Die Leo-Kampagne

"Legt den Leo an die Kette!" - ein bescheidener Erfolg 2012.

von Peter Grottian

Seit der vehementen Debatte über die geplanten deutschen Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien versucht die Bundesregierung ihren Waffenhandel hinter der Wolke der Geheimhaltung zu verstecken. Inzwischen ist sie so in der Defensive, dass sie nach unseren Informationen vorerst noch nicht einmal mehr riskiert, neue geplante Waffendeals auf die Tagesordnung des Bundessicherheitsrates zu setzen – im Vorfeld eines unangenehmen Themas zum Wahljahr 2013.

Und trotzdem tun wir uns mit Kampagnen gegen den Waffenhandel schwer, trotz allen Rückenwinds aus der Bevölkerung und Teilen der Medien. Denn ein gutes Konzept muss nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen. So ist zu erklären, warum der vielfältig konzipierte Protest zu keiner wirklichen öffentlichen Debatte führte, der zivile Ungehorsam ausgehebelt und herrschaftlich weggelächelt wurde und die Mobilisierung der Menschen weit hinter unseren Erwartungen zurückblieb. Wir haben durchaus vorzeigbare Erfolge, aber wir sind nicht stark genug, um der Bundesregierung eine erneute gesellschaftspolitische Debatte aufzuzwingen. Zu berichten ist jedenfalls von einem bescheidenen Erfolg.

Exemplarischer Konflikt!
Wir wollten im Rahmen des großen Bündnisses „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ mit der Zuspitzung auf die bekannt gewordenen Panzerdeals mit Saudi-Arabien, Katar, Indonesien, Brasilien und Algerien einen exemplarischen Konflikt vom Zaun brechen. Das große Bündnis „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ war eher für das allgemeine Thema Waffenhandel mit der Perspektive zuständig, bei allen potentiellen Bundestagsparteien des Jahres 2013 in den jeweiligen Wahlprogrammen ein Verbot von Rüstungsexporten mit dem Art. 26 (2) des Grundgesetzes zu verankern. Es schien uns sinnvoll, ein Personenbündnis im Rahmen des Aufschrei-Bündnisses zu etablieren, das Menschen zu Protesten bis zum zivilen Ungehorsam aufrufen und in Aktionen vor den Waffenschmieden zur Leo-Produktion realisieren sollte. Verbunden damit war ein „Aufruf bis zum zivilen Ungehorsam“, der von über 300 MitstreiterInnen der Bewegung, von HochschullehrerInnen, KünstlerInnen, GewerkschaftlerInnen, ParteienvertreterInnen und ProminentInnen bis zu Konstantin Wecker und Peter Sodann unterzeichnet worden ist. Auf dieser Basis wollten wir keine Massenbewegung, sondern mit einer Vielfalt von zusammenhängenden Aktionen öffentlich präsent sein und den Druck auf die verantwortungslose Leopard-Politik der schwarz-gelben Koalition erhöhen. Die Bundesregierung sollte zumindest Stellung beziehen. Sichtbar unangenehm war deshalb der Bundeskanzlerin Merkel der „Aufzug“ von über 100-Leo-Holzpanzern anlässlich von Veranstaltungen auf dem Katholikentag in Mannheim.

Illuminationsprojekt
Wir starteten am 29. August 2012 mit einem Illuminationsprojekt. Journalisten und Bewegte waren auf einem offenen Doppeldeckerbus eingeladen, eine „schöne“ Merkel-Karikatur auf dem Leo-Panzer mit unterschiedlichen Slogans per Laser-Projektion auf öffentlichen Gebäuden zu besichtigen. So erlebte das Bundeskanzleramt eine Verschönerung mit Merkels Ritt auf dem Leo und dem Slogan „Legt den Leo an die Kette!“, und die saudi-arabische Botschaft und das Bundesverteidigungsministerium wurden mit der Merkel-Nachricht bestückt: „Sorry – no tanks to Saudi-Arabia“. Die Presse und vor allem die Presseagenturen sowie Fernsehstationen waren vertreten, gute Bilder wurden ins Netz der Agenturen gestellt – und doch blieb die mediale Resonanz überregional weitgehend aus.

