Interview mit Jürgen Grässlin (RIB) zu den Ergebnissen der UN-Kleinwaffenkonferenz in New York

Kleinwaffenkonferenz - nur heiße Luft?

von Thomas Klein
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Die in New York stattgefundene UN-Konferenz zum Thema Kleinwaffen wird von Seite der Nichtregierungs-Organisationen skeptisch beurteilt, weil wenig Konkretes herausgekommen ist. Das Rüstungs-Informationsbüro RIB hat, zusammen mit anderen deutschen Gruppen, in diesen Tagen eine Kampagne gegen den Export des bei der Bundeswehr eingeführten G-36-Gewehres gestartet.

Frage: Hat das G36 eine so große Bedeutung, dass es nun sogar der Schwerpunkt einer Kampagne geworden ist?

Jürgen Grässlin: Ja, denn tatsächlich sind die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr mittlerweile mit dem neuen G36 ausgerüstet, dem Nachfolgemodell des berüchtigten Schnellfeuergewehres G3. Dessen Serienfertigung entpuppte sich in den vergangenen Jahrzehnten als wahre Goldgrube.

Nach der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte mit der "Braut des Soldaten", so die makabre Bezeichnung für das Gewehr aus Oberndorf, entschloss die H&K-Geschäftsführung seit den 70er Jahren neue Absatzmärkte. Dabei profitierten die schwäbischen High-Tech-Produzenten von der Tatsache, dass der Verkauf angesichts von weltweit mehr als 350 Kriegen und Bürgerkriegen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts boomte. In nur wenigen Jahren avancierte das schwäbische Unternehmen zum größten deutschen Hersteller von Handfeuerwaffen. Kaum eine kriegerische Auseinandersetzung fand und findet ohne den mörderischen Einsatz der H&K-Handfeuerwaffen statt.

Frage: Welche Bedeutung besitzt Heckler & Koch auf dem internationalen Markt der Kleinwaffenexporteure?

Jürgen Grässlin: Gemessen an der Zahl der Empfängerländer ist Heckler&Koch bis heute unangefochtener deutscher Rüstungsexportmeister. Auf Bundestagsfragen sah sich Willy Wimmer, früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, zum Eingeständnis gezwungen, dass für G3-Gewehre "bis 1988 für über 80 Länder Ausfuhrgenehmigungen erteilt" wurden. Während die Bundesregierung unter Helmut Kohl gebetsmühlenartig die Leier einer "restriktiven Rüstungsexportpolitik" wiederholte, erteilte sich H&K zugleich einen Freilieferschein für Waffenexporte an nahezu alle Scheindemokratien und Diktaturen.
 

Frage: Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang auch die Lizenzvergaben ...

Jürgen Grässlin: ... richtig, folgenschwerer noch als die Direktexporte aus Oberndorf haben sich die Lizenzvergaben ausgewirkt.

Über 20 Nachbaurechte für H&K-Waffen sind bislang vergeben worden - mehr als bei der russischen Kalaschnikow oder der US-amerikanischen M16.

G3-Gewehre sowie MP5-Maschinenpistolen werden in den Fabrikationsstätten in Lateinamerika, im Nahen Osten oder in Südostasien produziert. Bis heute zählt das G3 - von dem insgesamt zwischen 7 und 10 Millionen Exemplare zumeist in Lizenz gefertigt worden sind - neben der Kalaschnikow AK47, der M16, der israelischen Uzi und der belgischen FN FAL zu den meist eingesetzten Gewehren auf den Schlachtfeldern in aller Welt.

Nach 1961 genehmigten die Bundesregierungen - bei wechselnder parteipolitischer Besetzung - die Vergabe der Nachbaurechte und den Verkauf entsprechenden Know-hows an die Lizenznehmer im Ausland: So sind G3-Lizenzen 1961 an Portugal, 1963 an Pakistan, 1964 an Schweden, 1967 an Norwegen, den Iran und die Türkei, 1969 an Saudi-Arabien, 1970 an Großbritannien und Frankreich, 1971 an Thailand, 1977 an Griechenland, 1979 an Mexiko und 1981 an Burma vergeben worden.

