Zur strategischen (Neu-)Ausrichtung

Mit Druckkampagnen in Sozialen Bewegungen nachhaltig und langfristig aktiv sein

von Claudia Funke

Damit eine Soziale Bewegung wirklich abhebt und sich immer erfolgreicher zu ihrer Vision hin aufschwingt, braucht es so einiges. Jeder, der sich für eine bessere Welt einsetzt, weiß das. Bill Moyer hat mit seinem Aktionsplan für Soziale Bewegungen („Movement Action Plan“ - MAP) (1) in den 80er Jahren eine hilfreiche Analyse hierzu geliefert. Er konzentriert sich dabei auf die Aktivität von verschiedenen Gruppen von Menschen (2) und beschreibt anhand von Phasen, wie sich deren Aktivität entwickelt, und was dies für den Erfolg der Bewegung bedeutet. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Aktivistinnen und Aktivisten: Sie dürfen nicht wegbrechen, denn die Bewegung braucht dringend öffentliche und auch spektakuläre Aktionen. Und dennoch sind sie Moyers Analyse nach eine absolut schwankende Größe. Das kann den Motor der Bewegung gut ins Stottern bringen. Dieser Text zeigt, dass Druckkampagnen für Soziale Bewegungen wie ein gut dosierter Brennstoff wirken: Sie sorgen dafür, dass die AktivistInnen ständig in Aktion bleiben.

Kampagnen sind in jeder Phase der von Moyer beschriebenen Entwicklung hilfreich. In den ersten drei Phasen schieben Aufklärungskampagnen die Entwicklung mit an und helfen dabei, die Bedingungen für soziale Veränderung reifen zu lassen. In dieser Zeit geht es laut Moyer darum, die Öffentlichkeit über die vorhandene Problematik und ihre gesellschaftliche Bedeutung aufzuklären und zu zeigen, dass die zuständigen Entscheidungsträger sich nicht um Veränderung bemühen oder diese gar boykottieren. Aufklärungskampagnen zielen darauf ab, individuelles Bewusstsein und Verhalten zu verändern, wenden sich jedoch nicht explizit an politische EntscheidungsträgerInnen oder setzen sich für politische Veränderung ein (Definitionen nach Ulrich Wohland).

Ab der „Take-Off“-Phase (Phase 4 bei Moyer), dem eigentlichen „Durchstarten“ der Bewegung, braucht es dann eine andere Kampagnenart: die Druckkampagne. Diese setzt sich gezielt für politische Veränderung ein, indem sie über eskalierend aufgebaute Aktionen im öffentlichen Raum Druck auf die Entscheidungsträger ausübt. Nach Moyer läuft jede Soziale Bewegung Gefahr, nach dem erfolgreichen und energiegeladenen Start gleich wieder in einen Sinkflug zu geraten, weil die Aktivität der AktivistInnen nach dem Start in der Regel schnell wieder in sich zusammenfällt: Frustriert, weil die mit enormem Elan und Engagement durchgeführten Aktionen das angestrebte visionäre Ziel nicht erreicht haben, geben viele AktivistInnen auf. Druckkampagnen können diesen Sturz abfangen, indem sie sich an kleinschrittigen Zielen orientieren und so kurzfristige Erfolgserlebnisse organisieren.

Raus aus der Identitätskrise! – AktivistInnen müssen in Aktion sein
Wenn die erste intensive Aktionsphase vorbei, die Meinungshoheit gewonnen und durch spektakuläre Aktionen ein erster Druck auf die Entscheidungsträger aufgebaut ist, verschwinden AktivistInnen oft fast ganz von der Bildfläche. Moyer attestiert eine Identitätskrise: „Das Problem ist nicht, dass die Bewegung darin versagt hat, ihre Ziele zu erreichen, sondern dass die Erwartung, dass die Ziele in solch kurzer Zeit erreicht werden können, unrealistisch war.” (S. 20f, Übersetzung Red.) Die AktivistInnen sind frustriert, sie ziehen sich zurück.

