Zwischen Einfrieren von Atomwaffen und dem Krieg gegen den Terror

No Nukes! No Wars!

von Jacqueline Cabasso
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Als der Kalte Krieg endete, schien es, als ob der Planet selbst einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstieße. Die Menschen in den USA und der ganzen Welt hofften und glaubten, dass sie einem nuklearen Holocaust entgangen seien, und verdrängten Atomwaffen aus ihrem Kopf.

In der Zwischenzeit haben PlanerInnen des Pentagon und WissenschaftlerInnen in den Atomwaffenlaboren, eingebettet in den militärisch-industriellen Komplex, neue Rechtfertigungen heraufbeschworen, um das Atomwaffenunternehmen zu bewahren. Nach dem plötzlichen Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 sagte Colin Powell, damals Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs: „Wir müssen den Kontext verlassen, den wir die vergangenen 40 Jahre benutzt haben, nämlich dass wir [militärische Planung] auf eine spezifische Bedrohung hin ausrichten. Wir haben nicht länger den Luxus einerBedrohung, für die wir planen können. Wofür wir jetzt planen, das ist, dass wir eine Supermacht sind. Wir sind der wichtigste Spieler auf der Weltbühne mit Verantwortlichkeiten … [und] Interessen in der gesamten Welt.“ Um diese neue Strategie umzusetzen, wurde „Nonproliferation“, die Nichtweitergabe von Atomwaffen, auf den Kopf gestellt. Das neue Schlagwort war „Gegenproliferation“, die die Drohung mit einem Atomschlag mit einschließt, um andere Länder davon abzuhalten, nukleare, chemische oder biologische Waffen zu entwickeln, die die USA oder ihre Verbündeten bedrohen könnten.

Rückblick: Die achtziger Jahre
Am 12. Juni 1982 hatten sich anlässlich der Zweiten Sondersitzung der Vereinten Nationen über Nukleare Abrüstung eine Million Menschen in New Yorks Central Park versammelt und forderten ein Ende des atomaren Rüstungswettlaufs zwischen den USA und der Sowjetunion. Am 20. Juni 1983, dem Internationalen Tag atomarer Abrüstung, fanden an fünfzig Orten Demonstrationen in den USA statt. Ausgelöst durch Präsident Ronald Reagans massiver Aufrüstung, einschließlich der Stationierung von Pershing II und Cruise Missile Raketen in Europa, und seiner aggressiven antisowjetischen Rhetorik, drückten diese Proteste die fühlbare und wachsende öffentliche Angst vor einem Atomkrieg zwischen den USA und der UdSSR aus. Die Kampagne des Einfrierens der Atomrüstung (Nuclear Freeze) rief die USA und die USA bescheiden dazu auf, „ein gegenseitiges Einfrieren der Erprobung, Produktion und Aufstellung von Atomwaffen, Raketen und neuen Flugzeugen, die in erster Linie dazu bestimmt sind, Atomwaffen zu tragen, zu beschließen“. Freeze wurde schließlich von 70% der amerikanischen Bevölkerung unterstützt.

Während der 1980er Jahre war die Angst vor einem Atomkrieg die Sorge, die am deutlichsten in der amerikanischen Öffentlichkeit sichtbar war. Aber nach Ende des Kalten Krieges verschwanden die Atomwaffen – vor allem die der USA – vom Radarschirm der Öffentlichkeit. Atomwaffenkontrolle, Nichtproliferation und Abrüstung wurden immer weniger zu den  Themen,  die die normalen Menschen beschäftigten. Professionelle „ExpertInnen“ in Washington redefinierten die atomaren Prioritäten nach dem Kalten Krieg fast ausschließlich dahingehend, russische „unkontrollierte Atomwaffen“ zu sichern und nukleares Material von „Schurkenstaaten“ und Terroristen fernzuhalten.

