Rüstungsexporte außer Kontrolle

von Jan van AkenKerstin Seifert

Fast jede deutsche Waffe darf in fast jedes Land dieser Welt exportiert werden. Jährlich sind bis zu 141 Länder dieser Welt Kunden der deutschen Rüstungsindustrie.(1) Im Jahr 2010 wurden durch die Bundesregierung insgesamt 16.145 Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 4,75 Mrd. Euro erteilt.(2) So ist Deutschland im Laufe des letzten Jahrzehnts zum drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt geworden und rund 140 Länder sind ganz legal Kunden der deutschen Rüstungsindustrie.

Der Deutsche Bundestag hat im Zusammenhang mit der Genehmigung von Rüstungsexporten keinerlei Mitbestimmungsrechte, d.h. es gibt keine Parlamentsbeteiligung. Die Entscheidungen werden allein von der Exekutive getroffen bzw. ihren Bundes- und Verwaltungsbehörden.

Die maßgebliche Grundlage für die Ausfuhrentscheidungen der Bundesregierung sind die „Politischen Grundsätze“ der Bundesregierung und der „Gemeinsame Standpunkt“ der Europäischen Union (im Folgenden mit „Leitlinien“ abgekürzt). Auf dem Papier erwecken sie den Anschein, dass Rüstungsexporte an Diktaturen, menschenrechtsverletzende Staaten und in Kriegs- und Krisengebiete für die deutsche Bundesregierung tabu seien. Dass die Praxis anders aussieht, bezeugen die massiven Waffenlieferungen aus Deutschland an diese Länder und Regionen, wie beispielsweise an Ägypten, Pakistan und an fast alle Länder des Nahen Ostens. Selbst einem Land wie Saudi Arabien, das militärisch in Konflikte in Nachbarländern eingreift und dem von der Bundesregierung bescheinigt wird, massive und systematische Menschenrechtsverletzungen zu begehen(3), wurde der Kauf von tausenden Sturmgewehren, einer ganzen Sturmgewehrfabrik, vielen anderen Rüstungsgütern und jüngst sogar über 270 Leopard-Panzern genehmigt.

Vor dem Hintergrund dieser skandalösen Genehmigungen wird immer wieder die Forderung nach einer Beteiligung des Bundestags an dem Entscheidungsprozess erhoben, so wie es sie zum Beispiel in den USA (für besonders umfangreiche Exporte) bereits gibt. Damit wird die Hoffnung verknüpft, dass die Leitlinien endlich restriktiver angewendet werden würden. Angesichts der Tatsache, dass im deutschen parlamentarischen System die Regierung die Parlamentsmehrheit hat, steht zu befürchten, dass durch die Beteiligung so gut wie nichts gewonnen wäre. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Militärgüter auf diese Weise auch noch mit einer Legitimation des Bundestags auf ihre Reise an die Empfänger gingen.

Was auch immer man von der Parlamentsbeteiligung hält, das Hauptproblem der jetzigen Genehmigungspraxis ist ein anderes: Die Leitlinien sind erstens gerichtlich nicht einklagbar und zweitens eröffnen sie einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Genehmigungsentscheidung.

Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung sind vom Bundeskabinett verabschiedet. Sie sind kein Gesetz. Das bedeutet, dass die Genehmigungs-Entscheidungen juristisch nicht anzufechten sind. Demgegenüber sind die Gemeinsamen Standpunkte der Europäischen Union nach offiziellem Sprachgebrauch zwar rechtsverbindlich, was bedeutet, dass die Politik der Mitgliedstaaten mit dem Gemeinsamen Standpunkt in Einklang stehen muss. Allerdings ist die Einhaltung des Standpunktes ebenfalls nicht gerichtlich einklagbar.(4)

Das Problem des großen Ermessensspielraums ist fast noch gewichtiger. In den Leitlinien werden verschiedene Kriterien genannt, die bei der Entscheidung für oder gegen einen Waffenexport berücksichtigt werden müssen. Die einzelnen Kriterien gelten jedoch nicht absolut und gleichberechtigt, sondern ihr Wortlaut lässt eine große Bandbreite in der Bewertung und Gewichtung zu.

Das bedeutet beispielsweise, dass Waffenexporte an Staaten, die die Menschenrechte massiv verletzten, durchaus in Einklag mit den Leitlinien stehen. In den Politischen Grundsätzen heißt es lediglich, dass der „Beachtung der Menschenrechte“ im Bestimmungsland „besonderes Gewicht beigemessen“ wird. Gibt es allerdings im Bestimmungsland auch besondere deutsche außenpolitische Interessen, dürfen  trotzdem Waffen geliefert werden. Die Beachtung der Menschenrechte wird in dem Abwägungsprozess fast immer Sicherheitsinteressen oder anderen außenpolitische Prioritäten untergeordnet. Außerdem muss die Bundesregierung nicht erläutern, welches Kriterium am Ende aus welchen Gründen die stärkste Berücksichtigung findet.

