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Strategiepapier zum Thema Atomwaffen in 2005
vonDie deutsche Kampagne "... auf keinem Auge blind! atomwaffenfrei bis 2020" ist Teil der internationalen Kampagne "Abolition Now!", die vom globalen Netzwerk "Abolition 2000" von über 2000 Organisationen weltweit getragen wird. Darüber hinaus hat sich ein neues europäisches Netzwerk geformt, das sich "Abolition 2000 Europa" nennt. Der deutsche Trägerkreis schließt etwa 40 Organisationen zusammen. Er versteht sich als "deutsche Sektion" des "Abolition-2000"-Netzwerks und "Abolition 2000 Europa". Um die deutsche Kampagne "... auf keinem Auge blind!" durchzuführen, hat der Trägerkreis einen Kampagnenrat gebildet.
Auch einzelne Organisationen führen gemeinsame Projekte durch, beispielsweise der von INES und BITS getragene Appell für die Unterstützung eines "Einsteinjahrs" oder das noch in der Beratungsphase zwischen IPPNW, Greenpeace und Pugwash "Come Clean - Karten auf den Tisch" befindliche Aufklärungsprogramm zu Massenvernichtungswaffen.
Die wichtigsten Forderungen der Kampagne "... auf keinem Auge blind! atomwaffenfrei bis 2020" wurden bereits Ende 2003 festgelegt: eine atomwaffenfreie Welt bis 2020, deshalb Verhandlungen über eine Atomwaffenkonvention ab 2005; Stopp jeglicher Atomwaffenentwicklung; der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und das Beenden der nuklearen Teilhabe; Europa darf keine Atomwaffenmacht werden; kein Weiterdrehen an der Bedrohungsschraube (z.B. durch Entstehung weiterer Atomwaffenstaaten).
Wichtig für die Kampagne ist die Zusammenarbeit mit dem weltweiten Bürgermeisterverband "Mayors for Peace" und die Unterstützung von dessen Kampagne "2020 Vision". Durch diese Ebene spannen wir einen Bogen zwischen der diplomatischen Ebene und der lokalen Ebene.
Bisher sind in zahlreichen deutschen Orten Gruppen aktiv geworden. Sie haben BürgermeisterInnen für die Kampagne gewonnen, zum Beitritt bewegt, Malaktionen (oder Graffitiaktionen) gestartet und Bausteine für das Völkerrecht-Denkmal gesammelt. Bei all diesen Aktionen konnte das Thema Atomwaffen an die Öffentlichkeit kommen.
Es ist aufgefallen, dass in der jüngeren Generation das Thema keinerlei Interesse weckt. Darum überlegt eine Gruppe von Jugendlichen und Studierenden, wie man das Thema "moderner" machen kann. Gleichzeitig hat der Trägerkreis die Notwendigkeit gesehen, dass das Grundwissen über Atomwaffen vermittelt werden muss, da immer weniger Menschen es aktuell besitzt. Daher entstand das Projekt "Atomwaffen A-Z", das in einer Internetseite mit Basiswissen über Atomwaffen Ausdruck findet (www.atomwaffenA-Z.info). Hiroshimas Bürgermeister Akiba hat der IPPNW beim Weltkongress in China 2004 nahegelegt, dass es gerade unsere Aufgabe ist, den atomaren Holocaust nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Es ist notwendig, dass wir durch neue und alte Medien Studierende und SchülerInnen erreichen. Einige Projekte wurden dafür entwickelt: z.B. das "Nuclear Weapons Inheritance Project" der internationalen IPPNW-Studierenden oder das "Come-Clean"-Programm von Greenpeace, IPPNW, Pugwash und BASIC in Großbritannien. Hier in Deutschland wollen wir entsprechende Programme und Unterrichtsmaterialien für die Schule entwickeln. Eine Hauptforderung der letzten Jahrestagung des Trägerkreises war, den atomaren Holocaust in Hiroshima und Nagasaki in das Curriculum der deutschen Schulen aufzunehmen.
