Wege zu Verhandlungen

Verhandlungsoptionen im Ukraine-Krieg

von Clemens Ronnefeldt
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Durch die Bundeswehr-Taurus-Abhör-Affäre verschärf(t)en sich die deutsch-russischen Beziehungen. Innenpolitisch lehnte zwar eine breite Mehrheit des deutschen Bundestages die Lieferung von Taurus-Raketen ab, gleichzeitig versuchen die Regierungen von Frankreich und Deutschland sowie einzelne Abgeordnete wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Roderich Kiesewetter („Scholz ist ein Sicherheitsrisiko für Europa“), doch noch diese deutschen Marschflugkörper der Ukraine zu liefern. Damit könnten vom Gebiet der Ukraine von ukrainischen Kampflugzeugen nicht nur die Krim-Brücke, sondern auch Moskau getroffen werden.

Mit dem Manöver „Steadfast Defender“ führt die NATO mit 90.000 Soldat*innen noch bis Juni 2024 das größte Manöver seit Ende des Kalten Krieges durch.

Anfang März 2024 wurde in Odessa der ukrainische Präsident Selenskyj und der griechische Premier Mitsotakis von russischen Raketen beschossen. Beide blieben unverletzt, aber in Odessa wurden fünf Personen getötet (1).

Bereits Ende April 2023 gab es einen Attentatsversuch auf den russischen Präsidenten Putin: „Laut den Angaben hatte der ukrainische Geheimdienst offenbar versucht, eine mit 17 Kilo Sprengstoff beladene UJ-22-Drohne in einen Industriepark östlich von Moskau zu schicken. (…) Ein ukrainischer Aktivist, der dem Geheimdienst nahestehen soll, will eine Erklärung dazu abgegeben haben. ‚Letzte Woche erhielten unsere Geheimdienstoffiziere Informationen über Putins Reise in den Industriepark in Rudnewo. Dementsprechend startete unsere Kamikazedrohne, die durch alle Luftverteidigungen der Russischen Föderation flog und unweit des Industrieparks abstürzte‘.“ (2).

"Wir befinden uns schon im Krieg", sagte der thüringische Obert Georg Oel in der MDR-Sendung „Fakt ist“ am 6.3.2024 in einer Talkrunde (3).

Signale zur Verhandlungsbereitschaft
Gleichzeitig zu den oben beschriebenen Verschärfungen der Ost-West-Spannungen gibt es seit Beginn des Jahres 2024 Signale zur Verhandlungsbereitschaft. Bei einem Treffen von Sicherheitsberatern Mitte Januar in Davos stellte der ukrainische Präsident Selenskyj seinen 10-Punkte-Plan vor:

  1. Kein Einsatz von Atomwaffen, keine AKW-Angriffe, internationale AKW-Kontrolle.
  2. Nahrungsmittelversorgung nicht als Waffe, sicherer Export von ukrainischem Getreide.
  3. Keine Attacken auf zivile Energieversorgung.
  4. Austausch von Kriegsgefangenen und Vertriebenen nach dem „Alle gegen alle“ - Prinzip
  5. Respektierung der Uno-Charta und der Souveränität der Nationalstaaten, Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine.
  6. Vollständiger Rückzug aller russischen Truppen von ukrainischem Territorium
  7. Spezielles internationales Kriegstribunal für das russische Verbrechen, internationaler Mechanismus für Reparationen.
  8. Reparation für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms.
  9. Einbindung in NATO-Sicherheitsstrukturen.
  10. Friedensvertrag nach Beendigung des Krieges, unterzeichnet auch von vielen Staaten und internationalen Organisationen (4).

Selenskyj traf sich Mitte Januar 2024 in Bonn mit seiner Schweizer Kollegin Amherd; beide gaben die Planung eines Ukraine-Friedensgipfels in der Schweiz bekannt, zu dem auch China eingeladen werden sollte (5).

Anfang Februar reiste der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis nach Peking und traf sich mit seinem Amtskollegen Wang Yi, um China für die in der Schweiz geplante Ukraine-Friedenskonferenz zu gewinnen. „Er erhielt in Peking eine Lektion in Realpolitik“ (6) und eine deutliche Absage.

Ende Februar 2024 reiste Ignazio Cassis nach New York, traf sich mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und rief die Staatengemeinschaft dazu auf, in der Ukraine auf Frieden hinzuarbeiten (7).

Wenige Tage zuvor war eine Studie des „European Council on Foreign Relations“ erschienen, die in 12 Ländern Europas eine repräsentative Befragung zum Inhalt hatte: „Im Durchschnitt glauben nur noch zehn Prozent der in zwölf europäischen Ländern Befragten, dass die Ukraine über Russland triumphieren wird. Doppelt so viele sagen dagegen einen russischen Sieg vorher.“ (8)

Am 26.2.2024 erschien die F.A.Z. mit der Überschrift: „Selenskyj kann sich Friedenskonferenz mit Russland vorstellen“. Die zentralen Aussagen Selenskyjs lauteten: „Im Frühjahr wolle man in der Schweiz eine erste, eine ‚Eröffnungskonferenz‘ in einem Friedensprozess abhalten. Dort‚werden die Länder ein gerechtes Dokument vorstellen“; er meinte offenbar einen Entwurf für einen Waffenstillstand.

