E-Sport

Zielgruppe: Gamer*innen

von Michael Schulze von Glaßer
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Junge Menschen, die gegeneinander in Videospielen antreten, und ihre Fans sind mittlerweile ins Visier des Militärs geraten. Das sieht in Videospielen und im E-Sport das Rekrutierungswerkzeug der Zukunft.

Noch immer ist E-Sport vielen Menschen kein Begriff. Dabei ist über das Internet oder bei Turnieren betriebener „elektronischer Sport“ – Wettkampf zwischen menschlichen Spieler*innen unter Nutzung von geeigneten Video- und Computerspielen - schon heute ein Milliardengeschäft und gerade bei jungen Menschen sehr beliebt: Fußballvereine wie Schalke 04 oder Manchester United unterhalten heute eigene E-Sport-Teams, um im virtuellen Fußball bei FIFA oder PRO EVOLUTION SOCCER mitzumischen; Motorsportteams wie Williams schicken Fahrer*innen in RACE ROOM oder GRAN TURISMO auf virtuelle Rennstrecken; Beim Fantasy-Strategiespiel DOTA 2 wurden allein beim Turnier „The International“ 2017 Preisgelder in Höhe von 24,8 Millionen US-Dollar ausgeschüttet; Und spätestens der erste größere Doping-Skandal 2015 rund um Turniere mit dem First-Person-Shooter-Spiel COUNTER STRIKE hat gezeigt, wie ernst Videospiel-Sport ist. In Zukunft wird er sich etablieren. Das weiß auch das Militär und nutzt E-Sport zunehmend, um junge Sportler*innen und Fans als Soldat*innen zu werben.

E-Sport und Militär
Vorreiter ist die US-Army: Seit Januar 2019 baut sie sukzessive E-Sport-Teams für verschiedene Spiele auf. Die Spielenden sind dabei echte Soldat*innen: Sie können für die Teams abgestellt werden. Die Teams bestehen also nicht direkt aus Rekrutenwerber*innen, sondern aus authentischen Soldat*innen: „Sie haben der Armee-Führung deutlich gemacht, wie Spiele helfen können, eine Verbindung zu jungen Menschen herzustellen und ihnen eine Seite von Soldat*innen zu zeigen, die sie vielleicht nicht erwarten. Diese Initiative wird dazu beitragen, unsere Soldat*innen für die heutige Jugend sicht- und wahrnehmbarer zu machen“, heißt es dazu auf der Website des US-Army E-Sport-Teams. Es gehe darum, „die zunehmende Trennung von der Gesellschaft zu überwinden“. Zu den von den Army-Teams gespielten Spielen gehören vor allem First-Person-Shooter, bei denen sich Teams „militärisch“ mit (virtuellen) Waffen bekämpfen: RAINBOW SIX SIEGE, CALL OF DUTY und COUNTER STRIKE: GLOBAL OFFENSIVE haben realitätsnahe Settings, FORTNITE, OVERWATCH und APEX LEGENDS spielen in Fantasiewelten. Auch für Strategiespiele wie LEAGUE OF LEGENDS und die virtuelle Version von MAGIC THE GATHERING unterhält die Armee Teams. Um junge Menschen zu erreichen, nimmt man an E-Sport-Turnieren teil, präsentiert sich auf Videospiel-Messen und wirbt auf Social-Media-Plattformen direkt für den Dienst an der Waffe. Damit nicht genug: Die U.S. Air Force verkündete im Februar 2020, Partner der „ESL Pro League“, der höchsten professionellen Spielklasse der „Electronic Sports League“ zu werden. Auch die Navy sponsert Videospiel-Turniere. Was Videospiele angeht, ist die US-Armee immer bei den neusten Trends dabei.

