Rüstungsexport

Warum die Staatsanwaltschaft auch Anklage gegen die Rüstungsexport-Kontrollbehörden erheben müsste

von Jürgen Grässlin
(c) Netzwerk Friedenskooperative

Das neue Enthüllungsbuch „Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ belegt: Heckler & Koch-Beschäftige werden zu Recht angeklagt. Warum aber erhebt die Staatsanwaltschaft Stuttgart keine Anklage gegen Beamte des Bundesausfuhramts und des Bundeswirtschaftsministerium?

Der Vorwurf der staatlichen Ermittler ist klar formuliert: „Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, in den Jahren 2006 bis 2009 in unterschiedlichen Funktionen an 16 Lieferungen von Gewehren und Zubehörteilen  nach Mexiko beteiligt gewesen zu sein, wobei die Gewehre und Zubehörteile mit Kenntnis der Angeschuldigten in mexikanische Bundesstaaten abgegeben worden sein sollen, die nicht von den deutschen Exportgenehmigungen umfasst waren.

Zu Recht erhob die Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anfang November 2015 „gegen sechs Angeschuldigte Anklage zum Landgericht - Große Wirtschaftsstrafkammer - wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetz“. Gegen die anderen 13 Mitbeschuldigten von Heckler & Koch (H&K) „wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt“, so die Pressemitteilung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.

Mehrere Beschuldigte – unter ihnen zwei vormalige Geschäftsführer des an den  Opferzahlen gemessen tödlichsten Unternehmens in Europa –, das hat es noch nie gegeben. Ein Grund zu großer Freude also – für mich als Anzeigeerstatter, für Holger Rothbauer von pax christi als einmal mehr erfolgreichen Rechtsanwalt und für die Kampagne ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘

Dank der Drucks der Aufschrei-Kampagne und der Harrich-Filme
Und doch gibt es berechtigte Kritik, denn die Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft Stuttgart (StA) kam - nach Strafanzeigenstellung am 19. April 2010 – um Jahre zu spät. Und das in einem spektakulären Rüstungsexportfall bei dem mindestens 10.000 G36-Sturmgewehre und weitere Kleinwaffen nach Mexiko transferiert wurden. Rund die Hälfte dieser Waffen wurde danach widerrechtlich in mexikanische Unruheprovinzen verbracht. Zweifelsfrei ist dies einer der folgenschwersten illegalen Waffendeals in der deutschen Rüstungsexportgeschichte.

Doch die Verantwortungskette für den widerrechtlichen Waffentransfer abertausender Sturmgewehre, so die Analyse nach jahrelanger intensiver Recherche, betrifft eben nicht einzig sechs Beschuldigte – einer der wichtigen Kritikpunkte am Vorgehen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Die Einstellungsverfügung seitens der StA gegen weitere in den Exportskandal involvierte Mitarbeiter bei Heckler & Koch muss deshalb massiv kritisiert werden. Überhaupt hat erst der öffentliche Druck durch zahlreiche Aktivitäten der Kampagne ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!’ zur Anklageerhebung geführt. Entscheidend waren zudem die Filme von Daniel Harrich („Meister des Todes“ und „Tödliche Exporte“ vom ARD-Themenabend am 23.09.2015 mit vielen Wiederholungen), die mittlerweile mehr als fünf Millionen Zuschauer gesehen haben.

Massive Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft
Erhebt sich die Frage, welche Kräfte im Hintergrund gewirkt haben, dass die StA Stuttgart nach der Strafanzeigenerweiterung durch Rechtsanwalt Rothbauer 2012 und trotz absolut klarer Informationslage keine Ermittlungen gegen die Verantwortlichen bei der BAFA und beim BMWi aufgenommen hat. Dies stellt ein schweres Versäumnis der Stuttgarter StA dar, weshalb ich über Rechtsanwalt Holger Rothbauer Beschwerde einlegen werde.

In unserem aktuell erschienenen Werk „Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ (Heyne-Verlag, Print und eBook) dokumentieren wir umfassend die enge Verwicklung des Bundesausfuhramtes (BAFA) und des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) in den widerrechtlichen G36-Waffendeal mit Mexiko. Die verantwortlichen Mitarbeiter der Rüstungsexportkontrollbehörden sind von der deutschen Justiz gleichsam dafür zur Rechenschaft zu ziehen.

Basierend auf Insiderinformationen des Netzwerk-des-Todes-Buches lassen sich die  entscheidenden Fragen zum Netzwerk-Trio von Heckler&Koch, Kontrollbehörden und Regierungspolitik stellen und bearbeiten:

Wie hoch reichten bzw. reichen diese Machenschaften beim Mexiko-Waffendeal? Was wussten die zahlreichen Geschäftsführer und was der damalige wie heutige Hauptgesellschafter von Heckler & Koch, Andreas Heeschen? Welche Rolle spielten die früheren Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Michael Glos? Welche Rollen kamen den früheren Bundesverteidigungsministern Peter Struck und Franz Josef Jung zu? Welche den früheren Bundesaußenministern Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier (zugleich der amtierende)? Was wussten die damaligen Staatssekretäre im Verteidigungs-, Außen- und Wirtschaftsministerium? Unterstützten sie die illegalen Machenschaften im Mexiko-Deal? Was wusste Volker Kauder, Wahlkreisabgeordneter in Rottweil (wo Heckler & Koch seinen Stammsitz hat) und als CDU-CSU-Vorsitzender rechte Hand von Frau Merkel? Und welche Rolle spielten Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals wie heute Vorsitzende des Bundessicherheitsrates?

Die Antworten sind hochbrisant – und folgenschwer.

 

Kasten

 

Wichtige und sehr informative Webfeature

Wer sich näher informieren will, siehe die äußerst aufschlussreichen Webdokumentationen:

www.toedliche-exporte.de

www.meisterdestodes.de

ARD: http://www.daserste.de/unterhaltung/film/themenabend-waffenexporte/film/index.html

SWR: http://www.swr.de/meisterdestodes/-/id=15524194/447tym/index.html

mit grafischer Aufarbeitung siehe

http://www.swr.de/toedliche-exporte/teiledieinformation/-/id=15873060/did=16095746/nid=15873060/q8p1iw/index.html.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).