Rückkehr der USA nach Asien

von Dr. Andreas Seifert

Die Anfang 2012 von Präsident Obama angeregte "Rückkehr" der Vereinigten Staaten nach Asien wurde in den amerikanischen Medien als Paukenschlag verkauft - ein großer Strategiewechsel ist sie indes nicht. Nicht wenige Beobachter in Asien, vor allem in den nordasiatischen Ländern (Süd-)Korea und Japan, quittierten die Ankündigung mit einem müden Lächeln: Waren sie, die USA, denn jemals weg? Der Strategiewechsel entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die Fortsetzung einer Politik, wie sie, noch von Bill Clinton initiiert, seit den 1990er Jahren betrieben wird. Es ist die Fortsetzung der Verschiebung des Fokus von Europa nach Asien, was nicht viel mehr bedeutet, dass militärisch in Europa mehr eingespart wird als in Asien. Auch innerhalb Asiens gibt es schon länger eine Verschiebung - sie verläuft vom Norden in den Süden. Unterm Strich gibt es einen kontinuierlichen Abbau des Umfangs der US-amerikanischen Militärpräsenz in ganz Asien, begleitet von einer technischen bzw. qualitativen Aufrüstung. Dass die 7. US-Flotte im Pazifik die größte der USA ist, ist kein Ergebnis einer neuen Politik, sondern das war schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so.

Das "Neue" dieser Strategie besteht wohl am ehesten darin, dass sich die Bedingungen in Ost- und Südostasien geändert haben und die ersten Ergebnisse dieser Strategie sichtbar werden. Im Kern besteht der Umgang mit Asien aus zwei Komponenten, die häufig getrennt werden, aber in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Es gibt einen ökonomischen und einen sicherheitspolitischen Aspekt.

Wirtschaftspolitik im Kontext Asiens
Die USA haben ein erhebliches Außenhandelsdefizit mit der Volksrepublik China, das sich in gigantischen Währungsreserven auf der einen und erheblichen Abhängigkeiten auf der anderen Seite niedergeschlagen hat. Hauptschuldner der USA ist die VR China und übt aus dieser Position heraus bereits einen erheblichen Druck auf die USA aus - allerdings finanziert sich die VR durch den Kauf von amerikanischen Staatsanleihen den eigenen Export. Teile der chinesischen Industrie sind komplett abhängig vom Export unter anderem in die Vereinigten Staaten. Fehlt in den USA das notwendige Geld zum Konsum, kann auch China nichts mehr exportieren. Hier zeigt sich die Abhängigkeit Chinas von den USA und umgekehrt. China ist gezwungen, das Defizit der USA mitzutragen, will es sein Entwicklungsmodell, das vor allem auf Export basiert, aufrechterhalten. Chinas zum Teil verzweifelte Versuche, seinen Export zu diversifizieren und Ausfallrisiken zu minimieren, erkennbar am Engagement in Ost- und Südeuropa, vor allem aber in Afrika und Lateinamerika, finden hier ihren Ursprung. China versucht auch, seinen Binnenmarkt zu entwickeln, um die Abhängigkeit vom Export zu reduzieren. Für die USA bedeuten diese Bewegungen sowohl eine Chance wie auch eine Gefahr. Denn gelingt China eine Diversifizierung, kann es den Druck auf die USA erhöhen. Die Chance für die USA besteht darin, letztendlich von den Aktionen Chinas, wie seiner Mitbewerber zu profitieren - gerade auch im Hinblick auf die Entwicklung eines Binnenmarktes in China. Und hier kommen Südostasien und Südasien ins Spiel.

Die gezielte Förderung amerikanischer Investitionen in die Länder Südostasiens, sichtbar vor allem an Vietnam, dient nicht zuletzt dazu, ein Gegengewicht zu China aufzubauen und damit einseitige Abhängigkeiten zu vermindern. Der Ausbau Vietnams zum Billiglohnland in der Nachfolge Chinas ist dabei von besonderer Bedeutung, da hier gleich mehrere Signale versendet werden können. Nach Vietnam werden die Produktionen verlagert, die den Zustrom billiger Waren in die USA aufrecht erhalten. Es sind Produktionen, die in der VR China analog abgebaut werden und somit dort den Druck auf die Löhne wieder verstärken und damit den Ausbau des Binnenmarktes verlangsamen. Es ist auch ein sicherheitspolitisches Signal, das weiter unten angesprochen wird.

