Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki- Gedenkveranstaltung am 6. August 2020 in Hannover

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Superintendent Höflich,
sehr geehrte Frau Generalkonsulin Kato,
Frau Stellvertretende Regionspräsidentin Michalowitz,
Mitglieder des Rates,
sehr geehrte Gäste,

im Namen der Landeshauptstadt Hannover begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu einer Gedenkstunde unter der Überschrift „No more Hiroshima! – No more Nagasaki!“.

Seit Mitte der 80er Jahren treffen wir uns am 6. August um 8 Uhr morgens hier in der Aegidienkirche, um der Opfer des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki zu gedenken und die Friedensglocke anzuschlagen, ein Geschenk unserer Partnerstadt Hiroshima.

In diesem Jahr erinnern wir an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und Asien vor 75 Jahren, an dessen Endpunkt der Einsatz einer furchtbaren Massenvernichtungswaffe stand:

Heute vor 75 Jahren, am Morgen des 6. August 1945 um 8.15 Uhr detonierte die Bombe Little Boy über Hiroshima. Diese erste militärisch von der US Air Force eingesetzte Atombombe schlug ein neues Kapitel der Kriegsführung auf, das unermessliches Leid hervorgerufen hat.

Der Atombombenüberlebende Tetsuhi Yonezawa war damals 11 Jahre alt. Er war mit seiner Mutter gerade mit der Straßenbahn unterwegs, als die Atombombe in nur 750m Entfernung von ihm explodierte. Er war einer Explosion mit radioaktiver Hitze von 5.000 Grad Celsius ausgesetzt, die die Menschheit bis dahin noch nie erlebt hatte. Rund 70 Prozent aller Häuser Hiroshimas wurden dabei dem Erdboden gleichgemacht.

Auf seiner Flucht aus der brennenden Stadt erlebte er die Hölle auf Erden. Menschen mit schwersten Verbrennungen am ganzen Körper waren in großen Gruppen auf der Flucht. Er sah Menschen, die durch die Hitzestrahlen der Explosion verkohlt waren und musste Flüsse überqueren, deren gesamte Wasseroberfläche mit Leichen gefüllt war.

Nach der Flucht aus Hiroshima verlor Tetsuhi Yonezawa all seine Haare, bekam hohes Fieber und litt wochenlang an qualvoller Übelkeit und Erbrechen. Seine Mutter und seine kleine Schwester, die noch ein Baby war, starben an den Folgen der Strahlenkrankheit, aber er überlebte wie durch ein Wunder. Bis Ende des Jahres 1945 starben etwa 140.000 Menschen an den Folgen der Atombombenexplosion. Bis zum Jahre 1950 waren es etwa 200.000 Menschen.

Bis heute, im hohen Alter von 85 Jahren, setzt sich Herr Yonezawa unermüdlich für die Abschaffung aller Atomwaffen weltweit ein – und er lehnt auch die sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie ab.

Als Überlebender betrachtet er es als seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Tragödien von Hiroshima und Nagasaki nie vergessen werden. Seine Worte, sein Zeugnis sind für uns von unschätzbarem Wert.

Als Partnerstadt Hiroshimas und Vizepräsident des 1982 gegründeten, weltweiten Bündnisses der Mayors for Peace ist Hannover in hohem Maße verpflichtet, sich für Abrüstung und Frieden einzusetzen. Die Bürgermeister*innen für den Frieden sind heute gleichsam die größte, kommunale Friedensbewegung. Sie repräsentieren weit mehr als eine Milliarde Menschen aus 7.909 Städten und Gemeinden in 164 Ländern. Sie alle verbindet das Ziel von Global Zero – einer Welt ohne Atomwaffen.

Ich darf Ihnen an dieser Stelle versichern, dass ich mich für dieses Ziel im Rahmen meiner Arbeit für die Mayors for Peace mit aller Kraft einsetzen werde. Das gilt ganz besonders in Zeiten, in denen Nationalismus und Ausgrenzung – aller Lehren aus der Geschichte zum Trotz – weltweit zunehmen und eine friedliche Ordnung in Frage stellen. Denn neben dem Klimawandel gehört die atomare Bedrohung zu den größten Gefahren für die Menschheit.

Zwar gelang es in den 80ziger und 90ziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch beispielhafte Abrüstungsverträge, die mehrfachen Overkill-Kapazitäten von geschätzt 70.000 atomaren Sprengköpfen auf heute 13.400 erheblich zu reduzieren. Dennoch scheint es nicht möglich zu sein, die gefährliche Abschreckungs-Doktrin des Kalten Krieges zu durchbrechen.

Und es sieht auch nicht so aus, als ob dies mit den derzeitigen Verantwortlichen der atomaren Großmächte gelingen könnte. Die Aufkündigung des für Europas Sicherheit so wichtigen INF-Vertrages über Mittelstreckenraketen durch die USA und Russland, die Infragestellung des letzten großen bilateralen nuklearen Abrüstungsabkommens „New START“ und die Ankündigung der USA, bis zum Jahr 2028 rund 500 Milliarden Dollar in Atomwaffen zu investieren, lassen befürchten, dass es zu einer neuen Rüstungsspirale kommt. Dem müssen wir entschlossen und deutlich entgegentreten!

Daher haben sich die Mayors for Peace in diesem Jahr besonders für ein Nachfolgeabkommen für den New-Start-Vertrag und den 2017 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Atomwaffenverbotsvertrag eingesetzt. 50 Staaten müssen den Vertrag ratifizieren, bevor er in Kraft treten kann, 40 haben dies bereits vollzogen. Die Atommächte sind nicht darunter. Auch die Bundesrepublik Deutschland hält sich zurück. Doch die Mehrzahl der Deutschen, rund 92 Prozent, befürworten eine Unterzeichnung des Vertrags durch die deutsche Bundesregierung, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage von Greenpeace. Das ist ein unmissverständliches Signal!

Es ist höchste Zeit, 75 Jahre nach der Katastrophe von Hiroshima und Nagaski und vor dem Hintergrund wachsender Spannungen in der Welt, ein deutliches Zeichen für das Ziel von Global Zero zu setzen. Wir appellieren daher an diesem besonderen Gedenktag an die deutsche Bundesregierung: Setzen Sie sich entschieden für eine Welt ohne Atomwaffen ein und unterstützen Sie den Atomwaffenverbotsvertrag!

Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert dürfen nicht länger durch Atomwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen bedroht werden!

 

Meine Damen und Herren,

Friedensarbeit fängt im Kleinen an: Durch die Städtepartnerschaft tragen Hiroshima und Hannover zu Völkerverständigung und den Abbau von Vorurteilen bei. Dies geschieht zum Beispiel durch Jugendbegegnungen, Kulturaustausch und Bürgerreisen zwischen unseren beiden Städten.

Besonders bedanken möchte ich mich beim Hiroshima Bündnis, der Deutsch Japanischen Gesellschaft Chadokai e.V. und dem Deutsch-Japanischen Freundschaftskreis Hannover-Hiroshima-Yukokai e.V., dem Arbeitskreis Hiroshima unter der Leitung von Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann und der Marktkirche sowie der Kulturbotschafterin der Stadt Hiroshima Hiroyo Nakamoto für das Engagement bei der Gestaltung der Gedenkfeier.

Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei den Jugendlichen des CVJM, die in diesem Jahr wieder Papierkraniche als Zeichen des Friedens gefaltet haben.

Vielen Dank.

 

Belit Onay ist Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover und Vizepräsident der Mayors for Peace.