Neue Waffenentwicklungen
In der Zwischenzeit dokumentierten unabhängige Basisgruppen, die ihre lokalen Atomwaffeneinrichtungen beobachteten, die Pläne der USA, unterirdische Atomwaffentests durch hoch technisierte experimentelle Laboreinrichtungen und Supercomputer zu ersetzen und wehrten sich gegen Vorschläge zur Herstellung neuer Produktionsprozesse und Kapazitäten. Diese Information wurde von LobbyistInnen der Rüstungskontrolle weitgehend aus dem Diskurs in Washington herausgehalten, die sich fast ausschließlich auf die Ratifizierung des Umfassenden Vertrags zum Verbot von Atomtests (Comprehensive Test Ban Treaty) konzentrierten. Sie taten dies um jeden Preis, während sie den Zugang zu EntscheidungsträgerInnen schützten. Es war eine „unbequeme Wahrheit“, dass Forschung und Entwicklung von Atomwaffen Hand in Hand mit der entstehenden Politik der „Gegenproliferation“ vor sich ging, die sich auf „glaubhafte“ atomare Drohfähigkeiten der USA stützte.

Ohne ernsthafte Kritik durch die Rüstungskontroll-Gemeinschaft und blind gegenüber Aufrufen zur Abrüstung von außerhalb der Hauptstadt, verschenkte die Clinton Administration die historisch einmalige Gelegenheit, die sich mit dem Ende des Kalten Krieges aufgetan hatte. Sie legte den Grundstein für die einseitige und aggressive Außenpolitik der Bush Administration, die den möglichen Einsatz von Atomwaffen wieder offen in Betracht zog.

Friedensbewegung zwischen Kalten Krieg und Irakkrieg
Ohne Einfluss in der nationalen Arena wandten sich einige Abrüstungsgruppen aus den USA internationalen Foren zu. Auf der Atomwaffensperrvertrag (NPT) Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz beobachteten sie, dass die US-Regierung mit Unterstützung gut finanzierter Rüstungskontrollgruppen die unbefristete und bedingungslose Verlängerung des Vertrages forderte, während sie auf die Abrüstungsaufforderung in dem Vertrag kaum Bezug nahm. Frustriert und entsetzt formulierten sie, zusammen mit NROs aus der ganzen Welt, eine umfassende Plattform für nukleare Abrüstung. Sie forderten eine „befristete und an Bedingungen geknüpfte“ Verlängerung des NPT und den sofortigen Beginn von Verhandlungen über einen nachprüfbaren Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen, der bis zum Jahr 2000 geschlossen werden sollte. Am Ende der Konferenz war das „Abolition 2000 Global Network to Eliminate Nuclear Weapons“ („Abschaffung 2000-Globales Netzwerk zur Eliminierung von Atomwaffen“, kurz „Abolition 2000“) geboren.

In der Zeit vor dem Angriff der USA 2003 auf den Irak, der z.T. auf der nicht belegten Behauptung basierte, dass der Irak ein aktives Atomwaffenprogramm habe, begann sich eine neue internationale Antikriegsbewegung herauszubilden. Am 15. Februar 2003 demonstrierten geschätzt 10 bis 15 Millionen Menschen in mehr als 600 Städten der ganzen Welt gegen den Krieg. United for Peace and Justice (Vereinigt für Frieden und Gerechtigkeit-UFPJ) war der Hauptorganisator der großen Demonstration in New York City.

UFPJ wurde gegründet, um gegen den Irakkrieg zu arbeiten, wobei auch die einheimischen Auswirkungen des „Kriegs gegen den Terror“ eine Rolle spielten, Auswirkungen, die die Verletzung der Rechte von MigrantInnen und drastische Einschnitte in die Sozialleistungen für die Armen und ArbeiterInnen beinhalteten. Die erste nationale Versammlung von UFPJ im Juni 2003 bot für diejenigen, die für die Abschaffung von Atomwaffen eintreten, eine Gelegenheit, die nukleare Abrüstung in eine breitere Antikriegs-Agenda einzubetten. Es wurde ein Vorschlag der Abolition 2000-Gruppen angenommen, atomare Abrüstung zu einer Priorität der UFPJ zu machen.