US-Army und Videospiele
Bereits im Jahr 2002 veröffentlichte die US-Army den kostenlosen First-Person-Shooter AMERICA’S ARMY. Mittlerweile gibt es acht AMERICA’S ARMY-Teile für den Computer sowie die Videospielkonsolen Playstation von Sony und Xbox von Microsoft. Allein bis zum Jahr 2009 verzeichneten die Spiele der Reihe 42,6 Millionen Downloads und kamen damit ins „Guinness Buch der Weltrekorde“. Um AMERICA’S ARMY spielen zu können, muss man nach dem Download seine Kontaktdaten angeben – in den USA tritt die Armee dann direkt mit Werbeschreiben oder sogar Besuchen von Rekrutierer*innen an die Spielenden heran. Colonel Casey Wardynski, ehemals „Director of the U.S. Army's Office of Economic and Manpower Analysis“ (OEMA) der United States Military Academy und einer der Entwickler von AMERICA’S ARMY beschreibt das Motiv der Armee, das Spiel zu veröffentlichen, wie folgt: „Heute wird die Entscheidung junger Amerikaner*innen, eine Karriere in der Armee anzutreten, von den Informationen in Filmen, Fernsehen, Zeitschriften, Büchern und Werbung beeinflusst. Einfach gesagt, haben diese Entscheidungen ihre Grundlage in der Populär-Kultur. [...] Mit einem solchen Spiel kann sich die Armee in einem zugänglichen Format in einer vertrauten Umgebung für junge Amerikaner*innen platzieren.“ 2017 veröffentlichten die US-Armee mit AIR FORCE SPECIAL OPS: NIGHTFALL ein weiteres kostenloses Videospiel: Einen Fallschirmspring-Simulator für die erst im Jahr zuvor erschienene Virtual-Reality Brille PLAYSTATION VR von Sony. Die US-Armee nutzt bei der Nachwuchswerbung modernste Mittel – allein sind sie mit der Idee, Videospielaffine junge Menschen zu werben, aber nicht.

Spiele und Rekrutierung
Die dänische Armee kooperiert bei der Suche nach neuen Pilot*innen und Fluglots*innen mit „Astralis“, einem professionellen E-Sport Team aus Kopenhagen, welches bereits zahlreiche Turniere des First-Person-Shooters COUNTER-STRIKE: GLOBAL OFFENSIVE gewonnen hat und eines der populärsten E-Sport-Teams weltweit ist. Die niederländische Armee betreibt zu Werbezwecken ein nicht-professionelles E-Sport-Team. Die britische Royal Air Force ist im E-Sport wiederum professionell aufgestellt und hat sogar eigene Räumlichkeiten und umfassende Hardware-Voraussetzungen für ihre Spieler*innen. Und auch die Bundeswehr ist beim Thema „Gaming“ nicht untätig. Zwar hat sie noch kein eigenes E-Sport-Team, wirbt aber bereits gezielt um Spieler*innen: Auf der „gamescom“, der größten Videospielmesse der Welt, die jährlich in Köln stattfindet (in diesem Jahr allerdings aufgrund der Coronakrise nur virtuell), betreibt die Bundeswehr immer einen der größten Messestände. Mit ausgestellten Panzern werden junge Leute zum Stand gelockt und mit Werbematerialien versorgt. Zudem wird in der Kölner Innenstadt alljährlich zielgruppengerecht auf Großplakaten im öffentlichen Raum geworben: „Multiplayer at its best“ oder „Pay2Win vs. echte Skills“ war in den letzten Jahren auf den Plakaten zu lesen.

Fazit
Immer mehr Streitkräfte nutzen Videospiele und den enorm an Popularität gewinnenden E-Sport, um neue Rekrut*innen zu gewinnen und für das eigene Tun – die Militärpolitik der jeweiligen Regierung – zu werben. Dabei wird eine Zielgruppe angesprochen, die sehr jung und oft sehr unkritisch gegenüber Militär ist. Die Spieler*innen suchen in den virtuellen Welten Spaß und Zerstreuung (bis hin zu Eskapismus). Für viele ist es ein Hobby in der Freizeit. Die Streitkräfte dringen mit viel Geld verhältnismäßig subtil in diese Welt ein: Sie passen ihre Methoden und Mittel, den potenziellen Nachwuchs anzusprechen, genau an und bieten sogar Möglichkeiten, das Hobby im Militär auszuüben. Bei dieser Vorgehensweise impliziert das Militär zudem bewusst eine Gleichsetzung ihres Handelns mit dem in Videospielen: Wer in den First-Person-Shooter virtuelle Avatare „tötet“ oder mit Geschick in Strategiespielen siegt, der sei auch für das reale Militär geeignet, dies auf realen Schlachtfeldern anzuwenden, so die Annahme. Dies ist mindestens fragwürdig: Militäreinsätze sind keine Videospiele – weder für sich selbst, noch für die „Feinde“. Das werden die über E-Sport und Videospiele angesprochenen jungen Menschen aber womöglich zu spät merken. Denn wer dem Militär einmal beitritt, der kann nicht einfach wieder kündigen. Doch das ist das System, beim Militär.

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