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Steigende Rüstungsausgaben
Wir können uns die Hochrüstung nicht leisten!
vonFür die erste Protestaktion gegen die Aufhebung der Schuldenbremse vor dem Bundestag hatten die Organisatoren noch einen symbolischen 200-Milliarden-Euro-Schein vorbereitet, der von den Groko-Verhandlern Scholz und Klingbeil an die Bundeswehr übergeben werden sollte. Denn ursprünglich war das die Größenordnung des von Merz vorgeschlagenen zweiten Sondervermögens. Aber der sich ankündigende neue Kurs der US-Regierung gegenüber den NATO-Partnern in Europa und gegenüber der Ukraine gaben den Hintergrund für eine Aufblähung der Planungen, die noch vor Wochen unvorstellbar schienen. Was das in Euro bedeutet, darüber überschlagen sich die Schätzungen, eine Billion, 1,7 Billionen, das Institut der deutschen Wirtschaft geht von bis zu 2,2 Billionen Euro neuen Schulden aus, auch wenn da die 500 Milliarden für Infrastruktur und die Schuldenerleichterungen für die Bundesländer mit eingerechnet sind. (1)
Die enorme Steigerung des Rüstungshaushalts wurde jahrelang vorbereitet, aber erfährt jetzt eine bisher nicht gekannte Dynamik. Jahr für Jahr wurden passend zu den Haushaltsberatungen angebliche Skandale über nicht einsatzbereites Militärgerät präsentiert. Die Antwort darauf sollte nach Ansicht der verschiedenen Regierungskoalitionen immer weitere Aufrüstung sein. Die Frage, warum es mit diesen, Jahr für Jahr ausgeschütteten Milliarden, nicht möglich gewesen sein soll, eine halbwegs verteidigungsfähige Armee auszurüsten, wurde selten gestellt. Und auch jetzt wird nicht einmal über eine irgendwie konkretisierte Bedrohungsanalyse gesprochen, geschweige denn konkrete angebliche Bedarfe des Militärs zur Grundlage der Entscheidungen gemacht.
Dabei zeigt der Vergleich der Rüstungsausgaben der NATO mit denen Russlands ein extremes Ungleichgewicht. Die europäischen NATO-Staaten geben selbst unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität deutlich mehr für Rüstung aus als Russland, 420 Milliarden US-Dollar stehen nach einer Greenpeace-Studie 300 Milliarden US-Dollar an russischen Militärausgaben gegenüber. Aus diesen Zahlen lässt sich eigentlich kein Aufrüstungserfordernis ableiten. (4)
Als Argument wird dagegen angeführt, dass die europäische Rüstungsbeschaffung ineffizient ist und die Waffensysteme der verschiedenen Staaten nicht zusammenpassten. Aber genau daran werden die eiligen Aufrüstungspläne nichts ändern, denn die plötzlich fließenden Milliarden werden dazu genutzt werden, die am schnellsten lieferbaren Produkte auf dem Weltmarkt einzukaufen oder die heimische Rüstungsindustrie zu päppeln. Es fließen sogar so viele Milliarden, dass Reformen beim Beschaffungswesen eher gehemmt als gefördert werden. (5)
Die Aufrüstung in der Bundesrepublik wird von einer ebenfalls gigantischen Aufrüstung auf EU-Ebene begleitet. Schon bisher wurde in der EU immer weiter aufgerüstet, obwohl die Verträge weiterhin ein Verbot der Finanzierung von Rüstung und Militär enthalten. Aber die Instrumente der EU-Kriegspolitik werden über die Jahre immer zahlreicher: Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO), Europäischer Verteidigungsfonds (EDF), Europäische Friedensfazilität oder die Dual-Use-Forschung in den Forschungsprogrammen der EU (bspw. Horizon 2020).
Den Höhepunkt haben die Aufrüstungspläne auf EU-Ebene nun mit dem im März 2025 verabschiedeten 800-Milliarden-Euro-Paket zur Aufrüstung der EU erreicht. Das beispiellose Finanzpaket, das als Teil einer umfassenden sicherheits- und verteidigungspolitischen Strategie verabschiedet wurde, soll nicht nur die Rüstungsindustrie massiv ausbauen, sondern auch die Produktion und Beschaffung von Waffen innerhalb der EU-Staaten erheblich steigern. Hier wird nun auch nicht mehr verschleiert, wohin die Mittel fließen sollen, nämlich vor allem in die Stärkung europäischer Rüstungsunternehmen und die Entwicklung neuer Waffensysteme. Diese fortschreitende Militarisierung der EU bedeutet die Aushöhlung bestehender Vertragsgrundlagen, die ursprünglich eine friedensorientierte Union garantieren sollten.
Während also in der Bundesrepublik und der EU die Milliarden für Aufrüstung nur so sprudeln, soll in anderen Bereichen gespart werden: „Die Zeiten des Paradieses, wo jeder Wunsch möglich ist, sind vorbei“, lässt CDU-Chef Friedrich Merz die Bevölkerung wissen und kündigt „erhebliche Reformen“ an. Zum Zeitpunkt, als dieser Text geschrieben wird, steht der Koalitionsvertrag von Union und SPD noch nicht, aber dass die „Reformen“, die Friedrich Merz im Sinn hat, einen Angriff auf den Sozialstaat bedeuten, kann als sicher gelten. Geplant sind darüber hinaus eine Verteuerung des Deutschlandtickets oder eine Kürzung der Förderung für Demokratieprojekte.
