Aktivitäten der Frauen in Schwarz

Wir sind immer noch auf den Straßen von Belgrad

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Wir begannen unseren Protest am 9.Oktober 1991. Nach drei Jahren sind wir immer noch auf den Straßen von Belgrad. Unser Protest gegen den Krieg, dieses Regime und gegen Militarismus ist sichtbar. Wir pro­testieren jeden Mittwoch. Auch nehmen wir an jedem Protest teil, der von der demokratischen Opposition für die Verteidigung von Men­schenrechten, gegen politische Gewalt usw. organisiert wird. Doch müssen wir sagen, daß die "Hauptopposition" uns nicht unterstützt und daß sie sich nicht klar macht, daß es keinen demokratischen Wandel ohne die Beteiligung von Frauen an der Politik geben kann. Die Medien, vor allem diejenigen, die durch das Regime kontrolliert werden, ignorie­ren uns. Wenn sie von uns Notiz nehmen, dann haben sie nur Worte des Hasses und der Verurteilung für uns. Selbst jene Medien, die sich selbst als "demokratisch" betrachten, finden uns nicht "interessant": wir sind nur "jene Frauen, die die ganze Zeit protestieren".

Aber die Unterstützung durch unsere FreundInnen aus dem Ausland und den anderen Republiken Ex-Jugoslawiens ermutigt uns und gibt uns Kraft, unsere Überzeugung zu bewahren, daß Frauen­solidarität weder Grenzen anerkennt noch vor Hindernissen Halt macht. Viele FreundInnen haben uns dieses Jahr besucht, um Gedanken und Gefühle mit uns auszutauschen und uns zu hel­fen, unsere Arbeit in diesem "unglücklichen Teil der Welt" fortzuset­zen. Sie kamen aus vielen europäischen Ländern, aus den USA und Australien. Manche blieben wenige Stunden, andere etliche Monate.

Viele Frauen, die meisten von ihnen Feministinnen und Pazifistinnen, habe eine sehr gute Meinung von unseren Aktivitäten. Sie nominierten uns sogar für verschiedene Preise, z.B. den Inter­nationalen Menschenrechtspreis, der uns von der Spanischen Organisation für Menschenrechte 1993 verliehen wurde. Ein ganzes Buch mit Unterschriften, die unsere Nominierung unterstützten: unter ihnen die Namen von hunderten von feministischen und pazifistischen Grup­pen, bekannten Schriftstellerinnen und anderen prominente Personen... In unse­rem Land spucken viele der sogenann­ten Prominenten auf uns und nennen uns "Verräterinnen" und "anti- serbisch".

Wir sind eine bunt gemischte Gruppe. Das Alter unserer Mitglieder reicht von 18 bis 75. Ihre Hintergründe und Le­bensumstände unterscheiden sich sehr. Manche waren schon lange aktive Fe­ministinnen, andere beteiligen sich zum ersten Mal am feministischen Diskurs. Aber wir ermutigen und fördern Unter­schiede. Vor zwei Jahren sind mehrere Flüchtlinge Mitglieder unserer Gruppe geworden; ihre Anwesenheit hat unserer Arbeit neue Anstöße gegeben. Zusam­men haben wir uns bemüht, die Rolle von Opfern abzulegen. Das ist natürlich für sie eine viel schwierigere Aufgabe.

Wir sind vereinigt durch einerseits die Notwendigkeit eines sichtbaren, anhal­tenden Protestes gegen Krieg, gegen das serbische Regime, gegen Nationalismus und Militarismus und andererseits die Notwendigkeit einer Schwesterlichkeit.

Vor fast zwei Jahren haben wir ein klei­nes Apartment gemietet. Bis dahin tra­fen wir uns in Küchen und Cafés. Wir nennen unseren zeitweiligen Wohnraum "unser Haus" und "unsere Zuflucht" - niemals "unser Büro", obwohl wir den Großteil unserer Arbeit dort tun. Die Wohnung ist vor allem ein Ort, wo wir uns treffen können, um über unsere Freude, Leid und Empörung miteinan­der zu sprechen. Unsere Frustration mit der uns umgebenden Wirklichkeit führt manchmal zu scheinbar grundloser Spannung zwischen uns. Aber wir dis­kutieren solche Probleme, denn wir wollen einander helfen - nicht weil dies die "natürliche" Rolle von "Sorgenden" so vorsieht (wie es dieser Krieg propa­giert), sondern als Freundinnen und Schwestern.

Unsere Aktivitäten, besonders unsere öffentlichen Proteste, rufen Ärger und Beleidigungen hervor und bringen uns oft unangenehme Erlebnisse. Aber wir haben gelernt, damit umzugehen. Zum Beispiel: Als am 29. Oktober 1993 eine serbische paramilitärische Einheit, ge­nannt die "Weißen Adler", uns angriff und die Polizei nicht versuchte, uns zu schützen (im Gegenteil: sie beschützte die "Weißen Adler"), griffen wir zu un­serer "Waffe", der Gewaltfreiheit. Psy­chologisch überlegen und ohne einen Zentimeter zurückzuweichen, schlugen wir den Angreifer, indem wir ihm sein eigenes Bild zurückwarfen. Bei ver­schiedenen Gelegenheiten haben die Behörden unsere Demonstrationen ver­boten; wir mußten sogar gelegentlich die örtlichen Gerichte aufsuchen, um uns gegen Anklagen der "öffentlichen Ruhe-und Friedensstörung" zu verteidi­gen. Dennoch sind wir immer noch auf den Straßen von Belgrad als die einzige Gruppe, deren Protest gegen den Krieg sichtbar und andauernd ist.

Dieser Text ist die Einleitung des Bu­ches "Women For Peace", Hrsg. von Women in Black-Belgrade, Belgrade 1994. Übersetzung (und Aktualisie­rung): Christine Schweitzer.

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