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Ultrarechte in Israel
Ultrarechte jüdische Israelis und der „Finger Gottes“
vonAm 10. Februar 1983 wurde Emil Grünzweig bei einer Demonstration von Schalom achschav (Frieden jetzt) getötet. Yona Avrushmi, ein laut Wikipedia „rechtsradikaler Aktivist“, hatte eine Granate auf die friedensbewegte Menge geworfen. Grünzweig, 1947 als Sohn einer Auschwitz-Überlebenden in Rumänien geboren, gelangte mit der Familie über Frankreich und Brasilien 1963 nach Israel. Als Soldat kämpfte er im Sechs-Tage-Krieg, als Reserveoffizier im Yom-Kippur- und Libanon-Krieg. Der Mathematiklehrer führte mit Schüler*innen Rollenspiele zum Konflikt durch und organisierte Sommerlager zur Verständigung zwischen jüdischen und arabischen Jugendlichen. Als Mitglied von Schalom achschav wurde Grünzweig zur Symbolfigur der israelischen Friedensbewegung, ein 1981 in Israel gestifteter Menschenrechtspreis wurde 1983 nach ihm umbenannt. (Siehe auch https://peacenow.org.il/en/about-us/emil-eng)
Zurück zur Tat: Jüdisch und Terror? Mutet das nicht wie ein Widerspruch an, wo man doch weltweit Terror gemeinhin und fast reflexartig mit palästinensisch verbindet? Wird israelisch-jüdische Gewalt von Medien hierzulande ausgeblendet? Ein Blick zurück:
Das Mitglied der schwedischen Königsfamilie Folke Bernadotte Graf von Wisborg, Retter von 20.000 KZ-Häftlingen, wurde sechs Tage nach der Ausrufung des Staates Israel von den Vereinten Nationen zum Vermittler in Palästina ernannt. Im September desselben Jahres 1948 wurden er und ein Mitarbeiter an einer Straßensperre in Jerusalem von zwei Männern in israelischen Uniformen erschossen; die Mörder waren Mitglieder der Untergrundgruppe Lechi (Akronym, „Kämpfer für die Freiheit Israels“), die Anschläge auf die britische Mandatsmacht ausgeführt hatte und der auch der spätere Ministerpräsident Yitzchak Schamir angehörte. Wahrscheinlich musste der Diplomat sterben, weil er das Rückkehrrecht der 750.000 von jüdischen Milizen vertriebenen Palästinenser*innen betont hatte.
Doch woher stammt das Gedankengut, das heutige israelische Juden gewalttätig werden lässt gegen Material, Tiere und Menschen? „Israelische Siedler erschossen zwei Palästinenser (…) in neu errichteten Siedlungsaußenposten in Hebron bzw. Ramallah“ – einer verletzte mit einem Messer einen Siedler, der andere wurde bei einem solchen Versuch getötet. „Israelische Siedler verletzten 18 Palästinenser, darunter mindestens ein Kind, bei neun Vorfällen (…) und beschädigten in 42 anderen Fällen Eigentum von Palästinensern.“ So berichtet es die UNO-Agentur OCHA im Protection of Civilians Report für den Berichtszeitraum 10. bis 30. Januar 23. Im gesamten Jahr 2022 wurden 849 Angriffe und Überfälle verzeichnet. Was lässt Siedler*innen Brunnen vergiften, Oliven stehlen, Kirchen beschmieren, Anschläge auf die Al-Aksa-Moschee planen und zu Schlagstöcken und Schusswaffen greifen? Einen Teil der Antwort gibt das Jahr 1967.
Beginn der Siedlungen
Gleich nach dem Sechs-Tage-Krieg in jenem Jahr, in dem Israel die Größe seines Gebiets vervierfachte, begann das Siedlungsprojekt. Manche sahen das messianisch-jüdische Zeitalter angebrochen und forderten lautstark, im Westjordanland zu siedeln; sich neben einer jüdischen Stätte niederzulassen sei Auftrag des Allmächtigen. Am 27. September 1967 rammte Hanan Porat den ersten Pflock von Kfar Etzion bei Bethlehem in den Boden, „der erste Schritt einer verhängnisvollen Reise, auf die Hanan Porat (…) und seine Freunde die gesamte israelische Gesellschaft mitreißen würden”, meinen Idith Zertal und Akiva Eldar in ihrem Standardwerk Die Herren des Landes. Porat und Mitstreiter erachteten besagten Krieg als den „Big Bang, der dem religiösen Zionismus die Möglichkeit eröffnete, an der nächsten Phase der Erlösung teilzuhaben, der jüdischen Besiedlung Großisraels”. Damit erhoffen die Siedler*innen die Ankunft des jüdischen Messias zu beschleunigen. Für den deutschen Siedlungsexperten Steffen Hagemann ist damit „die Besiedlung des Landes (…) unerlässlich für die messianische Erlösung”, was eine „heilsgeschichtliche Dramatisierung des Konflikts” bedeute.