"... auf keinem Auge blind! atomwaffenfrei bis 2020" wird das 60. Jahr der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki mit einer Pressekonferenz einleiten. Wichtigster Referent ist der Bürgermeister von Hiroshima, Tadatoshi Akiba, der Berlin am 20./21.1. besuchen wird. Akiba und Vertreter des Kampagnenrats werden am 21.1. das Auswärtige Amt besuchen und dabei über die deutsche Position zum NPT reden. Dieses Gespräch baut sich auf der langjährigen Lobbyarbeit durch den Trägerkreis und auf die "Middle Powers Initiative" auf, die 2004 endlich das Ziel erreichte, dass Deutschland die Resolution der "New Agenda Coalition" (NAC) zustimmte. Deutschland wird international als Schlüsselstaat angesehen, der eine Spaltung in der NATO einleiten könnte. (Die NAC ist eine Gruppe von 8 Staaten, die seit 1998 jährlich eine Resolution bei der UN-Vollversammlung einbringt, um die Abrüstung mit einer neuen Agenda wieder auf dem Weg zu bringen.) Dies war auch der Fall bei der Abstimmung bei der UN-Vollversammlung 2004 über die NAC-Resolution, wo Deutschland, Belgien, Holland, Kanada, Litauen, Luxemburg, Norwegen und die Türkei von einer Enthaltung zu einer Zustimmung bewegt wurden. Hierbei hat gerade die gemeinsame Lobbyarbeit in Deutschland, Belgien und Holland Früchte getragen. Aus diesem Grund konzentriert sich die Arbeit des Abolition 2000 Europa-Netzwerkes auf diese drei Länder, und Akiba besucht zumindest Belgien und Deutschland, evtl. auch Holland.
Die deutsche Lobbyarbeit geht im März mit den deutschen Bürgermeistern für den Frieden weiter. Ein weiteres Gespräch im Auswärtigen Amt wird angestrebt und danach ein runder Tisch der Bürgermeister, um über die Kampagne und Möglichkeiten der Einmischung in New York zu besprechen.
Gipfel der Lobbyarbeit wird die Teilnahme an der Überprüfungskonferenz sein, wo letzte Vermittlungen stattfinden und Diplomaten versuchen werden, ein erfolgreiches Ergebnis in vier Wochen zu erreichen. Von uns sollen etwa fünf Bürgermeister in der etwa 100-köpfigen Delegation aus aller Welt teilnehmen. Das Ziel ist, etwa 1.000 NGO-Vertreter bei der Überprüfungskonferenz dabei zu haben, diesmal nicht nur die Experten, sondern auch viele Jugendliche und Studierende, die an den zahlreichen Informationsveranstaltungen teilnehmen können.
Im Vorfeld der NPT-Überprüfungskonferenz (NPT = Non Proliferation Treaty = Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen)wird eine gewaltfreie Aktion vor dem NATO-Hauptquartier in Belgien unter dem Titel "Bombspotting" stattfinden. Der Trägerkreis hat sich entschieden, über die Aktion zu informieren. Die Hoffnung ist, dass eine solche Aktion gerade für jüngere Leute anziehend sein wird. Zentrales Thema dieser Aktion ist die nukleare Teilhabe.
Es muss viel mehr Öffentlichkeit für dieses Thema erzeugt werden. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass Atomwaffen in Deutschland existieren. Eine Überarbeitung des IPPNW-Aktuell "Atomwaffenpoker in Deutschland" soll neueste Zahlen der NRDC (150 Atomwaffen in Deutschland) enthalten. (Natural Defenses Resources Council, eine NGO, die in der Bulletin of Atomic Scientist immer die neusten Statistiken zu Atomwaffen veröffentlicht.) Dennoch brauchen wir eine öffentlichkeitswirksame Aktion, um eine breite Aufmerksamkeit zu erzielen.
