Pazifismus vor neuen Herausforderungen

Wir brauchen eine ernsthafte Zukunftsdebatte

von Otmar Steinbicker

Für die Friedensbewegung ist es wichtig, die aktuelle Situation sehr gründlich zu analysieren. Je nachdem, ob wir den Pazifismus oder die Gegenseite in der Defensive sehen, ergibt sich daraus für uns die Notwendigkeit, defensiv zu agieren oder die Möglichkeit, in eine pazifistische Offensive überzugehen.

Wer aufmerksam das Weißbuch 2016 der Bundesregierung studiert, wird dort eine deutliche Widersprüchlichkeit, ja streckenweise Ratlosigkeit bemerkt haben.

1981 gelang der Friedensbewegung ein enormer Durchbruch, als es ihr gelang, den damaligen „sicherheitspolitischen Konsens“ (Egon Bahr) vor allem in der gesellschaftlichen Akzeptanz der atomaren Rüstung zu zerbrechen und damit den Weg zu öffnen für eine gesellschaftliche Debatte über sicherheitspolitische Alternativen wie z.B. die Soziale Verteidigung.

Militärs in West und Ost stellten Ende der 1980er Jahre übereinstimmend fest, dass ein großer, raumgreifender Krieg in Europa, selbst wenn er konventionell und nicht als Atomkrieg geführt würde, zu keinem Sieg einer Seite, sondern zur gemeinsamen Vernichtung der europäischen Zivilisation führen würde. Dieses Problem hat sich bis heute noch verschärft.

Gesellschaftlich konnte seither kein „sicherheitspolitischer Konsens“ mehr hergestellt werden, was sich heute in stabilen Umfrage-Mehrheiten von mehr als 70 Prozent bei der Ablehnung von Auslandseinsätzen zeigt. Diese Feststellung traf und trifft nicht nur auf die Gesamtgesellschaft, sondern auch auf die Bundeswehr zu. Dort ist ein ernsthaftes Trauma nach dem verlorenen Afghanistan-Krieg festzustellen.

Im Dezember 2013 erhielt ich zu meiner Überraschung eine Einladung zu einem Vortrag zu Afghanistan im Offizierskasino der Luftlandebrigade 26 in Saarlouis, die zu den Speerspitzen jedes Auslandseinsatzes gehört. In meinem Vortrag sagte ich exakt das Gleiche, was ich einige Monate zuvor in einer Veranstaltung des „Friedensnetz Saar“ gesagt hatte, wo der Jugendoffizier der Brigade auf mich aufmerksam wurde. Im Offizierskasino bekam ich dann denselben Beifall wie beim Friedensnetz. Bei allem prinzipiellen Dissens bestand zwischen den Offizieren und mir Konsens in der Aussage, dass Militär keinen Frieden schaffen kann und dass politische Konflikte nur politisch und nicht militärisch gelöst werden können. (1)

In Afghanistan ist der Bellizismus mit seinem Anspruch, Konflikte militärisch zu lösen, krachend gescheitert. Eine Aufarbeitung dieses Scheiterns ist bisher – auch im Weißbuch – nicht erfolgt. Andere Lösungsvorschläge für internationale Konflikte werden ebenfalls nicht benannt.

Damit befindet sich die Regierung mit ihren sicherheitspolitischen Vorstellungen und nicht der Pazifismus in der Defensive. Wenn das so ist, dann sollten wir als Friedensbewegung diese Situation nutzen, um mit unseren pazifistischen Lösungsvorschlägen für politische Konflikte in die argumentative Offensive zu gehen!

Das wiederum erfordert ein gewisses Umdenken auf unserer Seite. Dann reicht es nicht mehr aus, dass wir nur berechtigt „gegen“ etwas sind, sondern dann müssen wir auch deutlich machen, „für“ was wir sind und dass unsere Lösungsvorschläge der Zivilen Konfliktbearbeitung besser und bedeutend realistischer sind als die der Bellizisten, die bisher eher die Regierungspolitik dominieren. Dass wir in der Auseinandersetzung mit den argumentativ angeschlagenen Bellizisten nicht wenige Militärs eher auf unserer Seite haben, ist sicherlich eine neue und für uns ungewohnte Erfahrung.

Andreas Buro hatte als pazifistischer Friedensforscher ab 2006 am Konzept einer Zivilen Konfliktbearbeitung gearbeitet und dieses nicht als Abstraktum definiert, sondern gemeinsam mit anderen AutorInnen an konkreten Konflikten von Türkei/Kurdistan über Afghanistan und Nahost bis hin zu Syrien, der Ukraine und Mali durchdekliniert. (2)

Wenn Friedensbewegung einen solchen Weg beschreiten und dringend benötigte Lösungsvorschläge für Konflikte vorlegen will, dann benötigt sie eine enge Zusammenarbeit mit der Friedensforschung. Ein solches Zusammenwirken von Friedensforschung und Friedensbewegung gehörte übrigens ebenfalls zu den Grundlagen für den Erfolg der Friedensbewegung in den 1980er Jahren!

Wenn die Friedensbewegung wieder deutlicher wahrgenommen werden möchte, was ebenso wünschenswert wie politisch notwendig ist, dann ist eine ernsthafte Zukunftsdebatte angesagt. Da muss es zuallererst um Inhalte gehen, um Einschätzungen der Probleme der Gegenwart und um absehbare künftige Gefahren, dann natürlich auch um angemessene Zielsetzungen. Da wird dann auch zu unterscheiden sein zwischen anzusteuernden Fernzielen und den Fragen einer Strategie zur Erreichung derselben. Einfach ein paar verbalradikale Maximalforderungen aufzuschreiben, reicht dann nicht aus.

Anmerkungen
1 Ein Bericht über meinen Vortrag aus der Sicht des einladenden Oberst a.D. Klaus Zeisig: „Afghanistan: ‚Afghanistan: ‚Frieden muss politisch herbeigeführt werden‘“, http://www.gfw-lb4.de/saar/Nachschau/nachsch_111213.htm
2 Diese Dossiers können bei der Kooperation für den Frieden bestellt werden.

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Hintergrund
Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de