Stadtteilarbeit

„Willkommen in Rödelheim“

von Helga Dieter

Der Frankfurter Stadtteil Rödelheim ist trotz guter Erreichbarkeit, ausgedehnter Parks und Schwimmbädern in der „Szene“ nicht angesagt. Kleine, alte Handwerkshäuser, eintönige Nachkriegssiedlungen und Gebiete mit spießigen Eigenheimen strahlen Langeweile aus.

 

Während in ähnlich strukturierten Vierteln angesichts der Flüchtlinge der „Rassismus aus dem Reihenhaus“ (Frankfurter Rundschau) Triumphe feierte, werden in Rödelheim mehr und mehr Flüchtlinge einquartiert und willkommen geheißen.

 

Wie ist das zu erklären?

In Rödelheim gab es nach dem 2. Weltkrieg eine antifaschistische Tradition. Unter dem Schirm der Evang. Cyriakusgemeinde stifteten BürgerInnen ein Mahnmal, in das eingraviert ist: „Wir ließen zu, dass aus unserer Mitte jüdische Bürger in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden“. Dort werden Gedenkfeiern abgehalten. Immer wieder versuchten rechtslastige „Lokalpatrioten“ diese Erinnerungsarbeit als überflüssige und rufschädigende Nestbeschmutzung zu diskreditieren.

Als bei den Pogromen gegen Asylsuchende 1990 in Deutschland wieder Häuser und Menschen brannten, wurde in Rödelheim der Verein „Courage gegen Rassismus“ gegründet, der schnell viel Unterstützung fand. Als es nicht mehr darum ging, den Rassismus irgendwo - weit weg - zu bekämpfen, während der eigene Unrat unter dem Teppich blieb, änderten manche LokalpolitikerInnen und Geschäftsleute ihre Haltung.

Die Geister im Ortsbezirk teilten sich vor allem beim Bau eines moslemischen Kulturzentrums. Die Wellen schlugen hoch und förderten mehr und mehr braunen Bodensatz nach oben.

Auf örtliche rassistische Vorfälle wollten Rödelheimer Initiativgruppen nicht nur reagieren, sondern auch präventiv tätig werden. 350 Bürgerinnen und Bürger unterzeichneten 2001 eine Selbstverpflichtung, den Artikel 3 des Grundgesetzes im Alltag in die Tat umzusetzen. Die ErstunterzeichnerInnen waren wichtige Repräsentanten der Ortsgesellschaft: Es gab aber auch heftige Kritik, die ‚Gutmenschen‘ wollten nun Andersdenkende bevormunden usw.

Angesichts der rassistischen Morde durch Neo-Nazis und die mögliche Verstrickung staatlicher Stellen in diese Verbrechen wurde ein Netzwerk von 13 Initiativen und Institutionen sowie Rödelheimer BürgerInnen 2012 wieder aktiv. Die Resolution des Ortsbeirats: „Ein sichtbares Zeichen setzen: Ortsbezirk 7 gegen Rassismus“ nahmen sie beim Wort und erweiterten das Straßenschild „Rödelheim“ durch den Zusatz „Stadtteil gegen Rassismus“. Bei der feierlichen Montage mit vielen RepräsentantInnen aus dem Stadtteil wurden Grußadressen von Prominenten verlesen. Die Töne der immer gleichen KritikerInnen wurden dadurch moderater: Die InitiatorInnen der Aktion wurden nicht mehr persönlich diffamiert, sondern der Stadtteil als Insel ohne Rassismus schön geredet. Das Schild hängt seit über drei Jahren an einer wichtigen Ortseinfahrt. Die Botschaft lesen täglich Tausende von Menschen.

Die Wogen hatten sich geglättet, und auch skeptische BürgerInnen hatten sich an den Anblick gewöhnt. Deshalb planten die InitiatorInnen nun, drei weitere Ortsschilder anzubringen. Es bedurfte vieler Gespräche und Vorbereitungen, bis die städtischen Behörden Ausnahmegenehmigungen erteilten und auch der Ortsbeirat zustimmte. Im November 2015 wurden drei weitere Schilder von Schulklassen und Jugendgruppen  an Einfahrtsstraßen zum Stadtteil montiert. Die Botschaft „Stadtteil gegen Rassismus“ weist nun in alle Himmelsrichtungen.

Mit einem großen Stadtteilfest  hat eine fünfzehnjährige Aktion ein symbolisches Ende gefunden. Nun würde sich erweisen, ob rassistisches Gedankengut nicht nur äußerlich bekämpft wurde, sondern auch in den Köpfen - angefangen im eigenen. Die Feier wurde zum Begrüßungsfest, denn zur gleichen Zeit zogen ca. 120 Flüchtlinge in ein Quartier in Rödelheim.

 

Geflüchtete in Rödelheim

Für die nun anstehende praktische Integrationsarbeit mit den Flüchtlingen wurden tatkräftige HelferInnen mit Ideen und Geduld gesucht und gefunden, die inzwischen als Initiative ‚Willkommen in Rödelheim‘ (WiR) in vielfältiger Weise gearbeitet und geholfen haben. Wir erreichen aktuell über 100 Leute, ca.40 nehmen regelmäßig am Plenum teil und engagieren sich in den sechs Arbeitsgruppen: Deutsch lernen mit den ‚teachers on the road‘. Patenschaften für die jungen Männer oder Familien, ein Umsonst-Flohmarkt, die Fahrradwerkstatt, ein offenes Gesprächs-Café, Rechtsberatung für die Flüchtlinge und Supervision für die HelferInnen.