Absolventen der Jerusalemer Bibelschule Yeshiva Merkaz HaRav Kook gründeten im Sinne ihres Rabbis und Siedlungsbefürworters Kook 1974 den „Block der Getreuen und Gläubigen” Gush Emunim. Der nahm im Frühsommer 1980 die palästinensischen Bürgermeister von Nablus, Ramallah und al-Bireh mit Sprengladungen und Bomben ins Visier – als Rache für sechs ermordete jüdische Bibelstudenten. Einem mussten die Beine amputiert werden, dem anderen zerriss es einen Fuß, der dritte hatte Glück; dort traf es jedoch einen israelischen Grenzpolizisten, als er die Bombe entschärfen wollte. „Zum ersten Mal seit Jahren hatten offenbar extremistische Juden arabischen Terror wieder durch Terror gegen Araber in größeren, gut geplanten Aktionen beantwortet“, schrieb damals Der Spiegel (Zwei Augen, 8.6.1980). Für Yehuda Etzion, einen der Täter, war es ein „eindeutiger Akt der Verteidigung”. Die auch verdächtigte, faschistisch-rassistische Kach-Bewegung ließ durch ihren Sprecher Yossi Dayan verlautbaren: „Unsere Leute waren das nicht, denn wir werden seit Wochen von der Polizei beschattet“, er meinte aber, bei den Anschlägen „den Finger Gottes“ am Werk gesehen zu haben.
Siedler*innen sehen sich in der Tat vom Allerhöchsten zu fast allem ermächtigt, was dem Ziel dient, so viel Land wie möglich in jüdische Hände zu überführen und gleichzeitig die Zahl der Palästinenser*innen zu minimieren. Der Menschenrechtsaktivist Israel Shahak (1933-2001) schreibt in seinem Buch Jüdische Geschichte, jüdische Religion: „Gush Emunim-Führer haben religiöse Vorschriften angeführt, welche Juden vorschreiben, Nichtjuden zu unterdrücken, (…) als göttliche Ermächtigung für ihren eigenen Plan, alle Araber aus Palästina zu vertreiben.”
Dutzende von solchen Zitaten aus Rabbinermund hat sein Gesinnungsgenosse Amnon Kapeliuk gesammelt, Autor von Rabin – ein politischer Mord. Nationalismus und rechte Gewalt in Israel. „Ihre Rabbiner vergleichen die Araber mit den Amalekitern, deren Ausrottung von Gott angeordnet wurde“, fasst er seine Recherche zusammen. Zum Attentat auf Rabin im November 1995 schreibt Kapeliuk (1930-2009) einen Satz, der einem Schauder über den Rücken jagen kann: „Ohne den Dispens eines Rabbiners hätte Rabins Mörder nie auf den Abzug gedrückt, das hat er selbst zugegeben.“ Gleiches gelte auch für die Mitglieder des „in den achtziger Jahren aktiven jüdischen Terrorrings“.
Ermordung von Rabin 1995
Kapeliuks Buch (Palmyra, Heidelberg) schildert den 4. November 1995, den Tag, der Israel bis heute grundlegend verändert hat. Attentäter Yigal Amir habe im Bus nach Tel Aviv einen jungen rechten Aktivisten getroffen. „Dieser erzählte ihm, jemand von der faschistischen Kach-Bewegung beabsichtige, am gleichen Abend ein Attentat auf Rabin zu verüben. (…) Die Rede war von Itamar Ben-Gvir.“ Dieser ist für viele der eigentliche Gewinner der Wahl vom 1. November 2023. „Tod den Arabern” sangen seine Anhänger auf der Wahlparty und feierten den 46-jährigen Siedler, der circa 50mal angeklagt worden ist – wegen Unterstützung einer Terrorgruppe und Hetze. Nun war er Minister für Nationale Sicherheit und für Polizei und Grenzpolizei zuständig. Kaum im Amt, stieg er trotz Warnungen der Hamas auf den Tempelberg und hielt sich 13 Minuten auf dem für Christen, Juden und Muslime heiligen Ort auf – gerade für Letztere eine Provokation sondergleichen. Kapeliuks Buch, nach wie vor erhältlich, schildert eindrücklich, wes Geistes Kind Ben-Gvir, ja das gesamte national-religiöse Lager ist; welche Mitverantwortung Netanyahu und Peres am Tod Rabins tragen und was im Friedensprozess versäumt wurde. „Die Zukunft wird zeigen, welchen Preis wir für diesen politischen Mord noch werden zahlen müssen“, lautet sein Schlusssatz.
Seitdem sind etwa 10.000 Menschen ums Leben gekommen, die meisten Palästinenser*innen durch israelische Armee oder Grenzpolizei, Israelis mehrheitlich durch Terrorattacken palästinensischer Gruppierungen wie Hamas oder dem Islamischen Jihad oder durch die Hand so genannter Einsamer-Wolf-Einzeltäter. Insgesamt starben circa siebenmal so viele Palästinenser*innen wie Israelis. Ein Ende des Tötens ist nicht absehbar.
Avrum Burg, ehemaliger Sprecher der Knesset und Autor von Hitler besiegen wurde an jenem 10. Februar vor 40 Jahren verletzt. Ende Januar dieses Jahres sprach er bei der Zoom-Webinar-Reihe „Widerstand gegen die radikale Rechte“ (Resisting the Radical Right) der American Friends der israelisch-palästinensischen Combatants for Peace (Friedensstreiter). Er zeichnete den Weg bis zur aktuellen Regierung nach, auf dem „man viele roten Linien überschritten hat“, die nie zu übertreten man einst gelobt hatte. „Man fängt mit moderaten Siedlungen an und hört beim Tempelberg auf, man unterscheidet zwischen jüdischen Terroristen und palästinensischen und man gelangt zu jüdischer Vormachtstellung.“ Wie viele im Friedens- und Menschenrechtslager fragt er sich angesichts der ultrarechtsnational-strengreligiösen Regierung jeden Tag aufs Neue: „Passiert das gerade wirklich?“