Ausnahmen treffen nicht zu

Völkerrechtler halten NATO-Einsatz für unzulässig

von Ursula Knapp
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Völkerrechtler sehen im möglichen Einsatz der Nato in Kosovo einen folgenreichen Völkerrechtsbruch. Diese Auffassung vertritt die deutsche Sektion der Juristenvereinigung Ialana, die 1988 auf Initiative der designierten Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) gegründet wurde und sich die Friedenssicherung ohne Atom- und Chemiewaffen zum Ziel gesetzt hat.

In einer Erklärung der Ialana heißt es, für die Beurteilung einer "humanitären Intervention" sei entscheidend, ob ein völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund vorhanden sei. Die UN-Charta (Artikel 2, Ziffer 4) schreibe für ihre Mitglieder ein militärisches Gewaltverbot vor. Ausnahmen hiervon gebe es nur in fünf festgelegten Fällen, nämlich dann:

  • wenn der betroffene Staat mit einem "Blauhelm"-Einsatz einverstanden ist;
  • wenn militärische Zwangshandlungen unter der Autorität des Sicherheitsrates durchgeführt werden und dem Sicherheitsrat Truppen der Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden;
  • wenn militärische Zwangsmaßnahmen mit ausdrücklicher Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates durch ermächtigte UN-Mitgliedsstaaten durchgeführt werden, wie es 1991 im Golfkrieg der Fall war;
  • wenn der Sicherheitsrat eine regionale Einrichtung, wie die Nato oder WEU ausdrücklich ermächtigt hat;
  • oder ein bewaffneter Angriff vorausging und die militärische Gewalt der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung dient. Voraussetzung ist im letzten Fall aber ein Hilfeersuchen des angegriffenen Staates.

Da es an der Ermächtigung der Nato durch den Sicherheitsrat fehle, sei keiner der Rechtfertigungsgründe gegeben. Die Erklärung der Ialana wörtlich: Soweit Staaten innerhalb der Nato "ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates eigene militärische Gewalt zum Schutze ... fremder Staatsangehöriger im Ausland ... einsetzten", ohne hierfür die Zustimmung des betroffenen Staates zu haben, handeln sie völkerrechtswidrig. Die beteiligten Staaten könnten sich auch nicht auf eine "völkergewohnheitsrechtliche Rechtfertigung" berufen. Nach dem deutschen Grundgesetz seien die allgemeinen Regeln des Völkerrechts "Bestandteil des Bundesrechts". Folglich dürfe auch die Bundesregierung keiner militärischen Intervention der Nato ohne UN-Mandat zustimmen.

Den Einwand, "humanitäre Interventionen" richteten sich nicht gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhänigkeit eines Staates und verstießen somit auch nicht gegen Artikel 2 der UN-Charta, halten die Juristen für nicht zutreffend. Diese Auffassung widerspreche der überwiegenden Meinung des deutschen und internationalen Schrifttums zum Völkerrecht.

Der deutschen Sektion der Juristen-Vereinigung Ialana gehört unter anderem der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Helmut Simon (SPD), an. Der Frankfurter Staatsrechtler Erhard Denninger ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats.

Dokumentiert aus FR vom 15.10.98

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