Von wegen „nicht dazu da, Waffen zu segnen“

Über den Militär- und Kriegsdienst der Militärseelsorge

von Albert Fuchs
Hintergrund
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Es droht eine schwarze Wolke…
Wir haben Soldaten notwendig, gläubige Soldaten.
Gläubige Soldaten sind die wertvollsten.
Sie setzen alles ein.

(Adolf Hitler, in einem Gespräch mit dem Osnabrücker Bischof Berning am 26. April 1933 (1)

Das besondere, „Militär-“ oder „Soldatenseelsorge“ genannte bundesdeutsche Zusammenspiel von Staat und Kirche gilt als im Kern grundgesetzlich verankert: einerseits durch die in Artikel 2 (Abs. 1 u. 2) des Grundgesetzes garantierte „Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ und „ungestörte Religionsausübung“ und andererseits durch eine gemäß Artikel 140 GG aus der Weimarer Verfassung übernommene Regelung: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht“, sind dieser Regelung zufolge „…die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen“ (Art. 141 WRV).

Um dem Ziel der insoweit grundgesetzlich angelegten Kooperation von Staat und Kirche im Falle des „Heer[es]“ gerecht zu werden, hält man es für erforderlich, seelsorgerische Leistungen zur Verfügung zu stellen, die speziell auf die Arbeit und die Arbeitsbedingungen des Militärpersonals inkl. seiner Dienstzeiten und örtlichen Gegebenheiten abgestellt sind. Das wiederum erfordert Vereinbarungen zum Status, zur Tätigkeit und zur Alimentierung der Militärseelsorger sowie zur Organisation dieses Dienstbereichs. Entsprechende rechtliche Regelungen liegen für die katholische Militärseelsorge im Wesentlichen in dem einschlägigen Passus des (gemäß einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957) weiter geltenden Reichkonkordats von 1933 vor (Art. 27 RK). Die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr ist durch den Militärseelsorgevertrag von 1957 geregelt; er gilt seit Anfang 2004 als rechtlicher Rahmen auch für die ostdeutschen Landeskirchen.

Zurüstung der „Seelen“
Bei einer Unterredung im November 1936 (in Obersalzberg), bei der Hitler konstatierte, der Soldat, der 3 oder 4 Tage im Trommelfeuer liege, brauche einen religiösen Halt, versicherte ihm Kardinal Faulhaber, da könne die Kirche dem Staat helfen und die Seelen rüsten.Der staatlich-militärische Erwartungshorizont kommt deutlich zum Ausdruck in der für die Militärseelsorge bei der Bundeswehr immer noch maßgeblichen Zentralen Dienstvorschrift ZDv 66/1 vom 25.08.1956, wenn auch nicht annähernd so brutal offen wie bei Hitler. Danach stellt sich die Militärseelsorge „die Aufgabe, unter Wahrung der freiwilligen Entscheidung des einzelnen das religiöse Leben zu wecken, zu festigen und zu vertiefen. Dadurch fördert sie zugleich die charakterlichen und sittlichen Werte in den Streitkräften und hilft die Verantwortung tragen, vor die der Soldat als Waffenträger gestellt ist.“ (2)

Demzufolge stellt sich die Frage, wie die kirchlichen VertreterInnen der Militärseelsorge mit dem staatlich-militärischen Erwartungshorizont umgehen. Diesbezüglich aufschlussreiche Interviews mit den ranghöchsten amtierenden Vertretern der kirchlichen Militärseelsorge, dem katholischen Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck und dem evangelischen Militärbischof Sigurd Rink, wurden im vergangenen Jahr vom Bonner General-Anzeiger veröffentlicht (3). Mit den Ausführungen von Bischof Overbeck hat sich eine kleine Gruppe aktiver Mitglieder der katholischen Friedensbewegung Pax Christi in einem offenen Brief eingehend auseinandergesetzt (4). Aus ihrer differenzierten Kritik an der Amtsführung des katholischen Militärbischofs stechen zwei Punkte hervor, die, geringfügig modifiziert, auch bei Bischof Rink zu konstatieren sind.

