Den Finger in die Wunde des Unrechts gelegt

Prozesse wegen Proteste gegen Atombomben

von Ariane Dettloff
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Am 4. März 2024 standen Miriam Krämer und Gerd Büntzly wegen „Hausfriedensbruchs“ auf dem Atomwaffengelände in Büchel als Beschuldigte vor dem Amtsgericht Cochem.

Gemeinsam mit fünf weiteren Menschen hatten Miriam Krämer und Gerd Büntzly sich am 8. Mai 2023 aus Protest gegen die Vorbereitung eines Angriffskriegs durch die sogenannte Nukleare Teilhabe zu einer Mahnwache im Atomwaffengelände der Bundeswehr versammelt. Das Datum war bewusst gewählt, da sich an dem Tag zum 78. Mal der Tag der Befreiung vom Faschismus und das Ende des Zweiten Weltkriegs jährte.

Die Atomwaffengegner*innen konnten ihr Go-In veranstalten, ohne den Sicherheitszaun zu beschädigen, denn das Tor stand offen, damit die Baustellenfahrzeuge passieren konnten. Die Erneuerung der Landebahn ist die Voraussetzung für den Einsatz neuer Atomwaffen, die in Kürze dort stationiert werden sollen. „Wir sangen Lieder des Zivilen Widerstands und streuten Blumensamen auf die angrenzende Wiese“, erläuterte Miriam. Zur Rechtfertigung ihres Zivilen Ungehorsams zitierte sie unter anderem den Grundgesetzartikel 26: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.“ Doch auf der Website der Bundeswehr heißt es unverblümt: „Der Hauptauftrag des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 ist der Luftangriff." Dies sei, so Krämer, unvereinbar mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes.Daher betrachtet sie es als Pflicht, sich gewaltfrei zu widersetzen und „den Finger in die Wunde des Unrechts“ am Ausgangsort der potentiellen Zerstörung zu legen. „Ausgehend von geschichtlichen Ereignissen wie dem friedlichen Wandel mit Hilfe des Bürgerprotests in der DDR, dem Protest bis zum Abzug der Mittelstreckenraketen vom Standort Mutlangen und den unzähligen Aktionen Zivilen Ungehorsams bis zum Ausstieg aus der Atomkraft, prägte mich das Prinzip des gewaltfreien Zivilen Widerstands zur Überwindung von anhaltenden Missständen und als Mittel des Korrektivs der politischen Regierungsmacht“, heißt es in ihrer Einlassung vor dem Gericht.

Lehren aus der Geschichte
Den biografischen Hintergrund ihres Engagements erläuterte Miriam Krämer mit der widerständigen Tradition ihrer Herkunftsfamilie. So hatte ihre Großmutter während der Naziherrschaft Fluchthilfe für ihre nichtarischen Mitbürger*innen geleistet, nachdem ihr aufgrund „mangelndem vaterländischen Einsatz“ die Stelle gekündigt worden war. In der DDR, wo Miriam aufwuchs, verweigerte sie als Dreizehnjährige das Schießen beim schulischen Mehrkampfwettbewerb und mit 14 Jahren blieb sie diesem ganz fern. Vom „Wehrkundeunterricht“ wurde sie suspendiert. Die Konsequenz war der Ausschluss von der Möglichkeit zu studieren oder einen adäquaten Ausbildungsberuf zu lernen.

Nach dem Übergang in die BRD gründete Krämer als Reaktion auf die deutsche Beteiligung am Balkankrieg mit anderen Mitstreiter*innen das Würzburger Friedensbündnis und organisierte Großdemonstrationen gegen diesen und weitere Kriege. Sie arbeitete unter anderem als Friedensfachkraft im Sudan. Zurückgekehrt war sie Mitbegründerin der Trainergenossenschaft „act for transformation“ in Aalen und arbeitete als Referentin für Konflikttransformation, Interkulturelle Kompetenz und Globales Lernen.

Als Vorbilder betrachtet Miriam Krämer neben den Aktivist*innen am Fliegerhorst Büchel ihre Großmutter und die sudanesischen Kolleg*ihnen, die unzählige Gewaltfreiheits-Trainings für die Zivilbevölkerung veranstaltet und sich unter Einsatz ihres Lebens in monatelangen Massendemonstrationen für den friedlichen Wandel von der Diktatur in eine Demokratie engagiert haben. Vorbilder sind für sie auch die Menschen, die 1989 in der DDR auf die Straße gegangen sind und freie Wahlen gefordert haben, obwohl der Zusammenbruch des Systems nicht absehbar und harte Strafen zu erwarten waren. „So denke ich auch über die Menschen in  Russland, die sich trauen, kreative Proteste für ein Ende des Krieges und für einen demokratischen Wandel trotz Androhung stärkster Repressionen durchzuführen, ebenso Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine“, erklärte Miriam weiter im Amtsgericht Cochem. Zudem habe sie aus der Geschichte ihrer Großeltern, Eltern und der eigenen gelernt, dass das, was heute als unrechtes Verhalten verurteilt wird, im Blick zurück als dringend notwendig erachtet werden kann.

Die Richterin verhängte 30 Tagessätze, ersatzweise Haft. Krämers Strafprozess war der hundertste zum Thema Atomwaffenprotest seit den 90er Jahren.

Gerd Büntzly wurde aufgrund desselben Vorwurfs als „Wiederholungstäter“ zu 90 Tagessätzen verurteilt. Er hatte erklärt, die Sachlage sei den Gerichten lange bekannt. Sie hätten immergleiche Urteile gefällt, doch niemals Beweisanträge zu den Atomwaffen in Büchel zugelassen. Daher sehe er sich nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen, und werde schweigen.

Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

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Ariane Dettloff ist Mitglied bei "Pax an" in Köln.