Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2020 in Stuttgart

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 17 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Hiroshima und Nagsaki mahnen!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

der 6. August 1945 markiert in der Geschichte der Menschheit ein Brandmal. Heute vor 75 Jahren detonierte kurz nach acht Uhr die erste Atombombe über der japanischen Industriestadt Hiroshima. Ein greller Blitz, tausendmal heller als die Sonne, so schildern es Augenzeugen, eine verheerende Druckwelle und eine rasende Feuerwalze. Dann quoll der vernichtende Atompilz in den Himmel, das Fanal der damals neuesten und schrecklichsten Vernichtungswaffe der Menschheit. Im ersten Inferno verglühten 80.000 Menschen. Weitere 100.000 starben später an den Folgen des strahlenden Fallouts und des radioaktiv verseuchten Trinkwassers. Unzählige Überlebende, die noch Jahre und Jahrzehnte später nach elendem Siechtum zugrunde gingen.

„Little boy“, so nannten die Militärs diese höllische Waffe, als wär´s ein harmloser Knallfrosch. „Ich habe nie bereut und mich nie geschämt“, beteuerte Jahre später noch Oberst Tibbets, der Ober-Bomber. „Ich erfüllte meine patriotische Pflicht, als ich den Befehlen folgte“, fügt er noch ergänzend hinzu. Natürlich – das kennen wir ja, was anderes ist im perversen System von Befehl und Gehorsam auch nicht zu erwarten.

Wir gedenken heute dieser unschuldigen Menschen, auch jener, die wenige Tage später im atomaren Feuer von Nagasaki verdampften oder verbrannten. Und eines sollten wir tunlichst nicht vergessen: Diese Bomben waren ursprünglich für uns bestimmt - Heidelberg war in der engeren Auswahl - , hätte Hitler-Deutschland nicht wenige Woche zuvor kapituliert.

Das „apokalyptische Zeitalter“ hat begonnen

Für den bekannten Philosophen und Schriftsteller Günther Anders hat das Datum des 6. August 1945 die Welt ein für allemal verändert. Mit diesem Inferno über Hiroshima, so schreibt er, beginne das „Apokalyptische Zeitalter“. Denn nun liegt es in der Macht der Menschen selber, sich und ihren Planeten zu pulverisieren. Immer noch liegen über 13. 000 oder mehr atomare Sprengköpfe in den Arsenalen der neun Atommächte. Genug, um die Menschheit gleich mehrfach auszulöschen, sicher ist sicher! Zwar wurde die Zahl der Atomraketen in den kurzen Jahren der Entspannung reduziert, nicht aber die Sprengkraft. Denn inzwischen hat man die alten Nuklear-Kübel hoch wirksam aufgemotzt und durch „Mini-Nukes“ ergänzt, kleine, taktische Atomwaffen. Von denen schwärmte einst schon Konrad Adenauer und verharmloste sie als Erweiterung der Artillerie.
Keine Frage: Diese heimtückischen Waffen werden die Hemmschwelle herabsetzen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ein durchgeknallter War-Lord solche Raketen zündet und damit den atomaren Gegenschlag auslöst. Das Schicksal der Menschheit hängt gegenwärtig am seidenen Faden einer Befehlsverweigerung. Und ich bete zu Gott, dass im Ernstfall verantwortliche Militärs verhindern, was ihnen ein politischer Knallkopf befiehlt. Denn derzeit sitzen ja Pathologen an den Drückern, denen alles zuzutrauen ist, und denen der berühmte „Rote Knopf“ auch noch hinterhergetragen wird.

Gott sei`s geklagt – aber der kann am wenigsten dafür - , dass immer mehr Völker mehrheitlich solche apokalyptischen Reiter in den Sattel heben. Sie spielen zynisch auch mit dem atomaren Feuer und treten einen Abrüstungsvertrag nach dem andern in die Tonne: Der INF-Vertrag zur Begrenzung der Atomwaffen in Russland und den USA – Makulatur! Das mühsam ausgehandelte Atomabkommen mit dem Iran – von Trump aufgekündigt. Nun surren dort wieder die Uran-Zentrifugen. Im Frühjahr verschwindet der New-START-Vertrag zur Reduzierung der Atomwaffen auf Nimmerwiedersehen im Orkus. Es scheint, als rasen die Großmächte wie Geisterzüge auf demselben Gleis führerlos aufeinander zu..

