Kein Asyl für Kriegsdienstverweigerer

von Rudi Friedrich
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Über Jahre hinaus hatten wir einen russischen Kriegsdienstverweigerer unterstützt. Er floh 1991 aus Russland, zu einer Zeit, als es dort keinerlei Möglichkeit zur Verweigerung des Kriegsdienstes gab. Den paradoxen gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragend, erschien ihm ein Studium an einer Militärhochschule am ehesten geeignet, der Ableistung des Militärdienstes zu entgehen. Nach kritischen Äußerungen im Institut erhielt er dennoch eine Einberufung und entschloss sich, gemeinsam mit seiner Familie nach Deutschland zu fliehen. Bei der Asylantragstellung wurde er aufgefordert, in drei verschiedenen Räumen Stempel abzuholen. Tatsächlich wurde er in diesen Räumen von westlichen Geheimdiensten befragt. Insbesondere der amerikanische Geheimdienst wollte nähere Auskunft über das Institut, in dem er zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte seinen Antrag ab. Dann lag das Verfahren über Jahre beim Amtsgericht. In der Zwischenzeit gab es bezüglich der Deserteure der Westgruppe der ehemaligen sowjetischen Armee eine Sonderregelung, da auch sie von westlichen Geheimdiensten abgehört wurden. Sie sollte aber nicht für ihn gelten. Beim letztlich stattfindenden Prozess wurde der ganze Zynismus des Umgangs mit Flüchtlingen und insbesondere mit Kriegsdienstverweigerern offenkundig. Es war erschreckend zu sehen, mit welcher Unverfrorenheit sowohl der Richter als auch der geladene Zeuge des Bundesamtes seine detaillierten Schilderungen als unglaubwürdig darstellten und ihn trotz offensichtlicher Bedrohung ablehnten. Er und seine Familie konnten nur über die Altfallregelung einen Aufenthaltsstatus erhalten.

Die Verfolgung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern gilt in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in anderen westeuropäischen Ländern nicht als Asylgrund. Dieser Grundsatz drückt sich in zahlreichen Entscheidungen des Bundesamtes und der Gerichte aus: "Die sowohl innerstaatlich als auch völkerrechtlich ausdrücklich anerkannte allgemeine Wehrpflicht ist ein legitimer Ausfluss der jedem Staat kraft seiner Souveränität zustehenden Wehrhoheit. Dies gilt nicht nur für die Länder, die sich durch eine freiheitlich-demokratische Ordnung auszeichnen, sondern beansprucht Geltung auch für weltanschaulich totalitäre Staaten." (1) So droht Kriegsdienstverweigerern die Ablehnung selbst dann, wenn sie aus totalitären Staaten fliehen, wenn es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt oder wenn sie vor dem Zwang zum Kriegsdienst aus Ländern fliehen, die Krieg führen.
Aktuell wurde von diesem Grundsatz bei Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus der Bundesrepublik Jugoslawien abgewichen. Im Mai 2000 erklärte das Innenministerium unter Schily, dass sie dann "mit einer positiven Entscheidung" in ihren Asylverfahren zu rechnen hätten, "(wenn sie) beweisen bzw. glaubhaft vortragen könnten, ab Herbst 1998 bis zur Beendigung des Kriegszustandes nach dem 26. Juni 1999 den Wehrdienst verweigert zu haben bzw. desertiert zu sein". (2) Hintergrund dieser Entscheidung war vor allem, dass die NATO im Kosovo/a-Krieg über Serbien Flugblätter abgeworfen hatte, in dem sie jugoslawische Soldaten aufrief, "Einheit und Kriegsgerät zu verlassen und aus Kosovo zu fliehen". Keine Frage, hier ging es um die schlechteren und besseren Deserteure. Die Deserteure der jugoslawischen Armee sind die,good guys` in einem Krieg, der von der NATO geführt wurde. Nichts kann dies deutlicher machen, als die Strafprozesse, die zugleich gegen FriedensaktivistInnen in Deutschland geführt werden, weil sie im Kosovo/a-Krieg deutsche Soldaten zur Desertion und Befehlsverweigerung aufriefen.

