Buchbesprechung

„Hell No“ - Die vergessene Macht der Vietnam-Friedensbewegung

von Christine Schweitzer

Tom Hayden (1939-2016) war ein in den USA prominenter Antikriegsaktivist. Er war 1960 Mitbegründer des linken Verbands Students for a Democratic Society (SDS), einer der einflussreichen Gruppen in der Antikriegsbewegung gegen den Vietnamkrieg. Sein letztes Buch, das lediglich 159-Seiten starke Büchlein „Hell No. The Forgotten Power of the Vietnam Peace Movement“ dreht sich darum, dass in der offiziellen Erinnerungskultur in den Vereinigten Staaten die Friedensbewegung und ihr wesentlicher Beitrag zur Beendigung des Vietnamkriegs nicht vorkommt, ja dass sie im Rahmen eines revisionistischen Prozesses bewusst ausgespart wird. Seine Veröffentlichung hat er nicht mehr erlebt; er starb im Herbst 2016.

Das Ziel seines Buches, wie er in der Einleitung darlegt, ist, die Erinnerung an die Bewegung gegen den Vietnamkrieg wach zu erhalten. Mit der Zeit hätten die Kriegsmacher begonnen, ‘auf dem Schlachtfeld der Erinnerung zu gewinnen, was sie auf den Schlachtfeldern des Krieges verloren haben‘ (S. 11). Als Beispiel nennt er Filme wie „Last Days of Vietnam“ und ein Regierungsprojekt, die Erinnerungen von Vietnamveteranen zu dokumentieren, bei dem der Widerstand der GIs gegen Rekrutierung und gegen den Krieg ausgelassen zu werden droht.

„Wer wird unsere Geschichte erzählen, wenn wir nicht mehr sind? So viel ist schon aus dem Gedächtnis entschwunden, und jetzt geht die Zeit schnell zu Ende, um Erinnerungen festzuhalten. Wir müssen der militärischen Besetzung unser Köpfe Widerstand leisten. Lügen, die wir längst besiegt glaubten, werden wieder zum Leben erweckt“, schreibt er.

Und weiter unten führt er aus:

„Man kann nur erraten, warum so viele Eliten die Vietnam-Friedensbewegung vergessen wollen, indem sie die Geschichte säubern, warum öffentliche Erinnerung verkümmert ist und warum es so wenige – wenn überhaupt – Denkmäler für den Frieden gibt. Die ständige Leugnung unseres Einflusses, die bestehende Karikatur dessen, was wir wirklich waren, die ständige Infragestellung unseres Patriotismus, die abscheuliche Behauptung, dass wir keine andere Alternative als die Kapitulation vor der kommunistischen Bedrohung gehabt hätten, hat ein Leichentuch der Illegitimität über unser Andenken geworfen. Dies hatte eine abschreckende Wirkung auf viele JournalistInnen, Friedensbewegte und die heutige Generation der Studierenden. Natürlich ist ein Grund für dieses Vergessen, dass der Vietnamkrieg verloren wurde - eine historische Tatsache, die RepräsentantInnen einer selbsternannten Supermacht nie zugeben können.“

Hayden hat kein Geschichtsbuch geschrieben. Ihm geht es darum, die Erinnerung wachzuhalten und an zukünftige Generationen weiterzugeben, denn dies sei wichtig für die gegenwärtige politische Auseinandersetzung, für den Konflikt zwischen „Empire und Demokratie“, wie Hayden es nennt.
Das Buch ist eher ein Essay mit einem sehr groben roten Faden innerhalb jedes der sechs Kapitel und zwischen ihnen. Hayden schreibt eher so, wie man vielleicht mündlich erzählen würde: Zwar ohne den Faden ganz aus den Augen zu verlieren, aber schon von einem Thema zum nächsten übergehend, um dann erst später den Faden wieder aufzugreifen.

Was die viel diskutierte Frage angeht, welche Rolle die Antivietnamkrieg-Bewegung für die Beendigung des Kriegs gespielt hat, so gibt Hayden eine sehr differenzierte Antwort. Auf der einen Seite akzeptiert er den Vorwurf, dass der Wahlsieg von Nixon 1968 mit dadurch ermöglicht wurde, dass die Antikriegsbewegung sich nicht auf die Unterstützung seines Gegenkandidaten Humphrey einlassen mochte. Andererseits sei die Bewegung ein wesentlicher Faktor in der politischen Auseinandersetzung gewesen: Die GI-Bewegung habe eine weitere militärische Eskalation in den frühen 70er Jahren verhindert und die Antikriegsbewegung die Abschaffung der Wehrpflicht, ein Umschwenken der öffentlichen Meinung und eine gewisse Demokratisierung nach Ende des Krieges bewirkt.

Was die Erinnerung an die Rolle von sozialen Bewegungen angeht, so lassen sich aus deutscher Sicht durchaus Parallelen entdecken. Auch bei der offiziellen Darstellung der Abrüstung der Mittelstreckenraketen Ende der 1980er Jahre und bei dem Zusammenbruch der Staaten des Warschauer Vertrags sucht man oftmals vergeblich eine Erwähnung der Friedens- und Demokratiebewegungen, die beides erst möglich gemacht haben. Stattdessen schreibt sich die NATO diese Entwicklungen als Erfolge zu: Sie habe den Osten „totgerüstet“. Protest? Nebensache, unwichtig, kann verschwiegen werden.

Tom Hayden, Hell No. The Forgotten Power of the Vietnam Peace Movement, New Haven/London: Yale University Press, 2017

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.