Zur strategischen (Neu-)Ausrichtung

Vom Ritual zur Lufthoheit - was Friedensbewegung tun müsste

von Kathrin Vogler

Wir diskutieren darüber schon seit langem: Die Friedensbewegung ist überaltert und zu oft auf sich selbst bezogen. Unsere Konferenzen haben oft den Charakter von Familientreffen, Aktionen und Veranstaltungen laufen routiniert, aber auch ritualisiert ab - Aufmerksamkeit erregen sie selten. In einer Zeit, in der mich Fünfzehnjährige fragen, ob es in Deutschland Krieg geben wird, ist das ein Armutszeugnis. Wir müssten da doch eine Hoffnungsbewegung sein, die Menschen ermutigt, für den Frieden zu streiten!

Seit dem Jugoslawienkrieg sind der Friedensbewegung mit SPD und Grünen sowie ihrem Umfeld (hier ist vor allem an die Gewerkschaften zu denken) wichtige BündnispartnerInnen im politischen Raum abhanden gekommen. DIE LINKE ist trotz der großen Übereinstimmung in vielen Fragen schon deswegen kein adäquater Ersatz, weil sie eben nur EINE Partei ist. Überparteilichkeit ist aber ein wichtiger Faktor im Außenbild der Friedensbewegung, und dafür braucht man mindestens zwei Parteien. Anstatt aber danach zu suchen, wo wir in den anderen Parteien anknüpfen, dazwischen gehen und Positionierungen erzwingen können, haben sich viele von uns in der Nische der Aufrechten eingerichtet.

Wir werden auch in Zukunft immer wieder spontan aufwallende Protestbewegungen erleben, die sich in virtuellen Netzwerken formieren und dann auf die Straße drängen. Wir dürfen denen nicht mit Überheblichkeit begegnen, denn dort, wo Menschen sich erst aktivieren und politisieren, kann man keine politikwissenschaftlichen Oberseminare abhalten. Da geht es darum, Angebote zur inhaltlichen Vertiefung, zur politischen Orientierung und zur Vernetzung zu machen, denn das ist es, was unsere Strukturen eben aufgrund ihrer großen Erfahrung am besten können.

Und es gibt auch andere Spektren, auf die wir engagierter zugehen sollten. Ich denke zum Beispiel an die junge, aktionsorientierte antimilitaristische Szene (z.B. "War Starts Here" u.a.). Im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung sind viele Menschen unterwegs, die jedenfalls deutlich jünger als der Schnitt unseres Teils der Friedensbewegung sind, sich aber statt an der Friedensbewegung oft eher an der entwicklungspolitischen Szene orientieren. Sind unsere Angebote für diese Menschen attraktiv genug?

Eine klare Abgrenzung nach rechts ist für die Friedensbewegung lebensnotwendig, selbstverständlich und unumstritten, wenn es etwa um die jahrzehntelangen Versuche der NPD geht, sich an die Friedensbewegung ranzuwanzen oder auch im Protest gegen den sogenannten "nationalen Antikriegstag". Wenn es um diffusere Positionen geht, dann sollten wir darauf achten, dass die notwendige Abgrenzung gegen FaschistInnen, RassistInnen und AntisemitInnen nicht andererseits in Sektierertum ausartet. Wir demonstrieren nicht mit Nazis, aber wenn wir etwas erreichen wollen, dann müssen wir in der Lage sein, gesellschaftliche Bündnisse einzugehen, die weit über unseren "Inner Circle" hinausgehen. Es muss doch unser Ziel sein, die Lufthoheit über den Stammtischen und Babyspielgruppen zu gewinnen und aus schweigenden Mehrheiten handelnde zu machen. Ich frage mich etwa, warum es uns nicht gelungen ist, den Prominentenaufruf "Nicht in unserem Namen!" effektiv für unsere Arbeit zu nutzen.

Die aktuelle Kriegsgefahr, die immer bedeutendere Rolle Deutschlands als EU-Hegemonialmacht und die anstehende Aufrüstungswelle ("Speerspitze", Drohnen, NATO-Aufrüstungsziel von 2% des Bruttoinlandsprodukts) erfordern dringend gemeinsame Ziele und Aktionen. Politische Unübersichtlichkeit und schwache Mobilisierungsfähigkeit haben uns da zu zögerlich werden lassen. Aber nur, wenn die Friedensbewegung aktiv ist und eine Sprache spricht, die die Menschen verstehen, kann sie eine neue Dynamik entfalten.

Wir erleben derzeit eine umfassende Legitimationskrise der Politik, traditioneller Organisationsformen und der Massenmedien. Wir müssen unsere Arbeit stärker als bisher darauf fokussieren, das diffuse Unbehagen mit der Kriegspolitik immer wieder an einzelnen Themen in konkrete Forderungen und ausstrahlungsfähige Aktionen umzumünzen, wie es etwa der Kampagne "Aktion Aufschrei" gelungen ist. Die Vision einer friedlichen Welt muss in konkrete Teilschritte übersetzt werden, die wir durch politisches Handeln erreichen wollen. Dafür muss dann mit aller Kraft gearbeitet werden und auf den Teilerfolgen müssen neue Schritte aufbauen. Nur so kann es uns gelingen, Auswege aufzuzeigen und Menschen für Alternativen zu mobilisieren.

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