Klimawandel, Migration und Konflikt im Pazifik

Klimawandel: Keine Bedrohung, sondern Realität

von Volker Böge
Hintergrund
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Der Pazifik wird zusehends zum Schauplatz geostrategischer Konkurrenz zwischen der Supermacht USA und ihren regionalen Verbündeten, insbesondere Australien, auf der einen Seite und der Volksrepublik China auf der anderen. Die kleinen pazifischen Inselstaaten werden von beiden Seiten lediglich als Bauern auf dem Schachbrett ihres geopolitischen Großmachtspiels angesehen.

Die Inselstaaten weigern sich allerdings standhaft, sich instrumentalisieren zu lassen. Sie haben wiederholt klar gemacht, dass für sie nicht China, sondern der Klimawandel die größte Bedrohung ihrer Sicherheit darstellt. (1) Im Juli dieses Jahres erklärten die pazifischen Staats- und Regierungschefs auf der Tagung des Pacific Island Forum in Suva, Fidschi, überdies den ‘Klimanotstand’ für ihren Blauen Kontinent. (2) Für ihre Länder ist die Klimakatastrophe keine künftige Bedrohung, sondern heutige Realität. Meeresspiegelanstieg, verheerende Überschwemmungen, sterbende Korallenriffe, an Häufigkeit und Intensität dramatisch zunehmende tropische Wirbelstürme und andere Folgen des Klimawandels bedrohen akut Ernährungssicherheit, die Sicherheit der Wasserversorgung und die Sicherheit der Siedlungen und Infrastruktur in den pazifischen Inselstaaten.
Diese Klimawandelfolgen führen zusehends zu Flucht, Migration und Umsiedlung. Dies wiederum kann zu Konflikten und Gewalt führen. Dabei geht es nicht um „Klimakriege“, sondern um gewaltsamen Konfliktaustrag im lokalen Rahmen oder Formen alltäglicher Gewalt: Konflikte zwischen Dorfgemeinschaften, die aus ihren Siedlungen auf niedrig liegenden Atollen oder an der Küste umsiedeln müssen und den Gemeinschaften im Zielgebiet der Umsiedlungen, häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder in den informellen Siedlungen am Rande der wenigen urbanen Zentren, die Zufluchtsorte von Menschen werden, die in ihren von den Klimawandelfolgen betroffenen Dörfern nicht mehr bleiben können. Diese Formen von Konflikt und Gewalt bleiben unter der Aufmerksamkeitsschwelle von Politik und Forschung, die sich mit „Klimawandel als Sicherheitsbedrohung“ befasst, sie haben aber für die betroffenen Menschen einschneidende, zuweilen tödliche, Konsequenzen.

Den Zusammenhängen von Klimawandel, menschlicher Mobilität (in verschiedenen Formen: Migration, Flucht, geplante Umsiedlung) und Konflikt im Pazifik ging eine Tagung in Neuseelands Hauptstadt Wellington im Oktober nach. (3) Organisiert vom Toda Peace Institute, brachte die Tagung Politiker*innen (unter anderem die Außenminister von Neuseeland und Tuvalu), Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Kirchen und Friedensorganisationen, die betroffene Gemeinschaften unterstützen, zusammen, um eine Bestandsaufnahme der Problem- und Konfliktlagen vorzunehmen und Wege der friedlichen Konfliktbearbeitung und Friedensschaffung zu diskutieren.

Es wurde deutlich, wie groß die Spannbreite der Probleme ist. Sie reicht von der existentiellen Bedrohung ganzer Staaten bis zu den Schwierigkeiten kleiner Dorfgemeinschaften, die umsiedeln müssen. Simon Kofe, der Außenminister Tuvalus, erklärte zum Beispiel, dass seine Regierung sich mit der Frage auseinandersetzen müsse, ob Tuvalu als Staat weiter existieren könne, wenn Tuvalus Inseln in Folge des Klimawandels unbewohnbar werden oder gar völlig im Meer versinken und die Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Denn nach heutigem internationalen Recht sind „Staatsgebiet“ und „Bevölkerung“ notwendige Kriterien für Staatlichkeit. Kofes Regierung aber will eine Bestandsgarantie für Tuvalu auch für den Fall der Unbewohnbarkeit oder des völligen Untergangs. Die Friedensorganisation Transcend Oceania in Fidschi wiederum arbeitet mit Dorfgemeinschaften zusammen, die von der Regierung zwangsumgesiedelt werden und dabei mit enormen praktischen, materiellen, psychischen und nicht zuletzt spirituellen Problemen konfrontiert sind. (4) 

Immer wieder wurde die enge Verbindung zwischen den Menschen und dem Land in pazifischer Kultur und Weltsicht betont. Der Verlust ihres Landes, inklusive der Ruhestätten ihrer Vorfahren, hat für sie traumatische Folgen. Sicherheit geht für sie weit über materielle Sicherheit, die Sicherheit von Wasser und Ernährung usw. hinaus. Sie hat auch eine spirituelle Dimension, die in dem vorherrschenden, von westlichen Vorstellungen geprägten, Diskurs über Klimawandel, Migration und Konflikt/Frieden ignoriert oder marginalisiert wird. Aus pazifischer Weltsicht greift selbst ein auf den ersten Blick so progressives Konzept wie das der „menschlichen Sicherheit“ (human security), das sich positiv von nationaler oder militärischer Sicherheit abhebt, noch zu kurz. Geht es doch nach wie vor von einer Trennung von Mensch und Natur aus, von der Annahme, dass menschliche Sicherheit getrennt von oder ohne die Sicherheit des „Rests“ der Welt zu haben sei (wobei dieser „Rest“ nach pazifischer Weltsicht nicht nur materiell zu verstehen ist – andere Lebewesen, das Land, das Meer usw. -, sondern auch immateriell – die Geister der Ahnen, die ungeborenen Generationen).

Es ist bitter, dass Menschen und Gemeinschaften im Pazifik mit einem solchen Sicherheits- und Weltverständnis, die so gut wie nichts zur Klimakatastrophe beigetragen haben, nun die Hauptleidtragenden dieser Katastrophe sind und sich mit der existentiellen Frage herumschlagen müssen, wie sie mit den Folgen in gewaltfreier und friedlicher Form umgehen können. Die Hauptverursacher der Katastrophe weigern sich nach wie vor, wirkungsvoll zu helfen, wie man an den Diskussionen über ‘loss and damage’ bei COP 27 in Ägypten einmal mehr feststellen konnte. Klimagerechtigkeit? Fehlanzeige.

Anmerkungen
1 So etwa in der vom Pacific Island Forum, der Regionalorganisation der pazifischen Inselstaaten, im Jahre 2018 verabschiedeten Boe Declaration zur regionalen Sicherheit https://www.forumsec.org/2018/09/05/boe-declaration-on-regional-security/
2 https://www.forumsec.org/2022/07/17/report-communiqü-of-the-51st-pacific-islands-forum-leaders-meeting/
3 https://toda.org/global-outlook/global-outlook/2022/filling-the-basket-o...
4 https://rc-services-assets.s3.eu-west-1.amazonaws.com/s3fs-public/%5BDIG...

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