Leserinnenbrief

von Slavica Bili'c

Folgender Leserinnenbrief hat uns aus Zagreb von der kroatischen Organisation der Mütter für den Frieden (Bedem Ljubavi-"Wall der Liebe") erreicht. Wir drucken ihn ohne weiteren Kommentar, aber ohne unsere im Friedensforum 1/92 geäußerte Skepsis - die im übrigen diese Organisation nicht mit Namen nannte - zurückzunehmen.

"Sehr geehrter Herr Chefredakteur!

Ich wende mich bezüglich des Artikels an Sie, der in Ihrem Blatt Friedensforum Nr 1, 1992, auf Seite 21 unter dem Titel "Mutterbewegung in Jugoslawien" ohne Unterschrift des Autors veröffentlicht wurde und wo Unwahrheiten über die Mutterbewegung für Frieden "BEDEM LJUBAVI" angeführt werden.

Ich muß Ihnen nämlich einige Tatsachen erklären, damit Ihre Leser ein wahres Bild über unsere Bewegung erhalten und außerdem über die Situationen in den Gebieten des ehemaligen Jugosla-wiens. Im diesbezüglichen Artikel wird mit keinem Wort erwähnt, aus welchem Grunde diese Bewegung die Unterstützung von Europa und der Welt erhalten hat. Es entspricht der Wahrheit, daß die Mütter aus Serbien während des Kriegs in Slowenien vor das Parlament getreten sind. Es ist auch wahr, daß wir diese Geste nicht nur bewundert haben, sondern wir haben sie in Zagreb erwartet und sind gemeinsam mit ihnen nach Slowenien gegangen und haben verlangt, daß unsere Kinder nicht in den Krieg geschickt werden. Wahr ist auch, daß die Bosnierinnen und Mazedo-nierinnen das gleiche verlangt haben, woraus zu schließen ist, auch von Lesern mit durchschnittlicher Intelligenz, daß die JNA (Jugoslawische Volksarmee) Aggressionen ausübt, denen Sie auch heute noch nicht Glauben schenken.

Es entspricht der Wahrheit, daß der Bundesstaat zerfallen und das Militär ohne Kontrolle der zivilen Regierung geblieben ist und in seine Reihen extreme Serben aufgenommen hat, die sich Tschetnik nennen. Darüber besteht die entsprechende Dokumentation. Es entspricht der Wahrheit, daß wir nach Beograd gegangen sind und zwar waren wir ungefähr 3.000 aus Kroatien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, während die Albanerinnen zwanzig Kilometer von Pristina entfernt zurückgeschickt wurden; sie waren von der serbischen Polizei brutal mißhandelt worden. In Beograd wurden wir, Herr Chefredakteur, geschlagen und sind daher nach Brüssel zum Europaparlament gegangen, um Europa und der Welt die Wahrheit zu sagen, wer der Aggressor und wer die Opfer sind.

In Ihrem Artikel steht, daß uns die Regierungspartei finanziert, das ist eine reine LÜGE, denn wir sind weder eine politische noch eine Organisation der Regierung und haben mit der regierenden Partei keinerlei Verbindung. Sie quälen sich mit der Frage, warum wir nicht vor das Kroatische Parlament getreten sind. Ich möchte Ihnen eine rein praktische Frage stellen. Sind Sie, Herr Chefredakteur, jemals zu einer Bank gegangen, wo Sie keine Geldeinlagen hatten, um Geld abzuheben? Wir konnten uns nicht an das kroatische Parlament wenden, denn unsere Söhne haben wir nicht Kroatien, sondern der JNA gegeben, so daß diese sie auch zurückgeben mußten, nachdem die ordentliche Militärdienstfrist abgelaufen war. Auch ist es nicht wahr, wie Sie in Ihrem Artikel anführen, daß "Bedem Ljubavi" resp. ihre Mitglieder stolz hervorheben, daß sie ihre Söhne zur Nationalgarde schicken möchten.

Die Mütter diese Bewegung können leider ihre Söhne nicht einmal in den Diskoklub schicken, denn entweder haben sie sie beerdigt und sind irgendwo im gemeinsamen Grab auf dem Kriegs-schauplatz - mit der Bezeichnung NN (Volksfeind), oder sie sind zurückgekehrt ohne eine oder beide Beine, oder sie befinden sich in Behandlung im Krankenhaus für psychische Krankheiten oder sie befinden sich noch immer in den Reihen des Militärs, das sich heuchlerisch Jugoslawische VOLKS-Armee nennt.

Sie urteilen sehr leicht, Herr Chefredakteur, wenn Sie sagen, daß "Bedem Ljubavi" keine friedliebende Organisation ist. Wie sind Sie zu dieser Schlußfolgerung gekommen, nachdem Sie niemals unsere Organisation kontaktiert haben?

Den Krieg sehen Sie auf dem kleinen Bildschirm als etwas Abstraktes - zu Ihrem Glück - für uns ist es leider die reine Tatsache. Wir müssen ihn aufhalten durch konkrete Aktionen, und nicht mit leerem Geschwätz. Konkret bedeutet, die Wahrheit über diesen schmutzigen Krieg zu sagen und durch unsere Wahrheit ist es uns gewissermaßen gelungen, den Aggressor aufzuhalten. Die Mütter der "Bedem Ljubavi" - die Bewegung für Frieden - fordern, daß es zum Frieden auch kommt, nicht nur in Kroatien, sondern in allen Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens und auch in der ganzen Welt. Das kann auch gelingen wenn Sie, als Friedfertiger, begreifen, daß Frieden nicht für den Preis, daß Opfer und Aggressor gleichgestellt werden, zu erreichen ist. Ich hoffe, daß Sie diesen Text in Ihrer Zeitschrift um der reinen Wahrheit und um des Friedens willen, den wir alle unbedingt benöti-gen, veröffentlichen werden.

mit vorzüglicher Hochachtung, Slavica Bili'c (Vorsitzende)

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