We shall overcome!

Lebenshaus Schwäbische Alb

von Renate Wanie
Initiativen
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Der Verein „Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie“ wurde bereits 1993 in der damals hochmilitarisierten Region auf der Alb gegründet. Dem gingen viele Jahre der Friedensarbeit voraus, u.a. des gewaltfreien Widerstands gegen die Stationierung der atomaren Kurzstreckenraketen im nur 13 km entfernten Großengstingen. Nach dem 2. Golfkrieg entstand ein regionales Friedensnetz, das Lebenshaus wurde gegründet und ein Gebäude erworben. Konfrontiert waren die Aktiven jedoch auch mit diskriminierenden Angriffen, einer Hausdurchsuchung und Gerichtsverfahren.

Zu den Veranstaltungen des Lebenshauses zählt vor allem die seit neun Jahren stattfindende jährliche Tagung „We shall overcome! Gewaltfrei aktiv für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht“, bei der geladene Referent*innen ihren biografischen Zugang zur Friedensarbeit vortragen, stets musikalisch begleitet. In die Öffentlichkeit wirkt der Verein u.a. mit zwei Websites und einem vierteljährlich erscheinenden gedruckten Rundbrief. Mitglieder der Kernwohngruppe sind der Sozialwissenschaftler und Pädagoge Michael Schmid und Katrin Warnatzsch, Beauftragte für "Soziale Friedensarbeit" im Lebenshaus; einer ihrer Schwerpunkte ist die Begleitung von Geflüchteten und Asylsuchenden.

Friedensforum (FF): Mit welcher Idee / auf welchem Hintergrund habt Ihr das Lebenshaus wann gegründet?

Michael Schmid (MS): Die Gründung des Vereins „Lebenshaus Schwäbische Alb“ hat eine lange Vorgeschichte. Manche der Gründungsmitglieder hatten sich vor Ort schon seit Anfang der 80er Jahre für die Ziele Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie engagiert. Ab 1981 gab es z.B. eine Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Es war nicht immer einfach, sich in einer konservativ geprägten, damals hoch militarisierten Region gegen atomare Aufrüstung auszusprechen und für „Frieden schaffen ohne Waffen“ einzutreten.

Im Umkreis von 30 Kilometern befanden sich ein gutes Dutzend Kasernen, Truppenübungsplätze und Militärdepots, darunter drei Depots mit Atomsprengköpfen, z.B. atomare Lance-Kurzstreckenraketen bei Großengstingen  und atomare Pershing Ia-Raketen in Inneringen. Entsprechend waren Truppenbewegungen mit Militärlastwagen und Panzern auf den Straßen, Soldaten, die auf Wiesen, Feldern, in den Wäldern und Dörfern den Krieg übten und zudem der Terror von Tieffliegern in der Luft damals unser Alltag.

Mit unseren Aktionen haben wir ein teilweise positives Echo hervorgerufen. Andererseits gehören wir zu einer Minderheit und mussten zum Teil drastische Erfahrungen mit undemokratischen Ausgrenzungen und Diskriminierungen machen.

Katrin Warnatzsch (KW): Vor dem Golfkrieg 1991 hatten wir eine Mahnwache geplant. Daraus wurden dann insgesamt sieben Wochen mit täglichen Mahnwachen in Gammertingen, mit bis zu 200 Menschen. Anschließend bildeten wir ein „Friedensnetz Gammertingen“, das drei Jahre lang zahlreiche Aktivitäten umsetzte. Daraus entstand die Initiative, die 1993 zur Gründung des Vereins „Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.“ führte.

FF: Mit welchen konkreten Aktivitäten habt ihr in den letzten Jahren Eure Ansprüche und Vorhaben in die Realität umgesetzt?

KW: Ein zentral wichtiges Anliegen für uns ist es, uns solidarisch zu verhalten gegenüber Menschen, denen es nicht gut geht, die am Rande stehen, ausgegrenzt sind. Es handelt sich um Geflüchtete, politisch Verfolgte und andere Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, sowie um Menschen mit wenig Geld. Im vereinseigenen Lebenshaus in Gammertingen können manche Menschen aus diesen Zielgruppen zeitweise gemeinsam mit der „Kerngruppe“ wohnen. In rund 25 Jahren haben weit über 200 Menschen mit den vielfältigsten Befindlichkeiten eine Zeit lang Unterkunft und Unterstützung im Lebenshaus gefunden - manche mehrere Jahre lang.

Afghanistan auf der schwäbischen Alb
MS: Ein Thema, das sich seit nahezu 20 Jahren wie ein roter Faden durch unsere verschiedenen Handlungsfelder zieht, ist Afghanistan. Wir haben seit 2001 gegen den Krieg der USA und NATO in Afghanistan protestiert, haben Mahnwachen gehalten, Unterschriftensammlungen durchgeführt, uns an verschiedenen Demos beteiligt und eine Reihe von Vortragsveranstaltungen gemacht. Im Jahr 2010 hatte unsere Stadt Gammertingen öffentlichkeitswirksam Soldaten ihrer „Patenschaftskompanie“ in den Kriegseinsatz nach Afghanistan geschickt und die enge Verbundenheit zwischen der Stadt und der Bundeswehr betont. Dagegen haben wir mit einem „Offenen Brief“ an den Bürgermeister protestiert und gefordert, die „Patenschaft“ mit der Bundeswehreinheit wieder aufzugeben. Der Wirbel, den wir damit auslösten, war groß. Es wurde versucht, unseren Protest ins Lächerliche zu ziehen und zu kriminalisieren. Letzteres mündete gar in eine rechtswidrige Hausdurchsuchung im Lebenshaus. Jahre später wirkten sich der Krieg am Hindukusch und das unglaubliche Leid des Krieges in ganz anderer Weise auch auf unsere Kleinstadt aus. Zahlreiche junge afghanische Geflüchtete wurden in einer staatlichen Unterkunft in Gammertingen untergebracht, frühzeitig kamen wir in Kontakt.