Nach dem Irakkrieg
Am Tag vor Beginn der NPT-Überprüfungskonferenz 2005 in New York demonstrierten am 1. Mai Abolition 2000 und UFPJ mit 40.000 Menschen vor den Vereinten Nationen und im Central Park. Die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki und Dutzende von Hibakusha (Opfer der Atomwaffenangriffe 1945 auf die beiden Städte) trugen das führende Transparent, auf dem zu lesen war: „Keine Atomwaffen! Keine Kriege! Beendet den Krieg im Irak! Schafft alle Atomwaffen ab!”. 

Aber später in den 2000er Jahren schlug die ökonomische Rezession zu, militärische Drohungen und Interventionen der USA weiteten sich aus und die immer kriegsmüder werdende, unterfinanzierte Antikriegsbewegung ging zurück. Präsident Barack Obamas Wahl 2008 und seine laute Rhetorik weckte bei vielen die Hoffnung, dass atomare Abrüstung wieder auf die Tagesordnung zurückgekehrt sei und der endlose „Krieg gegen den Terror“ endlich beendet würde. Diese Hoffnungen stellten sich als unbegründet heraus, aber wirkten demobilisierend. Zur Überprüfungskonferenz des NPT 2010 brachte die Koalition von UFPJ und Abolition 2000 15.000 Demonstrierende auf die Straße und erneut nur halb so viele vor der Konferenz 2015.

UFPJ ist durch verschiedene ernste finanzielle Krisen und einen nicht nachlassenden Sturm von einheimischen und internationalen Herausforderungen durchgegangen. Heute, mit nur einer Hauptamtlichen, funktioniert UFPJ als ein lebendiges Netzwerk, das die Arbeit seiner Mitgliedsgruppen zu verschiedenen Themen publiziert und koordiniert. Die hartnäckige Arbeit der Arbeitsgruppe zu atomarer Abrüstung und Neudefinition von Sicherheit ist mit den wachsenden Spannungen zwischen den USA/der NATO und Russland und den USA und China zusammengetroffen. Die Gefahren eines Atomkriegs werden wieder von breiteren Kreisen als die Antikriegsanstrengungen gesehen, die in den USA im Zentrum stehen sollten.. Unglücklicherweise und paradoxerweise ist die Bewegung zurzeit schwach und zerstritten.

Anfang dieses Jahres hat die UFPJ erklärt: „Trotz der Tatsache, dass wir in einer Kriegskultur und –maschinerie mit einer gewaltigen Reichweite und Fähigkeiten wie nie zuvor leben, müssen wir in unserer Opposition zu endlosem Krieg stark sein. Es ist unsere Aufgabe als FriedensaktivistInnen, das amerikanische Volk – und Menschen auf der ganzen Welt – dahingehend zu beeinflussen, das  Ende von Kriegen zu fordern, gegen Drohnenangriffe und die Modernisierung von Atomwaffen zu protestieren, Kampagnen für die Reduzierung des Militärs zu führen, in unseren Gemeinschaften Aufmerksamkeit auf die Vergeblichkeit von Krieg zu lenken und eine konzentrierte Anstrengung in Richtung Diplomatie und Umwidmung von Ressourcen zu machen - damit wir uns endlich der Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse und dem Schutz von Mutter Erde zuwenden. Es ist Zeit für die Bewegung, wieder für Frieden und Gerechtigkeitaufzustehen!“

Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Jacqueline (Jackie) Cabasso ist Geschäftsführerin der Western States Legal Foundation und arbeitet seit über 30 Jahren für nukleare Abrüstung, Frieden und Umwelt auf der lokalen, nationalen und internationalen Ebene. Sie war 1995 eine „Gründungsmutter“ des Abolition 2000 Global Network to Eliminate Nuclear Weapons. Im Moment ist die nationale Co-Koordinatorin von United for Peace and Justice (www.unitedforpeace.org).