...wie passt das zusammen?

Rüstungsexporte – Entwicklungszusammenarbeit – Menschenrechtsschutz...

von Heidemarie Wieczorek-Zeul

Wann immer akute, schwere Konflikte in einer Region entstehen, wird mehr oder weniger schnell ein Waffenembargo beschlossen. Dies wird zumeist allgemein begrüßt. Wie sieht es aber davor und danach aus? Heuchelei, doppelte Standards, Geschäftemacherei, business as usual herrschen oft vor. Es ist an der Zeit, eine grundsätzliche Änderung zu vollziehen, eine restriktive Politik zu betreiben und in den nationalen Parlamenten und im Europaparlament Öffentlichkeit zu schaffen, damit sich diese schwerwiegenden Fehler nicht wiederholen.

So hat sich gezeigt, wie verhängnisvoll sich die Waffenexporte sowohl der USA als auch europäischer Länder auswirkten, die angeblich der Stabilisierung der politischen Situation in Nordafrika dienen sollten.

Da wurden im Zeichen geostrategischer Überlegungen despotische Regime unterstützt, die ihre eigene Bevölkerung unterdrückten.

Ich weiß, wovon die Rede ist: Wenn ich in der Entwicklungszusammenarbeit mit der ägyptischen Regierung „good governance“ und Rechtsstaatlichkeit einführen wollte, hatte ich keine Chancen gegen die unkonditionierten Milliardenbeträge, mit denen die USA das ägyptische Militär und seine Regierung versahen.

Nachhaltige Stabilität, so haben hoffentlich(?) die europäischen Länder dabei gelernt, ist nur durch wirkliche Beteiligung der Bevölkerung, Stärkung der Armen und Frauen und die Verwirklichung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte zu sichern.

Das heißt, Waffen- und Rüstungsexporte stehen im krassen Gegensatz zu dem, wofür Entwicklungszusammenarbeit eintritt, nämlich die Chancen der Menschen zu verbessern, ihr eigenes Leben zu gestalten, ihre Menschenrechte zu sichern und zu verwirklichen.

Die Bundesregierung hat offensichtlich nichts gelernt: Sie hat entschieden, 200 Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu liefern, ein Land, in dem Menschen- und Frauenrechte gröblich missachtet werden.

Im Falkland-Krieg 1982 bekämpfte Argentinien die britischen Truppen mit von Frankreich gelieferten Exocet-Raketen. Ich habe dies damals als SPD-Europa-Abgeordnete zum Anlass genommen, um eine gemeinsame, restriktive Waffenexportpolitik der EU-Mitgliedsländer im Außenwirtschaftsausschuss zu fordern. 30 Jahre sind seitdem vergangen.

Zwischenzeitlich hatte, auch auf mein Betreiben als Entwicklungsministerin hin, die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder im Jahr 2000 neue restriktive „Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern“ beschlossen; der EU-Rat hat im Dezember 2008 gemeinsame „Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ durchgesetzt. Dennoch hat eine Reihe europäischer Länder auch nach Nordafrika und in den Nahen Osten exportiert. Wären diese Verhaltensweisen früher öffentlich diskutiert worden, so hoffe ich, hätte die Doppelzüngigkeit und die häufige Missachtung der europäischen Regeln kaum Bestand gehabt.

Was ist aber nun zu tun?
Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Die in der EU beschlossenen gemeinsamen Regeln sollten rechtsverbindlich in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Ihre acht Kriterien setzen eindeutige Restriktionen und gemeinsame europäische Einschätzungen voraus, unter anderem die Gewährleistung von Frieden, Sicherheit und Stabilität sowie die Vereinbarkeit der Ausfuhr mit der technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Empfängerlandes.

Ein im Dezember 2010 von der SPD und der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) gefasster Beschluss sieht eine parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages bei Entscheidungen zu Waffenexporten und damit auch die Sicherstellung der tatsächlichen Einhaltung der Politischen Grundsätze vor. Unsere Sorge hat mehrere Gründe:

  • Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat bereits angekündigt, dass sie von einer „restriktiven“ zu einer „verantwortungsbewussten“ (!) Exportpraxis übergehen will!
  • Die anstehende Umorganisation der Bundeswehr lässt befürchten, dass nicht mehr benötigte Waffenarsenale auf dem internationalen Rüstungsmarkt verkauft werden.
  • Der Endverbleib von Waffen wird nicht gesichert.

Der aktuelle Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, der im Dezember 2011 erschienen ist, belegt eindeutig: Unter dem Deckmantel der Geheimhaltung im Bundessicherheitsrat betreibt Schwarz-Gelb die hemmungslose Ausweitung von Kriegswaffenexporten in Spannungsgebiete. Die Bundesregierung heizt dabei aktiv regionale Rüstungswettläufe in den Golfstaaten und in Lateinamerika an. Sie handelt damit wissentlich gegen die politischen Grundsätze für einen restriktiven Waffenexport. Gleichzeitig straft der eigene Bericht der Bundesregierung auch ihre bisherigen Behauptungen Lügen: Ausweislich der Zahlen sind praktisch alle Anfragen nach Rüstungsexporten genehmigt worden. Kaum eine wurde abgelehnt – ein deutlicher Unterschied gegenüber 2009. Eine katastrophale Bilanz.

Die rein geostrategische Betrachtung der Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens hat sich als folgenschwerer Irrtum erwiesen. Die Europäer sollten auch in ihrer Waffen- und Rüstungsexportpolitik Konsequenzen ziehen. Die nordafrikanischen Länder müssen ihre Militärausgaben drosseln und sich für Bildung, Arbeit und zivile Entwicklung einsetzen. Insgesamt befanden sich laut dem Bonn International Center for Conversion (BICC) im Jahre 2009 neun der 15 Länder des Nahen und Mittleren Ostens unter den 20 Ländern mit den höchsten Militarisierungsgraden. Das wichtigste Bollwerk gegen mögliche islamistische Gewalt ist die Unterstützung von Demokratie und Zukunftsperspektiven in diesen Ländern - und nicht die Lieferung von Waffen.