Wiederholt erfolgte die Lizenzvergabe sogar auf Betreiben der Regierung. Längst ist der Interessenverband Heckler&Koch & Bundesregierungen zum Weltmeister der Lizenzvergaben im Handfeuerwaffenbereich aufgestiegen.

Frage: Welche unmittelbaren Folgen hatten die G3- und MP5-Exporte bzw. die Lizenzvergaben?

Jürgen Grässlin: Deutschland ist eines der wenigen Länder, deren Gewehre über Direktexporte und Lizenzvergaben das Morden rund um den Globus ermöglichen. Bis heute wurden rund 10 Millionen G3-Gewehre produziert, exportiert und eingesetzt. Handfeuerwaffen sind Prestigeobjekte von Rüstungsmanagern, Militärs und Verteidigungspolitikern.

Mehr als das aber sind sie das gebräuchlichste Mittel der Kriegführung. Handfeuerwaffen - neben Landminen - sind "konventionelle" Waffen und fordern dennoch weitaus mehr Tote als diejenigen Waffen, die gemeinhin als Massenvernichtungswaffen gelten.

Frage: Welche Aspekte sind bei der UN-Konferenz in New York zu kurz gekommen?

Jürgen Grässlin: Zunächst einmal: Kein bundesdeutscher Regierungsvertreter - gleich welcher parteipolitischen Couleur - hat es bislang gewagt, ein Export- geschweige denn ein Produktionsverbot dieser Massenvernichtungswaffen zu fordern.

Gerade daran krankte auch die UN-Kleinwaffenkonferenz. Die großen Exportnationen - die nahezu jedes Schlachtfeld ganz legal mit Waffen beliefern - diskutieren über illegale Waffentransfers und pumpen zugleich - ganz legal - den Globus mit Handfeuerwaffen voll.

Die Folgen der deutschen Rüstungsexportpolitik sind katastrophal: Abgesehen von wenigen Regionen - der Arktis, der Antarktis, den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts und China - finden sich Heckler&Koch-Gewehre im mörderischen Dauerfeuer. Bis zum heutigen Tag sind Hunderttausende von Menschen von H&K-Waffen getötet worden - mehr Menschen, als Oberndorf seit seiner Stadtgründung im Jahre 1251 insgesamt an Einwohnern gehabt hat.

In New York nur auf die derzeit im Umlauf befindlichen Kleinwaffen zu zeigen und zugleich am Geschäft mit den Nachfolgemodellen zu profitieren, das ist Heuchlei. Für das G36 ist bereits eine Lizenz nach Spanien und Großbritannien vergeben. Erste G36 tauchen wohl - so unsere Rechercheergebnisse - bereits auf dem US-Markt und in Honduras auf. Wer den Handel mit Kleinwaffen begrenzen will, muss auch auf den Export der Neuwaffen verzichten. Weder die Politiker in den USA, Russland, China oder Deutschland wollen das. So trifft sich die interessierte Welt in New York, verhandelt mit einem falschen Ansatz über das richtige Thema - und ist ansonsten nicht im mindesten bereit, die heilige Kuh zu schlachten.

Frage: Die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler&Koch (H&K) ist Anfang der 90er Jahre von der britischen Firma Royal Ordnance (RO) gekauft worden: Müssten da nicht in erster Linie Verantwortliche des "Mutterkonzerns" bzw. Politiker in Großbritannien mit ihren Forderungen konfrontiert werden?

