Rüstungskontrolle

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

von Otmar Steinbicker
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Außenminister Frank-Walter Steinmeier machte Mitte September Schlagzeilen mit seiner Beteiligung an Verhandlungen über neue Waffenstillstands-Vereinbarungen im noch immer schwelenden Konflikt in der Ostukraine. Weitaus weniger Medienecho bekam er leider für einen sehr viel weitreichenderen Vorstoß für einen Neustart der Rüstungskontrolle.

In einem Namensartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagte er am 26. August die im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt neu aufgebrochene Blockkonfrontation zwischen der NATO und Russland und erinnerte an die Entspannungspolitik Willy Brandts. Besondere Sorge misst Steinmeier aktuell dem Zerfall der bestehenden Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung bei und greift in seinem Aufsatz Russlands Forderung nach einer neuen Debatte über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa auf. Es sei höchste Zeit, Russland beim Wort zu nehmen.

Er benennt auch konkrete Themenvorschläge: Regionale Obergrenzen für Waffen und Truppen, die Berücksichtigung neuer militärischer Strategien und neuer Waffensysteme, die Notwendigkeit einer echten Verifikation, also der Überprüfung geschlossener Vereinbarungen.

Steinmeiers Vorstoß kommt zur richtigen Zeit. Der seit Anfang 2014 bestehende Ukraine-Konflikt hat längst die Sackgasse einer Neuauflage eines Kalten Krieges aufgezeigt. Neue Militärstrategien und die Entwicklung neuer Waffensysteme erhöhen die Gefahr einer neuen, gefährlichen und teuren Spirale des Wettrüstens.

Der Generalleutnant der Luftwaffe der Bundeswehr und Kommandeur des Zentrums Luftoperationen der Luftwaffe in Kalkar, Joachim Wundrak, stellte unlängst in einem Reader in Vorbereitung einer NATO-Konferenz über Luftwaffenoperationen eine bemerkenswerte These auf: Für einen erfolgreichen Luftkrieg großer Dimension seien die derzeitigen Waffensysteme der NATO nicht geeignet. Entweder seien sie nicht weitreichend genug oder sie seien zu leicht mit modernen Abwehrsystemen zu besiegen. Dieses Problem stellt sich allerdings nicht nur der NATO.

Zwei mögliche Reaktionen
Eine solche „Lücke“ bietet bekanntermaßen zwei mögliche Reaktionen: Entweder füllt man sie mit neu zu entwickelnden Waffensystemen oder die sich gegenseitig bedrohenden oder sich bedroht fühlenden Seiten schließen gemeinsam die Entwicklung solcher Waffen aus. Der bedeutendste Vertrag in dieser Hinsicht wurde 1972 zwischen den USA und der UdSSR im Bereich der Raketenabwehr gegen Atomwaffen geschlossen. Leider traten die USA 2002 unter Präsident George W. Bush einseitig von diesem wichtigen Vertrag zurück.

Heute besteht die Möglichkeit, die „Lücke“ bei der Luftkriegführung durch einen Vertrag über Rüstungsbegrenzung vertraglich offen zu halten. Damit wäre für beide Seiten eine Verteidigung, nicht aber ein Angriff möglich. 1988/89 dachte eine Arbeitsgruppe von Militärs aus Bundeswehr und DDR-Militärs über die Schaffung einer „strukturellen Nichtangriffsfähigkeit“ zwischen NATO und Warschauer Pakt nach, mit der das militärische Bedrohungspotenzial zwischen den Blöcken reduziert werden sollte. Die Überlegungen gingen damals in eine ähnliche Richtung: Verteidigung sollte möglich, Angriff unmöglich sein.

Selbstverständlich bringen bei Gesprächen über Rüstungskontrolle die unterschiedlichen Seiten verschiedene, manchmal auch gegensätzliche Überlegungen ein, nicht zuletzt bedingt durch unterschiedliche strategische Ausgangspositionen. Wenn solche Gespräche Erfolg haben sollen, dann ist auf beiden Seiten gutes Zuhören erforderlich, um die Sorgen und Ängste der jeweils anderen Seite zu verstehen und Lösungsvorschläge einzubringen, die im Interesse aller sind.

Den letzten großen Vorschlag für einen neuen euro-atlantischen Sicherheitsvertrag machte im Mai 2008 der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedew. Der damalige und heutige Bundesaußenminister Steinmeier plädierte seinerzeit für eine offene und ernsthafte Diskussion darüber. Diese Chance wurde damals vertan. Heute kann und sollte sie genutzt werden.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de