Kleine Investition, große Wirkung
Und es stimmt nach wie vor: Entwicklungspolitik ist die beste und kostengünstigste Friedenspolitik. Bessere Lebensbedingungen in Entwicklungsländern tragen auch zu einer friedlicheren Gestaltung der Globalisierung bei. Die Industrieländer dürfen sich jedoch weder ihrer Verantwortung zur Gestaltung entziehen, noch ihren Mut in diesen Fragen verlieren.

Im September 2000 einigten sich in New York auf der bisher größten Zusammenkunft von Regierungsvertretern die Teilnehmer auf die Millenniumsentwicklungserklärung und auf acht Millenniumsentwicklungsziele. Mit diesen „8 Zielen für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung“ hat sich die internationale Gemeinschaft erstmals Zielvorgaben gegeben, die im Gegensatz zu den bisherigen Empfehlungen von Weltkonferenzen verpflichtenden Charakter hatten. Seither wird genau dokumentiert, welche Fortschritte die Weltgemeinschaft macht. In einem jährlichen Bericht veröffentlichen die Vereinten Nationen, welchen Zielen wir um wie viel näher gekommen sind.

„Aid is a small investment that generates a huge return“ hat Bill Gates den G 20-Vertretern noch vor einigen Monaten in Cannes unter dem Titel „The Vital Role of Development Assistance“ ins Stammbuch geschrieben. Und er betonte: wenn die Zusagen zur Finanzierung eingehalten würden, würden 80 Milliarden US-Dollar für Entwicklungszusammenarbeit bis 2015 mobilisiert.

Und dass die verschiedenen Initiativen langfristig Wirkung zeigen, sieht man zum Beispiel daran, dass durch die Entschuldung der ärmsten hochverschuldeten Entwicklungsländer 34 Millionen Kinder in Afrika zusätzlich zur Schule gehen konnten! Und durch die Arbeit des Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids wurden 7 Millionen Menschenleben gerettet. Dies sind konkrete Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit, die zur Stabilisierung beitragen.

Bei allen vorhandenen Erfolgen muss auch auf die nach wie vor bestehenden Herausforderungen hingewiesen werden: Alle drei Sekunden stirbt weltweit ein Kind. Die Todesursache ist oft eine vermeidbare Krankheit, die durch mangelhaften Impfschutz, verschmutztes Wasser oder unhygienische Lebensbedingungen hervorgerufen wird.

Während der Nahrungsmittelkrise sind die Preise für Grundnahrungsmittel weltweit zwischen 70 und 80 % gestiegen. Die Zahl der Hungernden weltweit erreichte im Jahr 2009 – erstmals seit 1970 – den Stand von 1 Milliarde Menschen. Das entspricht einem Siebtel der Weltbevölkerung, die Hauptbetroffenen sind in der Regel die Kinder.

Eine Folge der weltweiten Finanzkrise ist, dass das Geld für zentrale Aufgaben der Armutsbekämpfung fehlt. Um es konkret zu machen: Die Geber, auch Deutschland, kommen ihren Versprechen nicht nach, arme Länder bei der Finanzierung von Bildung entsprechend dem Bedarf zu unterstützen. Weltweit fehlen jährlich 16 Milliarden US-Dollar an Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit für Bildung. Diese Zahlen machen deutlich, wie eindeutig auch das finanzielle Engagement ausfallen muss, um zum Erfolg zu kommen. Setzt man diese Beträge allerdings ins Verhältnis zu den weltweiten Rüstungsausgaben, wird schnell klar, dass Entwicklungspolitik nicht nur menschlicher, sondern auch kostengünstiger ist.

Also:

  • Entgegen den Haushaltskürzungen, die die Industrieländer auch bei der Entwicklungspolitik entgegen ihrer Zusagen planen, müssen die Mittel aufgestockt und zusammen mit einer Finanztransaktionssteuer zielgerecht eingesetzt werden.
  • Die Milleniumsentwicklungsziele müssen über 2015 hinaus entwickelt und mit den Zielsetzungen der 2012 stattfindenden Klimakonferenz (Rio + 20) verbunden werden.
  • Gerade die Stärkung der Frauen ist zentral; der Ausbau von sozialen Sicherungssystemen, um Armut zu bekämpfen und der noch immer erschütternd hohen Müttersterblichkeit ein Ende zu setzen.
  • Global Governance, zumal, um die Finanzmärkte zu regulieren, wird zwingender, um die Globalisierung nicht dem Selbstlauf der Ungerechtigkeit zu überlassen.

11,4 Billionen US-Dollar hat die Welt zur Stabilisierung in der Finanzkrise 2008/2009 mobilisiert. Daher sollten wir alle uns dafür engagieren, dass die internationale Gemeinschaft auch die Mittel mobilisiert, um extreme Armut, Hunger, Klimawandel und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Vor allem aber: Die Entscheidungen über Waffenexporte sollten unter parlamentarischer Transparenz getroffen werden. Durch eine klare, notfalls grundgesetzliche Verankerung, sollte ein Verbot von Waffen- und Rüstungsexporten in Spannungsgebiete und in Länder, in denen Regierungen die Menschenrechte verletzen, ausgesprochen werden.

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Heidemarie Wieczorek-Zeul, MdB, ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und SPD-Sprecherin im Unterausschuss Vereinte Nationen, Internationale Institutionen und Globalisierung. Zwischen 1998 und 2009 war sie Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.