100 Sekunden vor zwölf

Wen wundert´s, dass die internationale Experten-Kommission renommierter Atomwissenschaftler ihre so genannte „Weltuntergangsuhr“ im Januar dieses Jahres von 120 auf 100 Sekunden vor Zwölf vorgestellt hat. Wir sind dem Weltuntergang so nah wie nie zuvor, sagen sie. Dabei ist noch lange nicht aller Tage Abend: Bald werden wir uns mit Hilfe Künstlicher Intelligenz mit Atomwaffen aus dem Weltall bedrohen. Dann übernehmen Kriegsroboter und Killerdrohnen weitgehend autonom das Drecksgeschäft. Die liebenswürdige Zunft der Hacker übt auch schon. Abgesehen davon: Immer mehr spaltbares Material befindet sich längst in der Hand internationaler Gangster-Banden.

Damit wird immer klarer: Solange wir dieses atomare Teufelszeug an Bord haben, wächst von Tag zu Tag die Gefahr, dass es gezielt oder gar nur aus Versehen – „Entschuldigung, war nicht so gemeint“ - zur Anwendung kommt und Teile der Menschheit verlöschen. Darum müssen alle Atomwaffen von Erdboden verschwinden, und zwar sofort und für immer! Nicht erst deren Anwendung, schon die Herstellung und der Besitz dieser Waffen ist Sünde und muss weltweit verboten werden!

Atomwaffen raus

Daher fordern wir heute – am Gedenktag für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki:

Die Atomwaffen sind weltweit zu ächten und zu verbieten! Wer sie herstellt und hortet oder gar damit droht, wird von der Völkergemeinschaft sanktioniert und kalt gestellt. Sich gerade jetzt mit dem Tod zu bedrohen – das ist angesichts der Corona-Krise nur noch absurd! Da kämpft die Menschheit sozusagen um ihr Überleben und investiert gleichzeitig in den Tod!

Deutschland muss endlich den Atomwaffen-Verbots-Vertrag unterzeichnen. Als treuer Vasall der USA verweigert die Regierung immer noch die Unterschrift. Dabei hat sich Deutschland im „Atomwaffen-Sperrvertrag“ als Nicht-Nuklear-Staat verpflichtet, „Atomwaffen von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“. Dann sind die amerikanischen die Atombomben in Büchel scheinbar zufällig vom Himmel gefallen oder was? Sie werden im Ernstfall von deutschen Bombern ins Ziel gebracht, das üben die schon die ganze Zeit. Damit dies auch todsicher gelingt, muss nun das schrottreife Geschwader für grade mal schlappe 12 Mrd. Euro erneuert werden. Und dies angesichts einer Pandemie, deren fatale Folgen noch gar nicht abzusehen sind. Atomwaffen müssen raus aus Deutschland – sofort und für immer. Daher rufe ich den Amis zu: Wenn ihr schon abhaut, dann nehmt bitte diesen atomaren Krempel mit! Die deutschen Piloten aber erinnere ich daran, dass die „Genfer Konvention“ jeden Atomwaffeneinsatz verbietet. Sie sollten klar zu erkennen geben: Mit uns läuft das sowieso nicht, also fort mit dem Schrott.

Es ist eine absurde Logik, die da in den Köpfen der Mächtigen herumspukt. Die glauben allen Ernstes: Nur wer selbst mit Vernichtung drohen kann, wird vom Gegner ernst genommen. Sie haben zu viel Western geguckt. Denn dort tritt man sich bekanntlich nur mit einem dickem Colt am Hintern gegenüber, stets den Finger am Abzug. Wie will man mit dem Blick in einen Gewehrlauf Frieden schließen?

Friede wird erst, wenn einer in Vorleistung geht. Das und nicht weniger ist uns, der Bundesrepublik Deutschland abverlangt. Wir stehen in der Pflicht, den ersten Schritt zu tun, denn von diesem Boden aus sind zwei verheerende Weltbrände entfacht worden. Uns ist es ernst mit dem Frieden, das demonstrieren wir heute am Gedenktag für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki.

Zeit für ein Up-date

Wie konnte es nur soweit kommen, dass wir uns jenseits aller Vernunft dermaßen mit Angst und Schrecken bedrohen? Wie kommt es zu so einem Zerfall der politischen Kultur und diesem moralischen Niedergang? Mir scheint: Das Betriebssystem der Menschheit ist von einem Killer-Virus durchseucht. Es ist das „Gesetz des Stärkeren“, die grenzenlose Gier nach Macht. Immer und überall, in Wirtschaft, in Gesellschaft und Politik, ja sogar im alltäglichen Leben geht es nur noch darum, den Gegner aus dem Feld zu schlagen und möglichst niederzumachen. Fäuste statt Argumente! Das Böse ist „systemrelevant“ geworden. Wir haben die falschen Treiber geladen. Sie mutieren zu Kriegs-Treibern! Schad-Software!

