Sitzblockade für 5 Euro - Prozesse gegen Airbase-Blockierer gehen weiter

von Martin Singe
Zuletzt hatten wir im Friedensforum 5/6 2003 über die Prozesse berichtet, die die gewaltfreien Sitzblockaden an der Frankfurter US-Airbase vor und während des Irak-Krieges im Februar/März 2003 nach sich gezogen haben. Inzwischen gibt es diverse neue Entwicklungen, über die hier kurz berichtet werden soll.

Im Januar/Februar gab es insgesamt fünf Verfahren wegen des Nötigungsvorwurfs gegen 10 Personen. Eine Urteils-Bilanz aller Prozesse zwischen Oktober 2003 und Februar 2004sieht wiefolgt aus:

 
    Alle Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 113 StGB) gegen 6 Personen wurden entweder gegen Zahlung einer Auflage zwischen 100 und 200 Euro eingestellt oder endeten mit einerhaltenen Verwarnung (15 Tagessätze … 8 Euro).
 
 
    Wegen des Nötigungsvorwurfs (§ 240 StGB) wurde bislang - abgesehen vom Prozess am 14.6.04, über den unten eigens berichtet wird - gegen 14 Personen (Südtorblockade am 29.3.03) verhandelt.Urteile bewegen sich zwischen Einstellungen mit Bußgeldauflagen, Verwarnungen mit Strafvorbehalt und Veruteilungen wegen Nötigung (15-20 Tagessätze, meist 15 Euro). Strafbefehle wurden für diese Blockade gegen 34 Personen erlassen.
 
 
    Alle der über 1.000 eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren (vor allem Haupttorblockaden am 15.3. und 29.3.) wurden endgültig eingestellt.
 
 
    Zwei Personen hatten gegen ihre Urteile Berufung eingelegt. Der Verhandlungstermin steht noch nicht fest. Eine Berufung wurde vom zuständigen Landgericht abgelehnt. Gegen diese Ablehnung läuft nun unsererseits eine Verfassungsbeschwerde. Vier Personen sind gegen ihr Urteil direkt in Revision gegangen, so dass für diese Verfahren direkt das Oberlandesgericht zuständig wird. In einem Verfahren wurde die Verhandlung unterbrochen und auf den Herbst vertagt.

Insgesamt kann bislang zu diesen Verfahren gesagt werden, dass die Staatsanwaltschaft generell eine harte Linie fährt und grundsätzlich auf Verurteilung wegen Nötigung plädiert. Die Richterschaft bleibt generell meist unterhalb der Strafforderungen der Staatsanwaltschaft. Richter Biernath, der eigentlich einen Freispruch in seiner Verhandlung gegen drei Personen andeutete, kam schließlich doch nur zu einer Verfahrenseinstellung mit Geldbußauflage. Den drei Betroffenen war ein Ende des Verfahrens aus sehr verständlichen persönlichen Gründen wichtiger als das im Falle eines Freispruchs wegen Einspruchs der Staatsanwaltschaft absehbare Fortsetzen des Rechtsweges durch die Instanzen.

Am 14.6.2004 erlebten alle Beteiligten, vier Angeklagte und etwa 35 ZuschauerInnen, einen mutigen Richter namens Rupp. Er hatte sich von Anfang an geweigert, die von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehle zu unterzeichnen. Nach Einspruch der Staatsanwaltschaft zwang ihn das Landgericht, dennoch eine Hauptverhandlung durchzuführen. Rupp verurteilte die Angeklagten schließlich lediglich zu jeweils 5 Euro Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtentfernen aus einer aufgelösten Versammlung). Er machte deutlich, dass er am liebsten auch die Ordnungswidrigkeit komplett eingestellt hätte. Dies ist in einerHauptverhandlung jedoch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft möglich, die dies natürlich verweigerte. Die Staatsanwaltschaft hatte Strafen in Höhe von 25 bis 35 Tagessätzen beantragt, was in Geldwert bei den Angeklagten Strafen zwischen 375 und 1750 Euro bedeutet hätte.

Rupp gestand den Angeklagten zu, dass diese zu Recht in ihrer Verteidigung von einem völkerrechtswidrigen Krieg gesprochen hatten. Der Krieg sei obendrein mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten verkauft worden, so der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung. Der Nötigungsvorwurf sei seit dem Bundesverfassungsgerichts-Beschluss zu Sitzblockaden von 1995 nicht mehr haltbar. Der Gewaltbegriff des Nötigungstatbestandes sei nicht verwirklicht,außerdem liege das Kriterium der Verwerflichkeit des Handelns nicht vor. Die sogenannte 2.-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die die Staatsanwaltschaft stets bemüht, führte Rupp ad absurdum. Dieser Rechtsprechung gemäß seien zwar die vordersten Autos bei einer Sitzblockade nur psychisch behindert, die dann folgenden jedoch auch physisch durch die vor diesen stehenden Autos. Rupp machte deutlich, dass diese BGH-Entscheidung in einer besonderen Konstellation entstanden sei, die nicht allgemeingültig übertragen werden könne und auch von der BVerfG-Entscheidung nicht abgedeckt sei. Ein ausführlicherer Bericht zu diesem Prozess vom 14.6.04 kann angefordert werden beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, Tel.: 0221-9726920.

Vermutlich wird die Staatsanwaltschaft dieses erfreuliche Urteil nicht hinnehmen. Es liegt also noch ein weiter Gerichtsweg vor den Betroffenen. Um so wichtiger ist die weitere Unterstützung unseres Rechtshilfefonds (siehe unten) für die anwaltliche Begleitung der anstehenden Prozesse und Widerspruchsverfahren. Gegen alle 20 Beteiligten der Nordtorblockade und zwei weitere Südtor-Gruppen mit insgesamt 19 Personen beginnen die Verfahren erst ab August 2004. Aktuelle Prozesstermine können erfragt werden beim Netzwerk Friedenskooperative (0228-692904) oder beim Komitee für Grundrechte und Demokratie (0221-9726920).

Spenden für den Rechtshilfefonds:Sonderkonto: Martin Singe, Kto.: 559430469; BLZ: 44010046; Postbank Dortmund

Anstehende Termine: (alle Amtsgericht Frankfurt, Gebäude E, Hammelsgasse, 5 Minuten zu Fuß von Konstablerwache)
 

 
    22.7.04, 13.00 Uhr: gegen sieben Personen Nordtor, Richterin Walter
 
 
    30.8.04, 13.00Uhr: gegen vier Personen Nordtor, Richterin Walter
 
 
    13.9.04, 13.00 Uhr: gegen vier Personen Nordtor, Richterin Walter

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".