Trotz dieser eigentlich klaren Sachlage regt sich weiterhin nicht genug Widerstand in der Bevölkerung, denn das Credo „wir müssen aufrüsten, um sicher zu sein“ klingt für viele weiterhin nach einer logischen und alternativlosen Konsequenz.
Die Rüstungskonzerne jubeln
Von der jahrelang vorbereiteten, aber nach der Annexion der Krim 2014 und besonders nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 explodierenden Aufrüstung hat die Rüstungsindustrie beispiellos profitiert, insbesondere Rheinmetall, der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern. Dies spiegelt sich nicht nur in erhöhten Auftragseingängen, sondern auch in erheblichen Umsatzsteigerungen wider. Für das Jahr 2025 wird ein Umsatzanstieg von über 25 Prozent prognostiziert. Entsprechend haben auch die Aktienkurse des Unternehmens (Aufstieg in den DAX im März 2023) stark zugelegt. Die Aktie hat kürzlich ein neues Allzeithoch erreicht. Lag die Aktie vor dem Krieg gegen die Ukraine noch unter 100 Euro, lag sie Ende Januar schon bei weit über 700 Euro. Doch seit der Ankündigung der Sonderschulden hat sich der Kurs auf inzwischen über 1400 Euro (18. März) nochmal verdoppelt. (6) Der Gewinn explodiert ebenfalls, 2024 meldet das Unternehmen vor Steuern und Zinsen einen Zuwachs des Erlöses um 19 Prozent gegenüber dem Rekordwert des Vorjahres auf insgesamt 918 Millionen Euro.
Die Friedensbewegung ist gefragt
Die explodierenden Rüstungsausgaben bieten eine politische Angriffsfläche, die die Friedensbewegung bisher viel zu wenig nutzt. Zum einen ist es ein Thema, bei dem es in der Friedensbewegung große Einigkeit gibt. Zudem bietet das Thema Potenzial zur Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Bewegungen. Allein die Gegenüberstellung der Beschaffungskosten der F-35-Jets für die völkerrechtswidrige nukleare Teilhabe und der Kosten der von der Ampel aus Kostengründen nicht eingeführten Kindergrundsicherung macht deutlich, was in diesem Land schiefläuft. Die Atombomber sollten bei Beschlussfassung 2022 fast zehn Milliarden Euro kosten, die Kindergrundsicherung hätte nach monatelangem Gefeilsche im ersten Jahr ihrer Einführung nicht einmal 2,4 Milliarden Euro gekostet. Das ließe sich für viele Themen umrechnen: Kosten einer Flugstunde eines Kampfjets in Personalkosten im Bildungswesen, Anstieg des Verteidigungshaushalts für ein Kalenderjahr im Vergleich zu den notwendigen Investitionskosten für die Krankenhäuser oder der Verzicht auf nur eine Fregatte im Vergleich zu den Kosten für eine Rücknahme der Verteuerung des Deutschlandtickets. Sozialverbände, Gewerkschaften, Klimabewegung, Frauen- und Queerbewegung, flucht- und migrationspolitische Gruppen – alle könnten auf die Finanzierungsprobleme verweisen und für ihren Bereich erklären: „Wir können uns die Hochrüstung nicht leisten!“
Hier öffnet sich das Tor bzw. eher die Chance einer fortschrittlichen außerparlamentarischen Organisation von zivilgesellschaftlichen Kräften. Die immensen Ausgaben im Rahmen der Hochrüstung sind schon lange kein eigenständiges Thema der Friedensbewegung mehr. Es betrifft uns alle. Und wenn wir in die Organisationsstrukturen der Verbände schauen, sehen wir, dass alle in irgendeiner Form von Kürzungen in den Bereichen Mobilität, Klima oder Soziales betroffen sind.
Wenn die Friedensbewegung nicht handelt, besteht die Gefahr einer Normalisierung dieser Ausgaben. War die Empörung bei dem 100 Mrd € Sondervermögen noch groß, wurde jetzt fast ohne prominente Gegenstimmen der Boden aus dem Fass getreten. Jedoch: Die turnusmäßige Haushaltsverabschiedung mit ihren feststehenden Terminen – Regierungsentwurf vor der Sommerpause, erste Lesung in der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach der Sommerpause, Beschlussfassung im November – bietet gut planbare Ansatzpunkte für eine Mobilisierung. Das Thema liegt eigentlich auf dem Tisch, und nicht nur die Friedensbewegung muss dies aufgreifen und der scheinbar alternativlosen Aufrüstung endlich ihre Alternativen gegenüberstellen.
Anmerkungen:
- (1) https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/policy_papers/PDF/2...
- (2) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/170331-bm-nato-288896
- (3) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/robert-habeck-nennt-nato-wuen...
- (5) https://www.greenpeace.de/publikationen/S04011-greenpeace-studie-frieden...
- (6) Wann ist genug genug? https://www.greenpeace.de/publikationen/Kraeftevergleich_NATO-Russland.pdf
- (7) https://www.onvista.de/aktien/Rheinmetall-Aktie-DE0007030009
Marek Voigt ist Pressereferent der IPPNW. Yannick Kiesel ist Referent für Friedenspolitik bei der DFG-VK.