Erst auf einer zweiten Konferenz, „vielleicht auf einem anderen Kontinent“, könne dann Russland zu den Verhandlungen hinzugebeten werden. Selenskyi betonte, dass ihm daran liege, dass der Prozess früh im Jahr beginne, ehe „in wichtigen Ländern“ Wahlen stattfänden und womöglich ein Land mit einer Friedensinitiative starte, dessen Interessen denen der Ukraine zuwiderliefen. Dass damit die USA gemeint sind, ist deutlich. (9)

Am 27.2.2024 titelte die Berliner Zeitung: „Schweizer Außenminister: ‚Es gibt geheime Friedenspläne für den Ukraine-Krieg‘“ (10).

Positionen Russlands
In ihrem Gastbeitrag „Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden“ fassten im September 2023 Professor Dr. Peter Brandt, Professor Dr. Hajo Funke, General a. D. Harald Kujat und Professor Dr. h.c. Horst Teltschik die russischen Positionen im Herbst 2023 folgendermaßen zusammen:

  1. Konsolidierte Neutralität der Ukraine – keine NATO-Mitgliedschaft.
  2. Keine Stationierung amerikanischer und anderer NATO-Truppen auf ukrainischem Territorium.
  3. Anerkennung der Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja als russisches Staatsgebiet.
  4. Höchstgrenzen für die ukrainischen Streitkräfte insgesamt und für die einzelnen Waffengattungen.
  5. Rüstungskontrollverhandlungen mit den USA/der NATO, insbesondere über Verifikationsmechanismen für das Ballistic Missile Defence System/BMDS der NATO in Polen und Rumänien (11).

Am 14.12.2023 titelte die SZ: „Große Pressekonferenz: Putin nennt Bedingungen für Frieden in Ukraine“ (12) - u.a. der neutrale Status des Landes. Auch die Ziele der „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der Ukraine nannte der russische Präsident – und betonte: „Russen und Ukraine sind ein Volk“.

Ausblick
Am 8.3.2024 berichtete die SZ: „Der ukrainische Präsident ist zu Gesprächen mit seinem Kollegen Recep Tayyip Erdoğan in Istanbul gelandet. (…) Das Präsidentenbüro in Kiew bestätigte den Besuch und die Gespräche für eine mögliche Friedenslösung. Als Schwerpunkte aus ukrainischer Sicht wurden der geplante Friedensgipfel in der Schweiz, die Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer und die Freilassung ukrainischer Kriegsgefangener genannt.“ (13)

Die US-Wahlen am 5.11.2024 werfen ihre Schatten auf den Ukraine-Krieg. Die US-Regierung unter Präsident Biden hat ein großes Interesse, den Krieg zu beenden, bevor möglicherweise Donald Trump ins Amt kommt.

Präsident Putin hingegen hat derzeit keine Eile und könnte auf den Sieg von Donald Trump spekulieren – kennt allerdings auch dessen Unberechenbarkeiten.In den nächsten Wochen und Monaten braucht es das massive Einwirken von China, Indien und Ländern des globalen Südens auf Russland, Zugeständnisse für einen Waffenstillstand zu machen und von Maximalforderungen wie der Anerkennung der vier annektierten Oblaste (s. oben Punkt 3) durch die ukrainische Regierung abzusehen.

Die EU und vor allem Deutschland als größter Waffenlieferant der Ukraine nach den USA (pro Kopf der Bevölkerung sogar noch vor den USA) hat ebenfalls starke Möglichkeiten der konstruktiven Einwirkung auf die ukrainische Regierung bezüglich deren Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Zivilgesellschaft und die Herstellung eines öffentlichen Meinungsklimas, das die Notwendigkeit von Verhandlungen und die Bereitschaft zur Beendigung der Kampfhandlungen und des unsäglichen Leides durch einen Waffenstillstand in das Zentrum der Berichterstattung rückt.

Alle bisherigen Vorschläge für eine Verhandlungslösung samt Waffenstillstand sind in der bereits mehrfach aktualisierten IPPNW- Studie „Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine“ (14) nachzulesen.

Anmerkungen
1    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/odessa-beschuss-besuch-mi...
2    https://www.berliner-zeitung.de/news/bericht-ukrainischer-anschlag-auf-w...
3    https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/fakt-ist-bundeswehr-militaer-a...
4    https://www.nzz.ch/international/friedensformel-der-zehn-punkte-plan-der...
5    https://www.n-tv.de/politik/Schweiz-plant-Friedensgipfel-fuer-Ukraine-ar...
6    https://www.msn.com/de-ch/nachrichten/news/abfuhr-in-china-cassis-f%C3%A...
7    https://www.msn.com/de-ch/nachrichten/other/friedenskonferenz-in-der-sch...
8    https://www.nzz.ch/international/friedensformel-der-zehn-punkte-plan-der...
9    https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/selenskyj-friedenskonferenz-...
10    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/schweize...
11    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/ukraine-krieg-ein-frieden-du...
12    https://www.sueddeutsche.de/panorama/grosse-pressekonferenz-putin-nennt-...
13    https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-krieg-newsblog-scholz-taurus...
14    https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Fried...

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.