Proteste in Berlin, Kassel und Friedrichshafen
Am 31. August – einen Tag vor dem traditionellen Antikriegstag – setzten wir die Proteste bis zum zivilen Ungehorsam in Berlin, Kassel und Friedrichshafen fort. In Berlin blockierte eine 40 Personen starke Gruppe den Eingang der Lobbyzentrale von Krauss-Maffei Wegmann in der unmittelbaren Nähe zum Brandenburger Tor. Polizei war nicht aufgezogen, und der Konzern hatte es darauf abgestellt, die Aktion ins Leere laufen zu lassen. Der Protest weitete sich zwar noch auf die Flure und das Treppenhaus des Konzernsitzes aus, aber alles blieb friedlich und ohne jegliche Zwischenfälle. Die Medien waren gut vertreten, die Fotos der Blockade wurden von den Agenturen angeboten – aber die lokale, regionale und überregionale Medienresonanz blieb merkwürdig schwach – auch mit der zutreffenden ironischen Kommentierung der taz, dass der zivile Ungehorsam eher inszeniert erscheine. In Kassel liefen die Aktionen des Kasseler Friedensratschlags eher auf eine Demonstration in der Stadt und vor den Werkstoren von Krauss-Maffei Wegmann hinaus. Die Beteiligung war mit etwa 400 TeilnehmerInnen recht gut, und die regionale und überregionale Medienresonanz war respektabel (FR, HR etc.). In Friedrichshafen versammelten sich ca. 100 TeilnehmerInnen vor dem Werk von MTU, dem Motorenhersteller des Leopard-Panzers. Kurzfristig wurde die Zufahrt zum Werk blockiert. In den Nächten zuvor hatten Aktivisten in acht Rüstungsstandorten am Bodensee die Ortseingangstafeln mit echt aussehenden Etiketten eines rot durchgestrichenen Schildes „Rüstungsstandort“ überklebt. Die lokale und regionale Berichterstattung war in den Printmedien und bei privaten wie öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern erfreulich.

Konzert von „Lebenslaute“ vor Heckler & Koch
Am 3. September schließlich veranstaltete „Lebenslaute“ – ein sich höchst politisch verstehendes 100-köpfiges Orchester – mehrere Konzerte vor den Werkstoren der todbringenden Waffenschmiede Heckler & Koch in Oberndorf/Neckar. In den Morgenstunden vor der ersten Schicht blockierten die AktivistInnen von „Lebenslaute“ fünf Eingänge gewaltlos, aber immerhin so, dass einzelne MitarbeiterInnen des Konzerns umdrehten und einen anderen Eingang suchen mussten. Es kam zu schärferen Wortwechseln. Die Polizei griff trotz Präsenz nicht ein. Zusätzlich wurde die Haupteinfahrt blockiert, trotz erheblicher Interventionen des Werkschutzes. In den Morgenstunden veranstalteten unterschiedliche kleine Musikgruppen Klein-Konzerte vor den jeweiligen fünf Werkstoren, die bunt und musikalisch blockiert wurden. Anschließend fand – völlig ungestört – das große Abschlusskonzert vor dem Haupteingangstor von Heckler & Koch statt. Es gab eine festlich-fröhliche Stimmung unter den ca. 300 TeilnehmerInnen, die den MusikerInnen begeistert applaudierten. Eine ironische Denkmalseinweihung für den Gründer der Fabrik, Paul von Mauser, durch den verkleideten „Beauftragten der Bundesregierung“ rundete das Programm ab. Im südwestlichen Teil der Republik gab es in fast allen Medien eine ausführliche Berichterstattung – eine überregionale Resonanz blieb bis auf 2 – 3 Ausnahmen aber auch aus. Die Berichterstattung über den zivilen Ungehorsam fiel fast völlig unter den Tisch. Der Tenor lautete: Mit klassischer Musik gegen Rüstung – schönes Bild vor dem Werkstor. Das war´s. Keine Frage – die von „Lebenslaute“ konzipierte und mit anderen Gruppen getragene Veranstaltung war nach innen und außen ein guter Erfolg, weil sich MusikerInnen, soziale Bewegungen und regionale Mobilisierungen ergänzend dynamisierten.

Düsseldorf, Heidelberg, Freiburg
Am 26. Oktober wurden die Proteste mit einer Blockade von Rheinmetall in Düsseldorf, einer Belagerung eines Rüstungskonzerns in Heidelberg und einer Innenstadtaktion in Freiburg mit erheblicher regionaler Resonanz vorerst abgeschlossen. Die Blockade vor Rheinmetall mit ca. 100 Aktivisten hatte von den drei Aktionen die öffentlichkeitsstiftendste Wirkung.

