Immunität von IMI Vorstandsmitglied und MdEP Tobias Pflüger aufgehoben

von Jürgen Wagner

Am 16.5.2006 folgte eine breite Koalition aus Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen und Rechtsextremen der Vorlage des Lega Nord-Vertreters Francesco Speroni und hob die Immunität des Europaabgeordneten und Vorstandsmitglieds der Informationsstelle Militarisierung (IMI), Tobias Pflüger, auf. Einzig die Linksfraktion lehnte diesen Antrag geschlossen ab

 

Seit Jahren versuchen Münchner Staatsanwaltschaft und Justiz vergeblich die Proteste gegen die so genannte NATO-Sicherheitskonferenz zum Schweigen zu bringen. Der Höhepunkt war das Totalverbot der Demonstration im Jahr 2002 wegen angeblicher Hinweise auf mögliche Straftaten. Gerichtlich wurde im Nachhinein die Rechtswidrigkeit des Verbotes festgestellt. Dennoch (oder gerade deswegen) wird München während der Sicherheitskonferenz jedes Jahr von Neuem zum rechtsfreien Raum gemacht. Während im Bayrischen Hof grundgesetzwidrige Angriffskriege vorbereitet werden (1999 Angriffskrieg auf Jugoslawien, 2002 der so genannte „Anti-Terror-Krieg", 2003 Irakkrieg und 2006 wahrscheinlich der kommende Krieg gegen den Iran), hebeln Polizei und Justiz gleichzeitig grundlegende demokratische Rechte aus und versuchen DemonstrantInnen und OrganisatorInnen zu kriminalisieren. Erinnert sei hier nur an die Repressionsmaßnahmen gegen Claus Schreer, einen der Organisatoren der Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, und gegen zahlreiche andere TeilnehmerInnen, die jedes Jahr von neuem teilweise brutal misshandelt und/oder festgenommen werden.

 

Auch gegen Tobias Pflüger als Redner und Mitorganisator der Gegenveranstaltungen gehen Polizei und Justiz (,,Staatsanwaltschaft München I") nun bereits das vierte Mal vor (1999, 2003, 2004, 2005). Nachdem Tobias Pflüger 1999 Bundeswehrsoldaten dazu aufforderte, den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu verweigern und/oder zu desertieren", ermittelte u.a. die Münchner Staatsanwaltschaft gegen ihn. Tobias Pflüger wurde jedoch von einem Tübinger Gericht im Jahr 2000 vom Vorwurf der Aufforderung zu einer Straftat freigesprochen. Damit wurde richterlich eingeräumt, dass dieser Krieg gegen die Verfassung verstieß (näheres unter http://www.imi-online.de/liste.php3?mail=89). Dieses Verfahren bildete den Auftakt zu einer langen Reihe von Repressionsmaßnahmen, willkürlichen Verhaftungen und körperlichen Übergriffen der Polizei gegen Pflüger, die nun in der Aufhebung der Immunität gipfelten. Ein Verfahren 2003 wurde eingestellt, und für seine brutale Festnahme im Jahr 2004 entschuldigte sich die Polizei sogar später bei ihm.

Die Staatsanwaltschaft München wirft Tobias Pflüger nun vor, während der Demonstrationen Anfang 2005 ,,Straftaten" begangen zu haben, als er Polizeibeamte um Auskunft über die brutale Festnahme eines Demonstrationsteilnehmers bat. Dabei wies er sich ihnen gegenüber als Europaabgeordneter aus und wurde von zwei Polizeibeamten - ein halbes Jahr nach der angeblichen Tat - angezeigt. Die Staatsanwaltschaft wirft Pflüger nun Körperverletzung vor, die selbst nach den erfundenen Angaben der Polizei alles andere als dramatisch wirkt: er soll die Hand eines Polizisten, die dieser „beruhigend" auf die Schulter von Pflüger gelegt haben will, wieder herunter „gestoßen" haben. Zweiter erfundener Vorwurf: Pflüger soll die Polizei beleidigt haben, sie können sich aber nicht entscheiden, ob er Arschloch oder Arschkopf gesagt haben soll. .. Dritter und lächerlichster Vorwurf: Pflüger soll sich nicht ausgewiesen haben, aber selbst nach Angaben der Polizei hat er mit einer „blauen Mappe herumgewedelt". Die einzigen, die sich übrigens standhaft geweigert haben, sich auszuweisen, waren die involvierten Polizisten. Die Version der Staatsanwaltschaft ist derart hanebüchen, dass sich hieraus nur ein Schluss ergibt. Über Repression soll politische Arbeit behindert, wenn nicht gar verunmöglicht werden.

Das Europäische Parlament musste sich nun auf Antrag der deutschen Justiz mit der Aufhebung der Immunität befassen und hat sich dabei nicht mit Ruhm bekleckert. Es gibt dort zwar die Praxis, bei kriminellen Handlungen schnell die Immunität aufzuheben, bei Vorwürfen, die sich auf politische Aktivitäten beziehen und bei tendenziöser Verfolgung (fumus persecutionis) wird die Immunität aber in der Regel nicht aufgehoben. Bei einem erklärten EU-Militärgegner wie Tobias Pflüger nimmt es die Mehrheit aber offensichtlich nicht so genau. Die Anhörung im Rechtsausschuss betrug ganze 15 Minuten, und die zuständige sozialdemokratische Obfrau Maria Berger (Österreich) erklärte auf Nachfrage, es habe sich ja um "schwere" Körperverletzung gehandelt. Mit diesem fundierten „Wissen" über den Vorgang hat sie für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament eine Empfehlung auf Aufhebung der Immunität ausgesprochen.

Mit der Entscheidung des Europäischen Parlaments wurde für die politische Verfolgung der Proteste gegen die NATO-Kriegstreiber grünes Licht gegeben. Die Aushöhlung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland und in der EU geht immer weiter, da ist dieser Fall nur einer unter vielen, wirft aber ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der politischen Kultur innerhalb der Europäischen Union.

Aus dem Einsatz für einen brutal festgenommenen Demonstranten kann so mit politischem Beifall aus Straßburg eine Straftat konstruiert werden. Die neuerlichen Repressionen gegen Tobias Pflüger zeigen jedoch vor allem eines: wie erfolgreich die Proteste in München die hässliche Fratze der herrschenden Kriegspolitik zu Tage bringen. Wir werden uns von diesen Repressionsmaßnahmen nicht entmutigen lassen, sondern im Gegenteil unseren Einsatz gegen die NATO-Kriegspolitik 2007 noch weiter intensivieren.

Online Solidaritätserklärung unter http://www. thomas-mitsch. de/

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Hintergrund
Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI).