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Jahrestagung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
Zum Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft
vonIn welchem Verhältnis stehen Zivilgesellschaft und Staat im Bereich ziviler Konfliktbearbeitung zueinander? Welche Rolle(n) spielen Nichtregierungsorganisationen (NROs) bei der Friedensförderung im In- und Ausland? Welchen Einfluss können und dürfen sie auf staatliche Prozesse nehmen, und wo liegen die gewollten und ungewollten Grenzen staatlich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit?
Rund 60 Teilhabende der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Interessierte waren vom 15. bis 17. April in der Evangelischen Akademie Loccum zusammen gekommen, um unter dem Titel „Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbstständigkeit? Unter welchen Bedingungen wollen und sollen Zivilgesellschaftliche Akteure der Konfliktbearbeitung künftig arbeiten?“ diese und weitere Fragen zu diskutieren. In seinem Einführungsvortrag am Freitagnachmittag skizzierte Eckhard Priller (Maecanata-Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft), was Zivilgesellschaft im Allgemeinen und „gute“ Zivilgesellschaft im Speziellen ausmacht. Im Selbstverständnis von NROs stehe die Gemeinwohlorientierung an oberster Stelle. Zivilgesellschaft stelle Leistungen und Güter bereit, die nicht vom Staat geleistet werden oder nicht vom Staat geleistet werden können, aus ökonomischen Gründen oder weil diese Arbeitsteilung zwischen Staat, Gesellschaft und Markt historisch gewachsen sei. „Gute“ Zivilgesellschaft sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie transparent arbeite und finanziell unabhängig sei, möglichst auch vom Staat.
Die Frage der finanziellen und strukturellen Abhängigkeit wurde im Laufe der Tagung immer wieder aufgeworfen. Das Ringen um die Bewilligung von Projektanträgen, fehlende Basisförderung, zu kurze Förderzeiträume, zu hohe Berichtsanforderungen oder zu enge Förderrichtlinien prägen den Arbeitsalltag vieler NROs. Der Staat als Geldgeber, der die Zügel in der Hand hält, und die NROs als gefügige Ausführungsorganisationen? Martina Fischer (Brot für die Welt) mahnte, den Diskurs um Krisenprävention und Friedensförderung nicht immer technokratischer werden zu lassen. Aufgabe von NRO sei es, friedensethische und friedenslogische Fragen aufzuwerfen und wieder in den Diskurs einzubringen. Der Tenor in der Diskussion: Auch und gerade wenn Zivilgesellschaft staatliches Geld annehme, solle sie keine Scheu haben, selbstbewusst aufzutreten und Kritik klar zu äußern. Diese Haltung werde von staatlicher Seite durchaus akzeptiert, manchmal sogar eingefordert. Um innerhalb der Exekutive Veränderungen anzustoßen, Strukturen aufzubrechen und neue Themen aufzugreifen, brauche es den Rückhalt und die Initiative der Zivilgesellschaft. Dies zeigte sich auch in den Ausführungen von Wolfram von Heynitz, Leiter des Referats S06 in der neu geschaffenen Abteilung S „Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge“ im Auswärtigen Amt (AA), das unter anderem für die Vernetzung mit der Zivilgesellschaft zuständig ist. So solle zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Beirat Zivile Krisenprävention ausgebaut und verbessert werden.
Der Wert von Zivilgesellschaft beweist sich oft erst da, wo sie fehlt. Was Eckhard Priller bereits zu Beginn der Tagung feststellte, zeigte sich überdeutlich in den vielen Praxisbeispielen ziviler Konfliktbearbeitung im In- und Ausland, die Teilhabende der Plattform und auch VertreterInnen externer Organisationen präsentierten. Ob Peace Brigades International mit der Begleitung von MenschenrechtsverteidigerInnen in Konfliktgebieten, das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation mit seiner Integrationsarbeit in Hamburger Stadtteilen, Adopt a Revolution mit seiner Unterstützung lokaler Initiativen in Syrien, der Friedenskreis Halle mit seinen Gewaltpräventionsprojekten oder die vielen lokalen Flüchtlingsinitiativen in ganz Deutschland - Zivilgesellschaft wird häufig da tätig, wo staatliche Strukturen nicht vorhanden oder überfordert sind. Oft, aber nicht immer, wird sie dabei finanziell durch den Staat unterstützt. Vorsicht sei an den Stellen geboten, so Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, wo der Staat eigene Verantwortlichkeiten leichthin der Zivilgesellschaft übergebe, etwa wenn es um die Versorgung von Geflüchteten mit Lebensnotwendigem gehe. Hier müsse staatliches Handeln konsequent eingefordert werden.