(Diese Aktionen konnten hier nicht näher besprochen werden, da das FriedensForum redaktionell schon vor Erstellung dieses Aufsatzes abgeschlossen war. Es gibt sehr gute Aktionsberichte auf aufschrei-waffenhandel.de / Aktionen; d. Red.)

Was lässt sich lernen?
Massenhafter ziviler Ungehorsam ist in der Regel ein Erfolgsrezept, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung und eine gut arbeitende soziale Bewegung zusammen trifft. Wyhl, Wackersdorf, Gegen Rechtsextremismus in Dresden und anderswo, Gorleben und Stuttgart 21 sind Stichworte für erfolgreichen massenhaften zivilen Ungehorsam. Wir aber sind in den Protesten gegen den Waffenhandel und gegen die Panzerdeal-Politik noch nicht massenhaft. Es gibt zwar die dicken Mehrheiten in der Bevölkerung für unser Protestanliegen, aber es produziert nur verbalen Rückenwind und ein zu schwaches Engagement. So, wie wir zurzeit zivilen Ungehorsam praktizieren, wird er eher ignoriert, weggelächelt oder ins Leere befördert. Unter uns selbst gibt es keine mobilisierungsfähige Position, dass ziviler Ungehorsam notwendigerweise zur Aufmischung der verstockten Demokratie gehört. Und unsere eigenen Ängste, den zivilen Ungehorsam zu praktizieren, sind unübersehbar. Schelte nützt wenig, wir müssen uns auf den Weg machen und in der jeweiligen Situation immer wieder neu den zivilen Ungehorsam lernen. Auf die kleinen Zehen der Herrschenden zu treten nützt nicht viel – es muss schon das Schienbein sein, wenn sich etwas bewegen soll. Uns fehlt das Optimistische und Selbstverständliche, mit der Forderung nach mehr Demokratie auch den zivilen Ungehorsam zu praktizieren. 5.000 Menschen mit zivilem Ungehorsam auf den Schienen gegen den Castor sollten anspornen, den Versuch zu machen, möglicherweise im Mai/Juni 2013 sechs bis acht Rüstungsbetriebe fürsorglich zu schließen. Davon sind wir aber noch recht weit entfernt.

Zu Recht sagt uns die Bewegungsforschung: Eine soziale Bewegung, die nicht von den Medien aufgenommen wird, findet nicht statt. Wenn das zutreffend ist, dann haben wir das Ziel einer öffentlichen Debatte nur in kleinen Teilen erreicht. Die Medien interessieren sich vor allem dann für die Rüstungsexporte, wenn der geheimgehaltene Panzerdeal die Phantasien bewegt. Es gibt schon auch bei den Medien eine Staatszentriertheit des dubiosen und verwerflichen Geschäfts – und ein erstaunlich wenig ausgeprägtes Interesse dafür, wie die deutsche Bevölkerung über Waffenhandel denkt und was sie unternimmt, die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Auch hier nur maßvolle Medienschelte, sondern die Forderung an uns, für massenhaften zivilen Ungehorsam in unseren eigenen Reihen mehr zu werben, um anschließend umso überzeugender Aktionen des zivilen Ungehorsams zu praktizieren. Überlegen wir also Schließungen von sechs bis acht Rüstungsbetrieben für 2013. Das Schild für Heckler & Koch haben wir schon entworfen: „Aufgrund von Protesten aus der Bevölkerung musste die Waffenfabrik Heckler & Koch am 30.6.2013 schließen.“ Zuweilen sind nur Utopien auch realistisch. Sicherlich – unter zu hohen Zielvorstellungen lässt sich nur darunter hergehen. Das Thema Waffenhandel ist mehr als die Glut unter der Asche, es ist höchst explosiv und zu Wahlzeiten sofort entzündbar. So haben wir mit der Leo-Kampagne Latenz und Sichtbarkeit befördert. Waffenhandel ist das Negativ-Thema auf der politischen Tagesordnung – die verstockt-defensive Bundesregierung der Ausdruck dessen, keine Mehrheiten mehr für verbrecherische Rüstungsexporte hinter sich zu wissen. Trotzdem – wir müssen noch erheblich zulegen, mit authentischem zivilen Ungehorsam, möglichst massenhafter!

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Peter Grottian ist im Personenbündnis "Legt den Leo an die Kette!" aktiv.