Die nun in einem geradezu atemberaubenden Tempo vollzogene Annäherung der USA an das über lange Jahre verfemte Regime in Myanmar (Burma) ist ein weiterer Baustein im Versuch, den Spielraum der VR China einzuschränken. Dies ist vielleicht das einzig originär neue Element der amerikanischen Asienstrategie. Den vorsichtigen Signalen aus Naypyidaw, man wäre zu Reformen bereit, sind die USA sofort und ohne große Vorbehalte gefolgt. Damit ist die Politik, der sich auch Teile Europas angeschlossen hatten, Myanmar innerhalb der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) zu isolieren, endgültig gescheitert. Zu lange hatte man gehofft, den Regimewechsel durch Isolation zu beschleunigen. Inzwischen sieht der Westen, dass man damit die Nähe des südostasiatischen Landes zu China befördert und nun in Hinblick auf wirtschaftliche Kontakte ins Hintertreffen gekommen ist. China ist bereits über lange Jahre hinweg zum größten Investor in dem Land geworden und plant und finanziert zum Teil gigantische Infrastrukturprojekte, wie z.B. eine Pipeline von der Küste durch das Land nach Südwest-China. Myanmar nutzt die ausländische Skepsis gegenüber dem großen Nachbarn, um sich aus der Isolation zu manövrieren und seiner Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Tourismus und Landwirtschaft haben große Potentiale. Das hier nur beispielhaft angesprochene Verstärken der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Vereinigten Staaten und den Staaten Südostasiens ist ein wesentliches Element der amerikanischen Asienstrategie.

"Sicherheit" als Trumpfkarte
Der Ausbau der militärischen und politischen Verbindungen in die Region ist der zweite Aspekt der Asienstrategie. In Nordostasien, wo die USA ihre Präsenz in Japan und Süd-Korea seit dem Ende des Koreakrieges in den 1950er Jahren langsam reduziert haben, sind immer noch fast 65.000 Soldaten stationiert, und auf der Insel Okinawa liegt das Hauptquartier der 7. Flotte. Die USA haben mit beiden Ländern vereinbart, mehr und mehr Kompetenzen auf die regionalen Partner zu verlagern, auch wenn jüngst der Plan, den südkoreanischen Streitkräften auch das Kommando im Kriegsfalle zuzubilligen, auf 2015 vertagt wurde. Die Nähe zu Nordkorea und der offene Streit um das nordkoreanische Atomprogramm verhindern derzeit, dass die USA sich aus diesem Teil Asiens zurückziehen. Allen existierenden Absichtserklärungen in diese Richtung zum Trotz ist auch nicht davon auszugehen, dass die USA ihre Standorte in Nordostasien jemals vollständig abbauen werden.