Der NPT wirft die Frage der Weltordnung gleich mit auf. Einige Staaten weigern sich, die sog. "atomare Apartheid" zu akzeptieren, ein kompletter Zusammenbruch des NPT droht. Der brisanteste Fall ist momentan der Iran. In diesem Fall arbeitet die IPPNW mit Friedensforschungsinstituten an einer aktiven Teilnahme und an einer nachhaltigen Lösung. Ein Vorschlag von Mohssen Massarrat liegt auf dem Tisch für eine Staatskonferenz im Nahen Osten, die der KSZE ähneln soll, und als Kern die Einrichtung einer Massenvernichtungswaffenfreien Zone hat.(vgl. Beitrag von Mohssen Massarrat in diesem Heft aus Seite ..) Eine Expertenrunde kommt im Januar zusammen, um den weiteren Weg zu diskutieren. Erste Überlegungen über eine Runde auf internationaler Ebene in der Türkei im November 2005 laufen. Dennoch muss viel mehr an diesem Thema gearbeitet werden, um einem weiteren Krieg in der Region vorzubeugen. Deutschland spielt hier noch einmal eine Schlüsselrolle.
Es laufen jetzt Diskussionen über eine bundesweit koordinierte Aktion zu den Hiroshima- und Nagasaki-Jahrestagen unter dem Motto "Nacht der 100.000 Kerzen", wobei den Opfern der ersten Atombombeneinsätze mit Kerzen (evtl. auf Flüssen) gedacht werden soll.
Die 60. Jahrestage geben Anlass für alle Organisationen, mit den Medien über gestern und heute zu reden. Journalisten suchen in dieser Zeit unseren Expertenrat und brauchen Vermittlungshilfe für Interviewpartner. Da die meisten Journalisten junger als 40 Jahre alt sind, haben wir hier die Möglichkeit, unsere Inhalte zu transportieren, indem wir sie gezielt mit Informationen beliefern. Nicht nur die Folgen der Einsätze von Atomwaffen soll Thema sein, sondern die jetzigen Gefahren, Hintergründe und mögliche Auswege.
Schlussfolgerungen
Wir stehen an einer Kreuzung zwischen der Erbschaft des Kalten Krieges (nukleare Teilhabe) und einem neuen nuklearen Zeitalter. Wie es weiter geht, hat sehr viel mit der politischen Dynamik in den USA zu tun und wie viel Selbstvertrauen Europa in der internationalen Politik entwickelt. Deutschland spielt eine maßgebliche Rolle in dieser Geschichte, wird aber sehr stark von der Innenpolitik abgelenkt, so dass die Brisanz der aktuellen Situation nicht erkannt wird. Zwei Zeichen könnten von Deutschland aus erfolgen, um die Abrüstung wieder auf die Tagesordnung zu bringen: eine Kündigung der technischen Teilhabe (siehe IPPNW-Aktuell 12/04) und eine eindeutige Position bei der NPT-Überprüfungskonferenz für die Erfüllung des Artikel VI und Unterstützung für die NAC. (Artikel VI fordert die Nuklearmächte auf, eine vollständige atomare Abrüstung auszuhandeln)
Unsere Kampagne und viele Projekte müssen bei jeder Gelegenheit deutlich machen, warum es gerade jetzt zu einer Zuspitzung der Gefahr kommt und dass die deutsche Bevölkerung die Atomwaffen insgesamt ablehnt - hier und auch woanders. Dafür brauchen wir eine neue Basis, die aus jüngeren Menschen besteht. In meinen Augen heißt das, dass die wichtigste Arbeit überhaupt in der Aufklärung besteht. Das ist auch die Schlussfolgerung vieler anderer Bewegungen in anderen Ländern.
Anlässe
Für Initiativen:
1. 60. Jahrestag der Atomwaffenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki (6. und 9. 8.).
2. Das "Einstein-Jahr".
3. Die 5. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (Mai 2005) in New York.
4. 60 Jahre nach dem ersten Atomtest.
5. Weitere Entscheidungen über die Entwicklung neuer Atomwaffen in den USA.
6. Streit um Urananreicherung in Iran.
7. Zertifizierung des Eurofighters als Ersatz für den Tornado (Atomwaffenträger).
Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin der IPPNW und arbeitet in der Geschäftsstelle der deutschen IPPNW-Sektion in Berlin. Sie koordiniert der deutschen Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen". Sie ist Mitbegründerin des internationalen Netzwerkes für die Abschaffung aller Atomwaffen "Abolition 2000"und Mitglied dessen Global Council.