KW: Im Frühjahr 2016 habe ich im Lebenshaus zunächst mit Sprachtrainings für junge afghanische Männer aus der Unterkunft begonnen. Bald ging es und geht es bis heute um vielfältige Lebensfragen sowie um die rechtlichen Angelegenheiten im Asylverfahren. Denn nach den Anhörungsverfahren beim BAMF erhielten alle bis auf einen damals in Gammertingen lebenden Afghanen einen Ablehnungsbescheid. Bei ihrer Klage gegen diese Bescheide unterstützten wir sie. Für die Begründung der Klagen habe ich mit jedem Einzelnen in sehr langen Gesprächen die individuelle Fluchtgeschichte herausgearbeitet und verschriftlicht - eine teilweise sehr schwierige, nervenaufreibende Arbeit für alle Beteiligten. Doch das hat sich letztlich gelohnt. In immerhin 14 von 17 Klageverfahren wurden die Bescheide des BAMF durch das Verwaltungsgericht Sigmaringen aufgehoben. Mit ihrer erfolgreichen Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland haben sie sich ein Aufenthaltsrecht erstritten. Übrigens leben zwei afghanische Männer seit Anfang 2018 bei uns im Lebenshaus. Seit Januar 2017 führen wir in Gammertingen Protestkundgebungen gegen die menschenverachtenden Abschiebungen nach Afghanistan durch.

FF: In all den Jahren Eures kontinuierlichen Engagements habt Ihr vielfältige öffentliche Veranstaltungen und Aktionen organisiert. Was waren rückblickend eure Themen?

MS: Wir sind vielfältig vernetzt, sind z.B. Mitglied bei der „Kooperation für den Frieden“,  ICAN-Partnerorganisation und gehören dem Aktionskreis der Kampagne „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!” an. Ein Teil unserer Aktivitäten findet im Rahmen solcher und weiterer Bündnisse statt. Zudem organisieren wir Veranstaltungen und Aktionen in unserer Region selbst. Thematisch ging es um Kriege wie im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan, Irak oder Syrien, es ging um Atomenergie bzw. Atomausstieg, auch im Zusammenhang mit den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, ebenfalls um die Klimakatastrophe, die Energiewende. Beschäftigt haben uns aber genauso zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung oder Rückblicke in die Geschichte der Gewaltfreiheit, z.B. um Gandhi und King, sowie um wichtige gewaltfreie Aktionen, wie etwa Blockadeaktionen vor Atomraketenstellungen in Großengstingen und Mutlangen.

Perspektiven
FF: Gibt es aktuell ein neues Lebenshaus-Projekt?

KW: Dieses Jahr haben wir zusätzlich ein neues Projekt gestartet. Auf einer extra hierfür eingerichteten Website „Kriegsdienstverweigerer. Unsere Geschichten“ (www.kriegsdienstverweigerer-geschichten.de) berichten Kriegsdienstverweigerer (BRD) und Wehr- bzw. Waffendienstverweigerer (DDR) über ihre Erfahrungen. Wir hoffen, dass dieses Erinnern zur Ermutigung beitragen kann. Das von diesen damals jungen Männern Geleistete kann auch heute noch ein Vorbild sein für die junge Generation, wenn es z.B. um die Auseinandersetzung mit den demokratischen Grundrechten und den Menschenrechten geht. Oder um die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder anderen Zwangsdiensten.

FF: Was ist eure politische Perspektive für die Zukunft, und wie schätzt ihr euren Beitrag ein, die gesellschaftlich notwendige Transformation sozial, ökologisch und pazifistisch zu unterstützen?

MS: Klimaerhitzung und Zerstörung der Lebensgrundlagen, atomare und konventionelle Aufrüstung, Armut, Elend und Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd sowie innerhalb unserer eigenen Gesellschaft, Kriege und Rüstungsexporte, Millionen Menschen auf der Flucht – alles riesengroße Herausforderungen, die dringend Antworten benötigen. Deshalb setzen wir uns in Bündnissen gemeinsam mit anderen Organisationen für grundlegende gesellschaftspolitische und ökonomische Veränderungen ein. In der Perspektive muss der Kapitalismus überwunden werden. Mit Veranstaltungen, Aktionen und mit unseren Medien versuchen wir, dazu beizutragen. Andererseits versuchen wir im Kleinen etwas von dem umzusetzen, was wir gesamtgesellschaftlich für wichtig ansehen. Uns war und ist wichtig, auch mit einer kleinen Zahl von aktiven Menschen mit dem zu beginnen, was uns möglich ist. Verbunden mit der Hoffnung, andere mit auf diesen Weg zu nehmen. Im Wissen darum, dass sich bereits viele Menschen und Gruppen in unserem Land und weltweit für eine andere Welt engagieren. Letztlich aber versuchen wir zu handeln, unabhängig davon, wie groß die Aussichten auf Erfolg sind.

www.lebenshaus-alb.de, Spendenkonto: GLS Bank e.G., IBAN DE36 4306 0967 8023 3348 00

Interview von Renate Wanie mit Michael Schmid und Katrin Warnatzsch.

Renate Wanie ist Mitglied in der Redaktion des Friedensforums. Sie war 2020 als Referentin zu der jährlichen Tagung des Lebenshauses „We shall overcome!“ eingeladen und sehr beeindruckt von dem Projekt.

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