Zum einen macht man es sich ausgesprochen leicht mit dem notorischen Gegensatz zwischen dem jesuanischen Ethos radikaler Gewaltfreiheit und der Gewaltverhaftung des Militärbetriebs. Bischof Overbeck verschiebt diesen Konflikt in das Gewissen des Einzelnen, hält aber andererseits, höchst begründungsdürftig, die Anwendung von militärischer Gewalt „im Krisen- und Konfliktfall“ nicht nur für (objektiv?) rechtfertigungsfähig, also für erlaubt, sondern für „mitunter auch geboten“. Und Bischof Rink genügt eine „kleine Schrift von Martin Luther aus der Zeit der ... Bauernkriege“ im geistig-geistlichen Überlebensbeutel für den soldatischen Weg durch die Dilemmata militärischer Gewalt – eine Schrift, in der Luther im Wesentlichen auf den Unterschied zwischen der Sorge für sich selbst und der Sorge für andere abstellt, bei jener Gewaltverzicht fordert, bei dieser Gewaltgebrauch gutheißt, den Konflikt also letztlich auch wieder in das individuelle moralische Bewusstsein schiebt. Dass derart obrigkeitsgefällige Ethik auch immer noch die Verwicklung der Bundeswehr in die Nuklearstrategie ethisch sanieren können soll, ist eine besonders krasse Zumutung für ernsthaftes Nachdenken über die ethische Problematik militärischer Gewalt.

Der zweite Hauptkritikpunkt betrifft die Linientreue, die beide Kirchenherren gegenüber der herrschenden Militär- und Sicherheitspolitik an den Tag legen. So schätzt Bischof Overbeck u.a. die bundesdeutsche militär- und sicherheitspolitische Entwicklung seit der Epochenwende von 1989/90 durchweg als positiv ein, bis hin zu einem vorbehaltlosen Lobspruch auf die Bundeswehr als „Parlamentsarmee“ mit „klaren ethischen Standards“. Und Bischof Rink, von der Redaktion als „bekennende[r] Pazifist“ vorgestellt, scheint sich mindestens ebenso sehr um „Material und Personal für die Einsätze“ zu sorgen wie um die Menschen, die beim Militär bzw. im Einsatz besonders „offen für die Seelsorge“ seien.

Augenscheinlich besteht also nur ein gradueller Unterschied zwischen Kardinal Faulhabers Bereitschaft, sich auf Hitlers Erwartungen einzulassen, und der klerikalen Kammerdienerei der amtierenden Militärbischöfe gegenüber dem staatlich-militärischen Erwartungshorizont für die Bundeswehr.

Militärgeistlicher Kriegsdienst
Für einen dezidierten (kirchlichen) Kritiker wie den ehemaligen Militärseelsorger Matthias Engelke (5) ist ausgemacht, dass die etablierte Militärseelsorge nicht nur Militärdienst im Sinne der Zurichtung der Seelen leistet, sondern „Kriegsdienst“ in einem engeren Sinn.

Der Tod eigener Soldaten ist die Stunde der religiösen SpezialistInnen. Dabei geht es insbesondere darum, dem Geschehen irgendwie Sinn abzugewinnen und Schuld(-gefühle) zu bewältigen. Gemäß der herrschenden politisch-militärischen Ideologie haben Soldaten dafür zu sorgen, dass „notfalls“ getötet wird, wer sich der Zielsetzung der eigenen Regierenden widersetzt; der Tod „der anderen“ – für „unsere“ Sicherheit und „unser“ Wohlergehen – ist kaum des Nachdenkens und der Rede wert, auch nicht die politisch-moralische Fragwürdigkeit des militärischen Unternehmens. Die Eigenen dürfen auch nicht umsonst umgekommen sein. So muss ihr Tod für die Überlebenden einen besonderen Sinn haben. Er besteht darin, die „Sache“, für die sich die „Gefallenen“ bis zum „Opfer des Lebens“ eingesetzt haben, mit möglichst gleichem Einsatz weiter zu betreiben.Mit der Rede von einem Opfertod wird der Soldatentod zu einem übergeordneten Geschehen erhoben und erhält gleichsam sakrale Qualität.