Wenn es das Ziel ist, diese todbringenden Exporte einzudämmen und zu verhindern, gibt es nur einen Weg: Wir brauchen gesetzlich verankerte, einklagbare und konkrete Verbote von Waffenexporten. Die LINKE setzt sich für ein umfassendes Verbot jeglicher deutscher Rüstungsexporte ein. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eines umfassenden Paradigmenwechsels in der Rüstungsexportpolitik und in der politischen und moralischen Bewertung des Exports von Waffen und sonstigen Rüstungsgütern. Auf dem Weg zu einem umfassenden Verbot von Waffenexporten schlagen wir – sozusagen als erste Schritte – die folgenden konkreten, begrenzten Verbote vor:

1. Kein Export von Kleinwaffen: Durch die geschätzten rund 875 Millionen (5) weltweit im Umlauf befindlichen Gewehre, Maschinenpistolen und Pistolen werden laut Angaben von UNICEF mehr Menschen getötet als durch alle anderen Waffen. Bis zu 90  Prozent aller Kriegsopfer fallen heute diesen Waffen zum Opfer.(6) Kleinwaffen verursachen aber nicht nur mehr Opfer, als jede andere Waffenart, sondern verschärfen Konflikte und destabilisieren Gesellschaften. Bei einer durchschnittlichen Verwendungsdauer von 30 bis 50 Jahren stellt ihre massenhafte Verbreitung nicht nur heute, sondern auch zukünftig ein unkalkulierbares Risiko und ernsthaftes Problem für den Frieden, die Sicherheit und die soziale Stabilität vieler Staaten und Gesellschaften dieser Welt dar. Daran hat die Bundesrepublik einen maßgeblichen Anteil, denn Deutschland zählt bei den Klein- und Leichtwaffen aller Art zu den bedeutendsten Lieferanten der Welt.(7)

2. Kein Export von Waffenfabriken: Der Export ganzer Waffenfabriken bedeutet den totalen Kontrollverlust über die damit hergestellten Waffen und sollte deshalb ausnahmslos verboten werden. Durch Lizenzen wird deutsche Waffentechnologie und mit ihr die Waffen in alle Welt verbreitet. Ist eine Fabrik erst einmal aufgebaut, kann das entsprechende Land über viele Jahrzehnte die entsprechende Waffe oder Munition selbst produzieren. Die Waffen werden wiederum über viele Jahrzehnte weltweit im Umlauf sein. So werden noch in hundert Jahren Menschen mit G36 Sturmgewehren aus saudischer Produktion erschossen werden, weil vor einigen Jahren die Bundesregierung grünes Licht für den Bau dieser Waffenfabrik gegeben hat.(8)

3. Keine Finanzierung von Rüstungsexporten und keine Hermes-Bürgschaften für Rüstungsexporte: Deutschland verkauft nicht nur Waffen und andere Rüstungsgüter, sondern bietet auch die passende Finanzierung dazu an. Es gibt Fälle, in denen die Bundesregierung die exportierten Waffen aus der eigenen Tasche mitfinanziert. In anderen Fällen werden Rüstungsexporte durch staatliche Hermes-Ausfallbürgschaften abgesichert. Das bedeutet, dass das Unternehmen Euler Hermes im Auftrag und für Rechnung der Bundesregierung das Risiko eines Zahlungsausfalls übernimmt. Im Jahr 2008 wurden Hermes-Bürgschaften für Rüstungsgeschäfte in Höhe von 21 Millionen Euro ausgegeben, im Jahr 2009 waren es sogar 1,92 Milliarden Euro.(9)

Neben diesen konkreten Verboten ist auch ein größeres Maß an Transparenz unbedingt erforderlich: Bislang wird die deutsche Öffentlichkeit zum Teil erst mit jahrelanger Verspätung über Waffenexporte informiert. Bisweilen verweigert die Bundesregierung jede Information über politisch hochsensible Vorgänge wie den Verkauf von Panzern an Saudi-Arabien unter Verweis auf Geheimhaltungsvorschriften.

Dass eine andere Praxis möglich ist, zeigen Staaten wie Großbritannien, in denen eine vierteljährliche Unterrichtung über Rüstungsexporte üblich ist. In den USA werden Kongress und Senat bei umfangreichen Exportgeschäften sogar bereits vor einer Entscheidung informiert. Transparenz allein ist allerdings kein Allheilmittel zur Reduzierung von Waffenexporten. Großbritannien und die USA sind auch hierfür das Beispiel: Beide Staaten setzen massiv auf den Verkauf ihrer Rüstungsgüter.

Fazit: Jeder Euro, der mit Krieg und Tod verdient wird, ist einer zu viel. Deshalb muss ein Verbot aller Rüstungsexporte aus Deutschland das Ziel sein. Die hier vorgeschlagenen Zwischenziele– und lösungen können dazu beitragen, konkret und sofort Menschenleben zu retten. Es bleibt nur zu hoffen, dass die jüngsten Skandale um Rüstungsexporte in die arabische Welt dazu beitragen, im Bundestag ein politisches Klima für solche konkreten Verbote zu schaffen. Wir arbeiten daran.

Anmerkungen
1) Rüstungsexportberichte der Bundesregierung 2000-2010

2) Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2010, siehe z.B. http://www.waffenexporte.org/wp-content/uploads/2011/07/R%C3%BCstungsexp...

3) 9. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik: 1. März 2008 bis 28. Februar 2010, http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/358008/publicatio...

4) Zudem eröffnet der Gemeinsame Standpunkt selbst einen großen Ermessenspielraum. Artikel 4 (2) lautet: „Ob der Transfer von Militärtechnologie oder Militärgütern genehmigt oder verweigert wird, bleibt dem nationalen Ermessen eines jeden Mitgliedstaats überlassen.“

5) Small Arms Survey 2010

6) UNICEF: „Kleinwaffen – Eine weltweite Bedrohung“

7) Small Arms Survey 2010

8) Kleine Anfrage, Drucksache 17/4383, Jan van Aken, 04.01.2011.

9) Rüstungsexportbericht der GKKE 2010, S. 7

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Kerstin Seifert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Jan van Aken (Hamburg), Abgeordneter für DIE LINKE im Deutschen Bundestag.