Die USA nutzen die Vorbehalte und Ängste vieler südasiatischen Staaten (vor allem der Philippinen und Vietnams) vor dem militärisch erstarkenden China aus, um sich selbst in Stellung zu bringen. Die angespannte Lage im Südchinesischen Meer, verursacht durch überzogene territoriale Ansprüche und angeheizt durch kleine militärische Sticheleien, hat zum Ergebnis, dass einzelne Länder sich ein stärkeres US-amerikanisches Engagement wünschen, wohl wissend, die Lage damit noch weiter zu verschärfen. Die USA kommen diesem Wunsch nach - letztlich aber nicht uneigennützig, sondern aus dem Kalkül heraus, insgesamt an Gewicht in der Region zu gewinnen und ihre Präsenz verstärken zu können. Entscheidend ist dies z.B. auf den Philippinen, wo man in den 1990er Jahren darauf gedrungen hatte, dass die US-amerikanischen Stützpunkte abgebaut wurden - nun wünscht man sie sich zurück. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gestattet derzeit keinen umfangreichen Ausbau der eigenen Streitkräfte, womit die neuerliche Nähe zu den USA auch innenpolitisch akzeptabel wird. Vietnam hingegen baut derzeit seine Marine und sein Militär aus und schöpft das Geld hierfür aus einer stärker werdenden wirtschaftlichen Entwicklung. Waffenkäufe in Russland, wie Gepard-Fregatten und schnelle Kanonenboote, unterfüttern eine aggressive Territorialpolitik, die der chinesischen in nichts nachsteht. Der militärische Ausbau wird innenpolitisch mit dem Erstarken Chinas gerechtfertigt und legitimiert überdies eine Annäherung an die USA. Dass sich die USA hier einbeziehen lassen, ist kein positives Signal. Die Territorialfragen im Südchinesischen Meer lassen sich nicht durch Aufrüstung und Provokationen lösen.

Konkurrenz prägt das Verhältnis der Volksrepublik China und Indiens in besonderer Weise. Grenzstreitigkeiten im Himalaya, Konkurrenz um Energieressourcen z.B. im Nahen Osten sind dabei nur die offensichtlichsten Elemente. Mit gezielter Bündnispolitik versucht man sich gegenseitig in Schach zu halten: Chinas traditionell gutes Verhältnis zu Pakistan schlägt sich in gemeinsamen Kampfflugzeug- und Panzerprojekten nieder, Indien platziert eine Luftwaffenbasis in Tadschikistan, China verstärkt seine Verbindungen nach Afrika, Indien zieht nach und knüpft über die großen indischen Enklaven z.B. in Durban (Südafrika - größte indische Ansiedlung außerhalb Indiens) neue Wirtschaftskontakte. Indien wie China rüsten in großem Umfang auf: neue U-Boote, Flugzeugträger und Mittelstreckenraketen.

Fazit: Pulverfass im Eigenbau
Die amerikanische Strategie, sich Asien verstärkt zuzuwenden, ist nicht neu - wohl aber der Kontext, in dem sie wahrgenommen wird. Mit China und Indien sind zwei Mächte entstanden, die um Vormachtstellung und Einfluss auf ihre Nachbarn wetteifern. Kleinere Staaten reagieren auf die neue Situation und eröffnen somit vormals geschlossene Handlungsfelder für Dritte. Zu diesen "Dritten" zählen die USA, die mit militärischer Macht um die Gunst der Staaten wetteifern, die Angst um ihre Spielräume haben. Dazu zählt aber auch das oft übersehene Russland, das sich ähnlich wie die USA mit militärischer Stärke anbieten möchte - man erinnere sich an das jüngst vom Ex-Premier und Erneut-Präsident Putin angekündigte Aufrüstungsprogramm. Russland ist vor allem als Waffenverkäufer in der Region unterwegs.

Dass sich die Gewichte der Weltwirtschaft verlagern und neue Akteure wie die VR China oder Indien dominant werden, ist die Grundlage der Entscheidung der USA und anderer, sich diesem Teil der Welt besonders zuzuwenden. Die erkennbaren Strategien und mehr noch die Reaktionen hierauf sind jedoch nicht uneingeschränkt zum Nutzen der dort lebenden Menschen. Wirtschaftliche Konkurrenz untereinander und die zum Teil gezielt angeheizten Territorialkonflikte in der Region verhindern die kooperative Verfolgung wirklich erfolgreicher Entwicklungsstränge in den Ländern. Inklusive Entwicklungsmodelle und ökologische Kriterien haben das Nachsehen, wenn es darum geht, um ausländische Investitionen zu buhlen. Zu allem Überfluss führt die Ankündigung verstärkter US-amerikanischer Militärpräsenz in der Region zu nur allzu bekannten Beißreflexen: militärische Aufrüstung bei allen Beteiligten. Die Tendenz zu einem gewaltsamen Austrag der Konflikte ist damit verstärkt, nicht vermindert.

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