Zum Kriegsdienst wird der militärgeistliche Service Engelke zufolge vor allem durch die Abwesenheit der Opfer der anderen Seite, der verletzten und/oder getöteten Gegner: „Dadurch wird augenfällig, dass die Militärseelsorger nicht im Dienste einer Institution stehen, die unabhängig vom Militär andere Zusammenhänge und Bezüge schafft und lebt, wie es etwa die weltweite Kirche beansprucht, sondern sie agieren innerhalb der Grenzen und Regeln des jeweiligen Militärs. […] Feindesliebe, die Jesus gemäß zum Weg derer gehört, die ihm nachfolgen, …ist ausgeschlossen.“ (ebd. S. 8)

Fazit

Die dargestellten Sachverhalte und Analysen lassen die im Titel des vorliegenden Beitrags aufgenommene Bemerkung von Bischof Overbeck, er sei „nicht dazu da, Waffen zu segnen“, bestenfalls als Ausdruck von Selbsttäuschung erscheinen. Es geht aber nicht nur um individuelle Selbsttäuschung, sondern um sozial geteilte und insofern um eine Art von institutionell verfestigter Selbsttäuschung, die darauf hinausläuft, im politischen und kulturellen Sinn sehr wohl „Waffen zu segnen“, und die damit höchstwahrscheinlich beiträgt zur Verstärkung und Perpetuierung des kulturellen „Mythos erlösender Gewalt“ (W. Wink). Wie sich dieses Waffensegnen aber tatsächlich auswirkt, lässt sich weder auf der Basis von Plausibilitätserwägungen noch durch u.U. auch raffiniertere Interpretation von Einlassungen hochrangiger Akteure der Militärseelsorge ausmachen, sondern nur durch empirische Forschung.

Was immer aber die Wirkungen sein mögen, militärgeistliches Waffensegnen auch dieser indirekten Art stellt, aus der hier zugrunde gelegten Perspektive, eine gravierende Belastung der Glaubwürdigkeit des amtskirchlichen Friedenspathos dar.

Anmerkungen
1 . Breuer, T. (1999/2015): Gehorsam, pflichtbewusst und opferwillig. Deutsche Katholiken und ihr Kriegsdienst in der Wehrmacht. In P. Bürger (Hrsg.), „Es droht eine schwarze Wolke“. Katholische Kirche und Zweiter Weltkrieg (S. 75-84). Berlin: Pax Christi/D , S. 75
2 Czermak, G. (2017): Militärseelsorge. Institut für Weltanschauungsrecht (Lexikon). https://weltanschauungsrecht.de
(3) Overbeck, F.-J. (2018): „Ich bin nicht dazu da, Waffen zu segnen.“ Über die Seelsorge für Soldaten, soziale Brennpunkte und das Verhältnis von Staat und Kirche. General-Anzeiger/Bonn, 11.01.2018, S. 3
Rink, S. (2018): „Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind keine Trockenübungen.“ Über schlechte Ausrüstung der Truppe und anspruchsvolle Soldatenseelsorge. General-Anzeiger/Bonn, 20.11.2018, S. 26
4 Pax Christi/Impulsgruppe (2018): An den katholischen Militärbischof Herrn Dr. Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen – Offener Brief  anlässlich des „Tages der Militärseelsorge“  im Rahmen des 101. Deutschen Katholikentags vom 9. bis 13. Mai 2018 in Münster. Verfügbar unter: https://militaerseelsorge-abschaffen.de  
5 Engelke, M. (2010): Der Kriegsdienst der Militärseelsorge. Wissenschaft und Frieden, 28 (3), Dossier 65, S. 6-8

Albert Fuchs, Jg. 1937, war Hochschullehrer für Kognitions- und Sozialpsychologie und psychologische Methodenlehre, ist u.a. Mitglied des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung und bei Pax Christi engagiert.  Der vorliegende Beitrag wurde redaktionell gekürzt; der Autor kann auf Anfrage eine elektronischeVersion der Langfassung zur Verfügung stellen. Kontakt: fuchs.albert at t-online.de

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