Jürgen Grässlin: Dreißig Jahre nach seiner Einführung war der G3-Markt gesättigt, die Schnellfeuergewehre entsprachen längst nicht mehr den High-Tech-Ansprüchen der NATO-Kampftruppen. Als die Bundesregierung den bereits erteilten Großauftrag für das neu entwickelte G11-Gewehr stornierte, stand Heckler & Koch vor dem Konkurs. Rückwirkend zum 1. Januar 1991 wurde H&K zu hundert Prozent von Royal Ordnance übernommen, einem Tochterunternehmen des größten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns British Aerospace. RO befand sich bereits im Besitz einer G3-Lizenz. Die Zielsetzung der Londoner Geschäftsführung war eindeutig: H&K sollte über eine weitere Waffenentwicklungen wieder in die Spitzengruppe der Handfeuerwaffenfirmen geführt und erneut zu einem hoch profitablen Unternehmen gemacht werden.

Mit dem G36 geht diese Strategie auf. Wir reagieren in diesen Tagen mit der Gründung einer G3/G36-Kampagne, bei der auch englische Nichtregierungsorganisationen wie die Omega Foundation aus Manchester miteinbezogen werden.

Frage: Die Bundesregierung hatte zu ihrem Amtsantritt u.a. dem Export von Kleinwaffen und den damit zusammenhängenden Problemen, z.B. den Einsatz von Kindersoldaten - die mit einem Schnellfeuergewehr umgehen können - den Kampf angesagt. Sind entsprechende Bemühungen deutlich geworden?

Jürgen Grässlin: Wenn die Bundesregierung ihre Ankündigung wahr macht und die überschüssigen 400.000 G3-Gewehre tatsächlich verschrottet, dann ist das ein ernst zu nehmendes Signal in die richtige Richtung.

Wenn allerdings der geheim tagende Bundessicherheitsrat - wie geschehen - nur wenige Monate zuvor der Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei zustimmt, wird die eigene Abrüstungspolitik konterkariert. Immerhin ist das 5,56 mm-Kaliber der Munitionsfabrik von Fritz Werner auch für das neue G36 sowie für die HK 33 geeignet, von der derzeit rund 500.000 Stück in der Türkei gefertigt werden.

Damit leistet Rot-Grün Unterstützung beim Völkermord in Kurdistan. Jegliche Versprechungen eines Gerhard Schröder, Rudolf Scharping oder Joschka Fischer bezüglich einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik platzen als verbale Seifenblasen.

Frage: Ausblick: Welche Gruppen beteiligen sich an der Kampagne, was ist derzeit geplant?

Jürgen Grässlin: Wir schmieden im Moment ein breites Bündnis von Menschenrechts- und Friedensorganisationen, an dem in Deutschland amnesty international, medico international, die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), Pax Christi und das Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB) und andere Organisationen und Gruppen beteiligt sein sollen.

Sollte die Bundesregierung die G3-Verschrottung betreiben und zeitgleich die weltweite G36-Verbreitung genehmigen, dann steht ihr ein heißes Wahlkampfjahr 2002 bevor.

Denn von Menschenrechten reden und den Schlächtern der Welt zugleich die Werkzeuge für ihr martialisches Handeln zu liefern, das passt nicht im mindesten zusammen.

Kurzbiografie Jürgen Grässlin:
Publikationen: Autor mehrerer kritischer Sachbücher über Rüstung, Militär und Wirtschaftspolitik ("Den Tod bringen Waffen aus Deutschland" 1994, "Daimler-Benz. Der Konzern und seine Republik" 1995, "Lizenz zum Töten. Wie die Bundeswehr zur internationalen Eingreiftruppe gemacht wird" 1997, "Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne", 1998 publiziert im Droemer Verlag. Im August 2000 erschien gleichsam im Droemer Verlag München die Biografie des Volkswagen-Chefs "Ferdinand Pi‰ch. Techniker der Macht".

Mitgliedschaften:
Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC), Vorstandsmitglied Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB e.V.), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Verkehrsclub Deutschland (VCD) und amnesty international; ehemals grüner Bundestagskandidat in Baden-Württemberg, seit einem Jahr parteilos

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