Daher wird es Zeit für ein universales Update. Die Bibel gebraucht dafür ein altmodisches Wort: „Bekehrung“. Der „Quell-Code“ lautet: Gerechtigkeit und Liebe. Damit und nur damit lässt sich eine menschenwürdige Zukunft gestalten. Und da fangen wir am besten bei uns selber an. Schaffen wir in unser aller Leben ein Klein-Klima für den Frieden.

Geht anders miteinander um, ist mein erster Rat: Achtsamer, aufmerksamer, liebevoller. Die ersten Wochen der Pandemie haben bewiesen, welche Potentiale da in uns stecken. Eine internationale Welle der Hilfsbereitschaft erreicht die gequälten Menschen im Libanon. Das lässt hoffen. So wünsche ich mir die „neue Normalität“.

Schafft eine neue Streitkultur, wünsche ich mir als Zweites. Wir müssen die Friedens-Störer, die Störenfriede stellen und zur Ordnung rufen. Schon die Verrohung der Sprache lässt erkennen, wie locker der Colt sitzt. Gefolgt von der Verrohung der Sitten. Wir werden mehr und mehr zu einer „Rüpel-Republik“: Gewalt gegen Rettungsdienste und Polizei, die Schamlosigkeit der Gaffer, sexueller Missbrauch, Kinderpornografie in nie gekanntem Ausmaß. Manchmal meine ich, alle Teufel seien los. Sie sind heute breitbandverkabelt und stellen uns ihr schnelles Internet zu Verfügung. Da kann man sich anonym mit Mord und Totschlag bedrohen und sich unerkannt und ungestraft mit Scheiße beschmieren. Das sind Abgründe des Bösen. So ist kein Weltfriede möglich!

Friede ist auch nicht möglich mit Rassisten und Nationalisten. Friedensarbeit bedeutet heute, wer hätte das je geglaubt, in diesem unserm Lande erneut gegen Faschismus und Nationalismus anzutreten. Wo immer die Faschos an die Macht gekommen sind, waren Krieg und Vernichtung die Folge. Sie arbeiten auch dem Welt-Kapitalismus zu. Der reibt sich vergnügt die Hände: Je kleinkarierter und nationalistischer wir uns verzetteln, desto ungehinderter können die Welt-Konzerne ihre Machtübernahme inszenieren!

Und da bin ich bei meinem letzten Friedens-Ratschlag. Lasst uns eintreten für eine neue, friedliche Weltwirtschaftsordnung, in der wir teilen, was wir haben. In der wir uns nicht zu Tode konkurrieren, sondern kooperieren. Der Kapitalismus ist nicht zukunftsfähig. Er ist ein spalterisches System, ein Kriegstreiber. Selbst Rüstung und Krieg betrachtet er noch als lukratives Geschäftsmodell. Wirtschaft, die nur Profite vermehrt und gar nicht das Allgemeinwohl anstrebt, ist Wirtschaft zum Tode.

Man mag mich einen Naivling nennen, aber ich bin überzeugt: Je mehr Raum das friedliche Miteinander einnimmt, desto weniger Platz bleibt für den Krieg. Man muss ihn aushungern, ihm die Luft abschnüren, in dem wir Frieden leben. Wenn wir den Hass austrocknen, geht dem Krieg das Pulver aus. Wir müssen und wir können in tausend kleinen Aktionen dem „Rad in die Speichen fallen“. So mahnte einst der große evangelische Theologe und Bekenner Dietrich Bonhoeffer, den die Nazi-Schergen noch kurz vor ihrem Untergang hingerichtet haben.

Sorgen wir dafür, dass sich die Weckrufe der Wissenschaftler, die Friedensappelle und Friedensgebete der Religionen, die Aktionen der Friedensinitiativen, der Gewerkschaften und so vieler Menschen guten Willens, ja auch die der Klima-Aktivisten zu einem weltweiten, unüberhörbaren Aufschrei verdichten: „Krieg – nicht mit uns!“

Diesen Aufschrei schulden wir den Opfern von Hiroshima und Nagasaki.

 

Paul Schobel ist ehemaliger und langjähriger (1991-2008) Betriebsseelsorger der Diözese Rottenburg-Stuttgart.