Es stellt sich allerdings die Frage, wie angesichts der Veränderungen in Jugoslawien mit dieser Entscheidung umgegangen wird. Am 30. Oktober 2000 war der Frankfurter Rundschau zu entnehmen, dass "der neue jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica alle politischen Gefangenen, Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtigen begnadigen und damit ein Zeichen für den Bruch mit der Herrschaft des früheren Präsidenten Slobodan Milosevic setzen will". Ein hoffnungsvolles Zeichen ist dies vor allem deswegen, da er mit der Ausarbeitung ein Komitee unter Leitung von Stevan Lilic beauftragt hat, der sich im Rahmen des Jugoslawischen RechtsanwältInnenkomitees für Menschenrechte seit Jahren für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzt. Noch wissen wir nicht, ob es tatsächlich eine umfassende Amnestie geben wird und sind daher auf Vermutungen angewiesen. Es lassen sich aber sehr wohl Rückschlüsse aus dem letzten Amnestiegesetz von 1996 ziehen.

Erinnern wir uns. Damals wurden alle Personen amnestiert, die "bis zum 12. Dezember 1995 der Einberufung keine Folge leisteten und eine strafbare Handlung im Sinne des Artikels 214 oder durch Unerlaubtes Entfernen von der Truppe eine strafbare Handlung im Sinne des Artikels 217 des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik begangen haben. (...) Ausgenommen sind Berufssoldaten bzw. aktive Offiziere und aktive jüngere Offiziere." (3)
 

Das hieß also, dass Militärdienstentziehung und Fahnenflucht, längst nicht aber alle anderen möglichen Delikte, amnestiert wurden. So standen dann weiter "Dienst in den feindlichen Streitkräften", "Befehlsverweigerung" und anderes unter Strafe. Gleichwohl gab es nur wenige Berichte, dass das Amnestiegesetz nicht eingehalten wurde.

Zudem war und ist es nach dem bestehenden Gesetz Reservisten, dem Großteil der flüchtigen Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, nicht möglich, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. Das weiterhin bestehende Gesetz sieht diese Möglichkeit ausschließlich für neue Rekruten vor, aber selbst dieses wurde verschiedentlich vom Militär schlicht ignoriert.

Ganz allgemein muss eine Amnestie noch keine Rehabilitierung der Deserteure bedeuten, sondern ist erst einmal lediglich als eine Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung für ein Delikt oder mehrere zu sehen, die bis auf den von der Amnestie benannten Zeitraum weiter ein strafrechtliches Vergehen bezeichnen. Ein Makel kann bleiben und damit öffnet sich eine Vielzahl außergesetzlicher Repressionen. Wie wir aus der Geschichte Deutschlands und dessen Umgang mit Deserteuren und Verweigerern des II. Weltkrieges wissen, werden sie in großen Teilen der Gesellschaft noch heute, nach über 50 Jahren, als Verräter angesehen.

Mit der zumindest formal erfüllten Bedingung des Daytoner Abkommens, eine Amnestie zu verabschieden, war damals ein Startschuss für die westeuropäischen Regierungen gegeben worden, Militärdienstflüchtige aus der Bundesrepublik Jugoslawien abzuschieben. So kam es dazu, dass abgeschobene Personen, die sich der Teilnahme an den Kriegen entzogen hatten, in Jugoslawien wieder zu Reserveübungen einberufen wurden, d.h. faktisch zum Krieg. Hier erwies sich die Erfüllung der formalen Voraussetzung als ein zynisches Instrument, im Rahmen menschenrechtlicher Standards den Kriegführenden zuzuarbeiten und zugleich das Primat der Flüchtlingsabwehr durchzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass auch jetzt, nach Verabschiedung eines Amnestiegesetzes, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer abgeschoben werden oder ihnen sogar der gewährte Flüchtlingsstatus wieder aberkannt wird.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, welchen zusätzlichen Risiken sich Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gegenübersehen. Der Verweis auf menschenrechtliche Standards ist keineswegs ausreichend, um für sie einen wirklichen Schutz zu erreichen. Die Desertion stellt eines der Grundprinzipien des Militärs in Frage: Befehlen zu gehorchen - und mit diesem Hintergrund sind sie in allen Ländern ungebetene Gäste. Dabei ist für uns klar: wer im Krieg aus dem Militär desertiert, schwächt die Kriegführenden - auf allen Seiten. Das verdient Respekt und Unterstützung.

Anmerkungen
1VGH Baden Württemberg vom 6.2.1985 - A 13 S 223/84
 

2Schreiben des Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern an die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 2000
 

3nach: Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach, 5/96, S.6

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