Im „Open Space“ am Samstagnachmittag hatten die TeilnehmerInnen Gelegenheit, das Tagungsthema unter selbstgewählten Fragestellungen in Kleingruppen zu diskutieren. Dabei ging es zum einen um strategische Überlegungen zur künftigen politischen Advocacyarbeit der Plattform, auch und gerade im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017, zum anderen um grundlegendere Aspekte wie ein der Friedenslogik folgendes Verständnis von Zivilgesellschaft oder die Frage danach, wie wir als zivilgesellschaftliche AkteurInnen der zivilen Konfliktbearbeitung der Politik und der Öffentlichkeit vermitteln können, was wir tun – mit der Voraussetzung, dass wir uns selbst darüber im Klaren sind.
Ein vorsichtiger Wandel des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft zeichnet sich derzeit in unterschiedlichen, die Außenpolitik betreffenden Prozessen ab: Neben dem BMZ-Prozess Zukunftscharta „EINEWELT – unsere Verantwortung“, der „Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken“ des AA und dem Weißbuch-Prozess des Bundesverteidigungsministeriums auch in der Entwicklung der 2030 Agenda („Sustainable Development Goals“) und der Erarbeitung der neuen „Leitlinien ziviles Krisenengagement“ im AA. Alle Initiativen waren - im Gegensatz zu früheren staatlichen Prozessen – zumindest mit dem Anspruch versehen, partizipativ und nach außen transparent zu sein. Die beiden letzteren wurden auch in Loccum umfassend diskutiert. Christoph Bongard (forumZFD) beschrieb den internationalen 2030 Agenda-Prozess als beispielhaft im Hinblick auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Nun müsse es für die deutsche Zivilgesellschaft darum gehen, auch auf die Umsetzung der Agenda in deutsche Politik aktiv Einfluss zu nehmen. Das Zeitfenster hierzu sei jedoch begrenzt; noch in diesem Sommer solle der Prozess dazu weitgehend abgeschlossen sein. Angemahnt wurde zu dieser Fülle an „Partizipationsprozessen“, dass hiermit Ressourcen der Zivilgesellschaft gebunden werden und genau abzuwägen sei, welche relevanten Wirkungen durch ein solches Engagement tatsächlich erzielt werden können.
Im Abschlussplenum am Sonntagmorgen skizzierten die Bundestagsabgeordneten Franziska Brandtner (Bündnis90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Die Linke) den Stand des Leitlinien-Prozesses im AA. Das neue Dokument solle den Aktionsplan Zivile Krisenprävention aus dem Jahr 2004 ablösen und kompakter werden. Die Zivilgesellschaft solle unter anderem über Workshops und durch Zuarbeit des Beirats Zivile Krisenprävention in die Diskussion eingebunden werden. Wie intensiv diese Einbindung jedoch angesichts des knappen Zeithorizonts sein kann - der partizipative Prozess beginnt offiziell Ende Mai und soll bereits im September enden - bleibt zweifelhaft. Das Plenum äußerte ein klares Votum dafür, Forderungen der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung für das Leitlinien-Dokument zu formulieren und diese in den Prozess einzubringen. Eine Stellungnahme hierzu wird zurzeit im SprecherInnenrat gemeinsam mit der Geschäftsführung erarbeitet und soll Ende Mai bei der öffentlichen Anhörung des Unterausschusses Zivile Krisenprävention zum Leitlinienprozess präsentiert werden.
Neben der fachlichen Diskussion standen am Samstagabend bei der Mitgliederversammlung auch Wahlen für die Gremien der Plattform an. Angela Mickley, Wolfgang Heinrich, Björn Kunter, Christoph Bongard und Volker Kasch bilden den neuen SprecherInnenrat, die beiden Erstgenannten in der Funktion der Vorsitzenden. In den Trägerverein wurden Kees Wiebering, Marcus Schaper, Sven Reuter, Dorothee Lepperhoff und Barbara Kemper gewählt. Neuer Kassenprüfer ist Ulrich Frey.
Weitere Informationen zur Tagung und zur Arbeit der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung unter www.konfliktbearbeitung.net.