Hier kommen die BewegungsarbeiterInnen, die „Change Agents“, ins Spiel. Nach Moyer sind sie die einzige stabile Größe im Entwicklungsprozess. Ihre Aufgabe ist es, die Bewegung strategisch voran zu treiben und auch die AktivistInnen nachhaltig einzubinden und zu mobilisieren. Moyers Vorschlag zu dieser Einbindung nach dem Take Off sind Trainings. Solche Trainings lösen das Problem jedoch nicht zufriedenstellend, denn die Krise der AktivistInnen beruht nicht auf fehlenden Erfahrungen oder Kenntnissen in gewaltfreier Aktion – das Problem liegt in der Motivation. Die AktivistInnen glauben, das Ziel verfehlt zu haben.

Das Campaigning bietet einen anderen Lösungsansatz: die Durchführung von Kampagnen, die über öffentliche Aktionen gezielt und eskalierend Druck auf die zuständigen Entscheidungsträger ausüben (Druckkampagnen). Jede Soziale Bewegung hat eine Vision, die sie erreichen möchte. Die Vision der Friedensbewegung beispielsweise ist die Abschaffung von Waffen und Krieg in Verbindung mit der Bearbeitung gewaltsamer Auseinandersetzungen mit zivilen Mitteln. Ein so umfangreiches Ziel ist in der Regel nicht mit einem einzigen Schritt erreichbar. Druckkampagnen entwickeln stattdessen auf dem Weg zum großen visionären Ziel kleine überschaubare Ziele, die innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens tatsächlich erreicht werden können. Hierfür wird das große Thema der Sozialen Bewegung, zum Beispiel die Abschaffung von Waffen, stark zugespitzt und in Etappenziele, wie z.B. das Verbot von Rüstungsexporten ins Grundgesetz, mit einem festgelegten Zeitplan verpackt.

In der friedenspolitischen Kampagne atomwaffenfrei.jetzt sieht das so aus: Die Vision hinter der Kampagne ist eine Welt ohne Atomwaffen. „Atomwaffenfrei“ eben. Und zwar am liebsten gleich, also „jetzt“! Doch bis dahin ist der Weg weit, das ist allen klar. Darum haben sich einige Menschen und Organisationen aus der Friedensbewegung zusammengeschlossen und eine Strategie entwickelt: Aufbauend auf die Vorgängerkampagne „Unsere Zukunft, atomwaffenfrei“, die in der Thematik bereits über mehrere Jahre vorgearbeitet hat, wollen sie innerhalb von vier Jahren (2012-2015) erreichen, dass 1. die noch in Deutschland lagernden US-Atomwaffen abgezogen werden und dass 2. keine Modernisierung von Atomwaffen mehr durchgeführt wird. Außerdem sollen 3. Atomwaffen durch einen juristisch verbindlichen Vertrag weltweit geächtet werden. Das sind konkrete, durchführbare Ziele. Zugleich wird die Kampagne zu deren Erreichung in drei Phasen mit jeweiligen Schwerpunkten eingeteilt. (3) Die Zeit wird sozusagen „spürbar“. Sie ist nicht länger abstrakt und weit, sondern greifbar und bewusst beeinflussbar. Die entsprechenden Aktionen sind nicht reaktiv, sondern proaktiv: Sie gehen auf die Entscheidungsträger zu und fordern sie zum Handeln auf.

Entsprechend entwickelt eine Druckkampagne im Vorfeld passende Aktionen für die jeweiligen Phasen. Dies ist das entscheidende Element, um die Aktivität der AktivistInnen auf einem hohen Level zu halten, denn sie sind es, die Aktionen durchführen. Manchmal machen Aktionen auch eine/n ganz normale/n BürgerIn zu einem/r AktivistIn, die oder der über niederschwellige Aktionsangebote seine/ihre Freude am Aktivsein entdecken kann. Jedenfalls aber sind sie ein attraktives Handlungsangebot an alle, die mit ihrem Anliegen auf die Straße wollen. Verbunden mit den erreichbaren Zielen entwickeln die Aktionen eine starke Motivationskraft: Jede Aktion ist direkt und nachvollziehbar mit dem gesetzten Ziel verknüpft.