Eine der Freiwilligen hat einige Erfahrungen aus dem Kontakt mit den Flüchtlingen aufgeschrieben:

Wir sind vor dem Wohnheim erschienen und haben gefragt, wer uns zu einer kleinen Stadterkundung begleiten möchte. Wir sind mit fünf jungen Männern zum Familienmarkt gefahren, um ihnen zu zeigen, wo sie preiswert Kleidung kaufen können, haben ihnen die Zeil gezeigt, waren in der Stadtteilbibliothek und haben ihnen Kulturpässe besorgt.

Einer unserer nächsten Ausflüge ging in eine Behinderten-/Pflegeeinrichtung mit offenem Café. Es gab Erklärungsbedarf über unser Zusammenleben in Deutschland, in Bezug auf Menschen mit Behinderung oder Homosexualität.

Wichtig ist auch die Frage nach Gott. Hinter dieser Frage steht die gegenseitige Akzeptanz. Wir waren gemeinsam sowohl in Kirchen als auch in Moscheen.

Wichtig ist nach unseren Beobachtungen, dass die Menschen aus den Unterkünften herauskommen und in das öffentliche Leben einbezogen werden.

Eine weitere große Erfahrung ist die Hilfe von Freunden, Nachbarn, Bekannten, Kollegen, die da sind, wenn sie gebraucht werden, nicht aber in der vorderen Reihe stehen möchten oder können. Über den Umgang mit dem Fremden lernen wir das eigene Miteinander neu kennen und schätzen.“

 

Proteste gegen eine neue Unterkunft

Die Pläne der Stadtverwaltung, auf einem ehemaligen Fabrikgelände bald 500 weitere Flüchtlinge unterzubringen, stießen dann aber auf Proteste, vor allem der umliegenden HausbesitzerInnen. Aber auch die aktiven FlüchtlingshelferInnen forderten Räume für soziale Aktivitäten. Dem wurde ansatzweise entsprochen, indem die Zahl der BewohnerInnen auf 400 reduziert wurde, und Freizeiträume eingerichtet werden sollen. Dennoch kritisieren viele HelferInnen und NachbarInnen, dies sei keine menschenwürdige Unterbringung, wenn vier Männer sich eine 25qm große Zelle mit provisorischen Trennwänden, nach oben offen, für Jahre teilen sollen. Es sei absehbar, dass die Flüchtlinge ihr soziales Leben dann nach draußen verlegen müssen. Die Konflikte mit den NachbarInnenn seien vorprogrammiert.

Bei einer CDU-Veranstaltung im Kommunal-Wahlkampf am Rande Rödelheims mischten sich sachliche Bedenken und fremdenfeindliche Parolen zu einer aufgeheizten Stimmung. Der Vorsitzende konnte den Geist nicht mehr einfangen, den er aus der Flasche gelassen hatte.

Für die AktivistInnen, die seit Jahren ihre Energien in den Kampf gegen Rassismus und Ungleichheit gesteckt hatten, begann nun eine Zitterpartie in Bezug auf die Wirksamkeit ihrer jahrelangen Bemühungen. Prüfstand waren die Kommunalwahlen am 6. März. In ganz Deutschland verschärften sich die Fronten bzw. kippte die Stimmung von der neuen Willkommenskultur zur aggressiven Ablehnung der Fremden. Es gab noch nie so viele gewaltsame Angriffe auf Flüchtlinge. Wahlprognosen rechneten mit einem großen Wahlerfolg der rechten AfD.

In Rödelheim gibt es im Ortsbeirat eine Verbindung der Partei der „Linken“ mit den Rödelheimer „farbechten“. Die Partei ist also offen für Bürger-Initiativen aus dem Stadtteil. Auch AktivistInnen der Aktion „Stadtteil gegen Rassismus" standen auf dieser Liste. Es war also zu befürchten, dass sie durch den Stimmungsumschwung abgestraft würde.

Dann kam die Überraschung:  farbechte/Linke im OBR 7 erhielten fast 16% der Stimmen! Mehr als in allen anderen Ortsbezirken und doppelt so viele wie im Durchschnitt der ganzen Stadt.

Es bewahrheitet sich mal wieder, dass Vorurteile dort am stärksten sind, wo das reale Problem am schwächsten ist. Es zeigt sich aber auch, dass kontinuierliche antirassistische Aufklärung, die sich nicht auf phrasenhafte Schemata und gebetsmühlenartige Belehrungen bezieht, wie die Einteilung der Welt in Faschisten und Antifaschisten, wirksam ist.

Mit der Selbstverpflichtung auf einen handlungsbezogenen Artikel 3 GG beginnt die Wahrnehmung von stereotypen Zuschreibungen bei sich selbst. Das Bemühen, bei anderen auch die Motive zu verstehen, bedeutet keine Rechtfertigung – aber doch eine Reflektionsphase, bevor man sie als Rechtspopulisten bezeichnet.

Wichtig erscheint uns auch ein gemeinsames Symbol, wie es in unserem Fall die Straßenschilder und Aufkleber „Stadtteil gegen Rassismus“ sind, die täglich Tausende sehen und sicher viele für einen Moment zum Nachdenken bringen.

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