Darf Friedensbildung normativ sein?

Normativität und Konstruktivismus in der Friedensbildung

von Jonas Schäfer

Die Frage, ob Friedensbildung als politische Bildung normativ sein darf, wird in diesem Aufsatz mit „Ja – Aber“ beantwortet: Aber, weil erstens genau definiert werden muss, welcher Norm-Begriff gemeint ist, und zweitens, weil Normativität alleine – ohne die Integration einer konstruktivistischen Perspektive – nicht ausreicht, SchülerInnen Handlungsorientierung zu geben.

Zunächst sollen die verwendeten Hauptbegriffe definiert werden:
Normativität hat im Kontext Frieden zwei Bedeutungsebenen, die allerdings nur theoretisch sinnvoll trennbar sind. Erstens als Direktiv, d.h. eine Richtschnur zu einem inhaltlichen Ziel, dem sich mehr oder weniger angenähert werden kann. Zweitens als Imperativ, welcher Einzelnen und/oder Gruppen rechtlich und sittlich/ moralisch als Sollen gilt. (1)

Konstruktivismus meint eine methodische Herangehensweise, die das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, als sozial bzw. kommunikativ konstruiert versteht. Damit wird für unseren Kontext die Vorstellung einer „wahren“ Realität von Konflikt/ Krieg/ Frieden aufgegeben, sondern immer der jeweilige Standpunkt/ die Perspektive des Erzählers mit einbezogen.

Friedensbildung ist hier definiert als politische Bildung zu den Themen 1. Kritik am Krieg, 2. Visionen des Friedens und 3. zivile Konfliktbearbeitung. Friedensbildung orientiert sich am Erwerb von Kompetenzen: Sachkompetenz (Friedenskompetenz), soziale Kompetenz  (Friedensfähigkeit) und Handlungskompetenz (Friedenshandeln) müssen dabei zusammen gedacht werden.

Keine Angst vor Normativität
Es gibt keinen rationalen Grund, Frieden nicht als Norm im direktiven und imperativen Sinne zu betrachten. Unser Grundgesetz spricht bspw. in seiner Präambel davon, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Schwieriger wird die Diskussion um das „Wie“: Frieden friedlich schaffen, oder Frieden durch Waffen? Wie diese Frage beantwortet wird, hängt auch davon ab, auf welchen Friedensbegriff Bezug genommen wird. Mit einem engen Verständnis von Frieden als Abwesenheit von Krieg ist Frieden potenziell auch mit Waffengewalt herstellbar, nämlich dann, wenn der Gewaltakteur zunächst entmilitarisiert wird, und er seine Niederlage verinnerlicht, oder wenn er gänzlich vernichtet wird. Ein weites Verständnis von Frieden meint einen umfassenden gesellschaftlichen und politischen Prozess, der ein weniger an Gewalt und ein mehr an Gerechtigkeit anstrebt. Gerechter Frieden lässt sich mit Waffen nicht erreichen, denn die Gewalt der Waffe wird bei seinem Opfer, Angehörigen, Freunden immer Ungerechtigkeitsempfinden auslösen. Dies würde dem Ziel widersprechen und direkt kontraproduktiv wirken.

Mut zu mehr Konstruktivismus
Wenn also gerechter Friede sich nicht mit Waffen herstellen lässt, stellen sich für mich zwei Fragen: erstens, was mit Gerechtigkeit gemeint ist, und zweitens, welche Schritte zum Frieden sich denn realisieren lassen. Die Antwort auf beide Fragen basiert auf Prozessen der Kommunikation. Gerechtigkeit ist ein Diskurs, den bestimmte Institutionen (Kirche, Politik, NGOs) versuchen zu gestalten, indem sie festlegen, was darunter zu verstehen ist. Politische Bildung sollte hier Kompetenzen vermitteln, um die Machart und den Gebrauch des Begriffs analysieren zu können. Erst wenn Friedensbildung diesen Begriff mit konkreten Inhalten und der Lebensrealität der Jugendlichen verknüpft, können die Grundlagen für mehr „gerechte Praxis“ gelegt werden. Und die beginnt mit dem Know-how von Aushandlungsprozessen, die offen genug sind, um allen Perspektiven Raum zu geben und gemeinsam eine für alle zufriedenstellende Lösung zu finden.

Die Zukunft ist offen und gestaltbar
Schule will Kompetenzen mitgeben, ein gutes Leben führen zu können. Schule würde gut daran tun, verstärkt Friedensbildung als Ansatz anzusehen, der Problembewusstsein für die Fragilität der Globalisierung schafft, Kritikfähigkeit an Machtstrukturen schärft und politische Teilhabe fördert. Dass Frieden erstrebenswert ist, ist unhinterfragt; der Weg dahin und die Hindernisse auf diesem Weg müssen jedoch offen diskutiert werden. Die Themen Rüstungsexporte oder Schutzverantwortung (R2P) eignen sich hervorragend, um kontrovers argumentieren und diskutieren zu lernen. Nicht, weil wir wüssten, was richtig ist. Sondern weil wir mit anderen Aspekten und Perspektiven Horizonte erweitern und Möglichkeitsräume eröffnen können. Die Handlungsoptionen, die Friedensbildung hier anbieten kann, beruhen nicht nur auf dem „du sollst“, sondern auf der Überzeugung, dass die Zukunft in einer globalisierten Welt nur gemeinsam mit dem Anderen gestaltbar ist. Deshalb müssen wir lernen, sie/ ihn mit einzubeziehen: indem wir unsere begrifflichen Denkweisen offenlegen und zusammen neue, gemeinsame Visionen eines gerechten Friedens entwickeln.

Anmerkung
1 Vgl. Forschner, M.: Norm, in: Höffe, O. (Hrsg.): Lexikon der Ethik, München 2002, S. 191f.

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