Zum Internationalen „Nuclear Abolition Day“ der UN-Versammlung am 22. August 2014 zum Beispiel veranstaltete die Kampagne eine bundesweite Aktionswoche. In 21 Städten hielten AktivistInnen ein Schild hoch mit der Aufschrift „Ich habe den Mut, Atomwaffen zu verbieten“. Zugleich wurde vor Bankfilialen gegen die Investition in Atomwaffenhersteller protestiert. Als Parodie auf die Commerzbank-Werbung verkleideten sich AktivistInnen als Jogger. Die-Ins, Straßentheater, Flyerverteilen, Kommentare auf den Facebookseiten der Banken und Gespräche mit Angestellten oder Filialleitern waren weitere Aktionsformen. Der Erfolg: Die Sparkasse ist aus dem Geschäft mit Atomwaffen ausgestiegen, Allianz und Commerzbank sahen sich zu öffentlichen Stellungnahmen gezwungen.

Das Entscheidende hieran ist das stetig wiederkehrende Angebot von passenden und kreativen Aktionen. Auf diese Weise wird das Engagement der AktivistInnen unabhängig von sogenannten „Trigger Events“, von Ereignissen, die in sich ein starkes Empörungspotential tragen, wie zum Beispiel die Nuklearkatastrophe von Fukushima. Die Kampagne schafft sich vielmehr selbst ihre Events. Zum Beispiel den Großevent „Blockade in Büchel“. Bei entsprechenden äußeren Trigger Events wird die Aktivität sicherlich weiterhin hoch gehen, wie es auch bei Fukushima der Fall war. Aber in der Zwischenzeit, und das ist entscheidend, geht sie nicht im üblichen Maße zurück. Die Angebote zur Aktion sind da und außerdem mit realisierbaren Zielen innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens verbunden. Auf diese Weise wird einem frustrierten Rückzug aus dem Aktivsein nachhaltig vorgebeugt. Die Bewegung hat den Brennstoff, den sie braucht, um in ihrer Aktivität nicht abzufallen, sondern weiter in Richtung Veränderung durch zu starten.

Als Fazit kann man nur sagen: Macht mehr Druckkampagnen! Derzeit laufen in der Friedensbewegung hiervon insgesamt drei: „Schulfrei für die Bundeswehr“ (www.schulfrei-für-die-bundeswehr.de), „Aktion Aufschrei  - Stoppt den Waffenhandel!“ (www.aufschrei-waffenhandel.de) und „atomwaffenfrei.jetzt“ (www.atomwaffenfrei.de). Die Ausbildung „Campapeace“ (vgl. Friedensforum 2/2015) qualifiziert außerdem junge und erfahrene Aktive zum/r KampagnenmoderatorIn. Wer eine Druckkampagne starten möchte, kann sich von den dort ausgebildeten ModeratorInnen beraten und begleiten lassen. Kontakt: claudia [dot] funke [at] wfga [dot] de, 06221 6528-753.

 

Anmerkungen
1 Bill Moyer: The Movement Action Plan. A Framework Describing The Eight Stages of Successful Social Movements. Camebridge, Spring 1987; (deutsch: Aktionsplan für Soziale Bewegungen. Ein strategischer Rahmenplan erfolgreicher sozialer Bewegungen. Weber, Zucht & Co. 1989) – Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die englische Original-Publikation.

2 Dieser Text konzentriert sich auf den Akteur „AktivistIn“ („Rebels“). Weitere Moyer’sche Akteure sind BürgerInnen („Citizens“), BewegungsarbeiterInnen („Change Agents“) und ReformerInnen („Reformers“).

3 Vgl. www.atomwaffenfrei.de

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt