaft, Flucht und Rassismus standen auch hier im Vordergrund.

Solide Analyse bekannter Phänomene standen im Vordergrund des Alternativen Weltwirtschaftsgipfels vom 16. - 18.6.. Erwartungen wie Ergebnisse waren durchaus unterschiedlich - von "altbekannt, richtig und langweilig" bis "saugut" reichten gelegentlich die Meinungen zum gleichen Vortrag. Mir scheinen diese unterschiedlichen Eindrücke symptomatisch für den Stand der Entwicklung von Alternativen: Viele Menschen denken über sehr viele alte und neue Fragen intensiv nach, veröffentlichen dazu, diskutieren mit anderen darüber; deshalb ist manchen ein weit entwickelter Diskussionsstand bekannt, wo andere nicht einmal die Fragestellung kennen und umgekehrt. Die hohe Qualtität von Forschung und Diskussion zu Einzelthemen ist noch weit davon entfernt, eine allgemein verbreitete, umfassende Einschätzung der Situation zu erlauben, in der wir heute leben und politisch arbeiten. Gerade auf diesem Hintergrund könnte es sich als bedeutsam herausstellen, dass mit Weltwirtschaft, Flucht und Migration und Arbeit/Erwerbslosigkeit drei Themen auf dieser Veranstaltung zusammengebunden waren, deren ProtagonistInnen im Allgemeinen nicht so viel miteinander zu tun haben.

Auf der Aktionsseite stellt sich die Szenerie ähnlich dar. Neben den - mit 4 "Groß"aktionen auch schon reichlich vielen - Aktivitäten des Bündnis Köln 99 gab es eine Vielzahl von größeren oder kleineren Veranstaltungen unterschiedlichster Zusammenhänge. Auffällig waren dabei neben den erwähnten linksradikalen Aktionen vor allem noch die aus dem Spektrum von Peoples` Global Action kommenden Ansätze. Der bedeutendste war die Intercontinental Caravan (ICC) von 500 indischen, asiatischen und lateinamerikanischen Bäuerinnen und Bauern. Sie sind mit verschiedenen Aktionen auch immer wieder in der Presse gewesen.
 

Eine am 18.6. geplante "Lach-Parade" erschien der Kölner Polizei gar nicht zum Lachen: Sie kesselte Hunderte von Menschen ein, hielt eine Straßenbahn auf ihrer Fahrt zum Veranstaltungsort auf, nahm Dutzende vorübergehende Inhaftierungen vor und erteilte Hunderte von Platzverweisen.

Insgesamt hat die Kölner Polizei ein jämmerliches Bild abgegeben. Am 29.5. provozierte sie grund- und hemmungslos den antifaschistischen Block. Gegen kleinere Aktionen wie die kurzfristige Besetzung einer Zeitarbeitsfirma schritt sie mit übergroßer Härte ein. Sie versuchte, jeden spontanen Protest schon im Keim zu ersticken. Nur um den nebenan speisenden First Ladies das Bild andersdenkender Menschen zu ersparen, prügelte sie im Alternativkongress herum. Die Demonstration am 19.6. hatte sie gar versucht, völlig aus der Innenstadt zu verbannen. Dem hat dann das Kölner Verwaltungsgericht einen Riegel vorgeschoben. Dort bekam die Kölner Polizeiführung eine sehr umfassende und grundsätzliche Belehrung darüber, wie ernst sie ein Grundrecht wie die Demonstrationsfreiheit zu nehmen habe. Noch nie habe ich erlebt, dass die Polizeiseite bei einem Prozess derart gnadenlos eingegangen ist. Trotz dieses Erfolges ist es den Protestierenden insgesamt nicht gelungen, das Polizeikonzept einer protestfreien, aseptischen Stadt generell in Frage zu stellen.

Das Bündnis Köln 99 war zwar recht breit und repräsentierte ein bemerkenswertes gesellschaftliches Potential. Aber ganz offensichtlich wurde die Beteiligung an diesem Bündnis bei den Betroffenen unterschiedlich gewichtet. Während einige sich mit viel Kraft und Elan in die Arbeit stürzten, Konflikte austrugen, Konsense suchten und praktische Mobilisierung betrieben, war für andere mit ihrer Unterschrift schon alles getan. Im Laufe des Bündnisprozesses verschwanden vor allem grüne Kräfte, die zu Beginn deutlich sichtbar repräsentiert waren, bis auf das Grün-alternative Jugendbündnis völlig. Die Mitarbeit der Jusos ermöglichte keinerlei Einbruch in Teile der sozialdemokratischen Linken. Regierungsbeteiligung und später stärker noch der Krieg haben wohl einerseits eine disziplinierende Wirkung gehabt, während andererseits der Frust über enttäuschte Hoffnungen sozialdemokratisch-grüner WählerInnen nicht dazu geführt hat, aktiv zu werden, sondern sie eher lähmte. Die eigenen Strukturen der Solibewegung sind zu schwach, eine Großmobilisierung alleine zu tragen.

Es wäre aber eine Fehlinterpretation, den geringen Mobilisierungserfolg zum WWG hauptsächlich auf solche eher subjektiven Gründe zu schieben. Was in Köln zu den verschiedenen Gelegenheiten und Anlässen zusammengekommen ist (und die Stuttgarter Demo muss noch dazugerechnet werden), ist das Potential, das gegenwärtig zum Protest auf der Straße zusammenzubringen ist. Wären die alle auf einmal dagewesen (selbst bei Abzug der Doppelbeteiligungen), so wäre es eine durchaus ordentliche Zahl gewesen. Mehr ist augenblicklich nicht drin. Umfassende gesellschaftspolitische Alternativen sind nicht nur nicht gemeinsam formuliert, sie haben auch (noch?) zu wenig Atraktivität, um die Kräfte freizusetzen, die nötig wären, damit so etwas wie ein Aufbruch zu Stande käme. Aber in Köln haben Menschen aus verschiedenen politischen Zusammenhängen, mit durchaus unterschiedlicher politischer Kultur, Geschichte und Ansprüchen, miteinander gearbeitet und das bis zuletzt durchgehalten. Vielleicht war`s das - und vielleicht ist das später mal für was Anderes nützlich.

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Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de