Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 5. August 2022 in Berlin

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Atomwaffenverbot jetzt!

 

[Anrede]

Allenthalben ist gegenwärtig zu hören, dass wir in diesem Jahr 2022 eine „Zeitenwende“ durchleben. Das mag ja stimmen – eine Wende zum Besseren ist meines Erachtens allerdings nicht im Gange. Das merkt man unter anderem daran, dass Menschen, die sich selber für „Experten“ halten und als solche dann von Sendung zu Sendung weitergereicht werden, allen Ernstes davon sprechen, dass Atomwaffen – jedenfalls die eigenen – eine „Lebensversicherung“ darstellen.

Ich würde solchen Besserwissern sehr empfehlen, ihre dreiste Behauptung doch dort vorzutragen, wo jene vermeintliche Lebensversicherung zum ersten Mal ausgezahlt worden ist – in Hiroshima nämlich, wo nach dem ersten Atombombenabwurf am 6. August 1945 von den damals 340.00 Einwohnern der Stadt 140.000 sofort oder in den nächsten drei Monaten gestorben sind – von den Überlebenden waren Zigtausende schwer verletzt oder verstümmelt, viele von ihnen sind dann in den Jahren danach einen schlimmen Tod gestorben.

Die Bombe über Hiroshima explodierte am 6. August um 8:16 Uhr Ortszeit - das entspricht in Berliner Zeit dem 5. August um 23:16 - ein Grund, unsere Gedenkveranstaltung heute durchzuführen.

Zurück nach Japan 1945:

In Nagasaki wenige Tage später sah es nach dem Abwurf der zweiten Atombombe nicht minder schrecklich aus. Hiroshima und Nagasaki vor 77 Jahren – und wie weiter? Es ist und bleibt eine simple Wahrheit, deren Verwässerung oder Relativierung wir nicht hinnehmen dürfen: Damit es so etwas wie atomare 1Abschreckung (auch „wechselseitig angedrohte Vernichtung“ genannt) überhaupt geben kann, darf die Wahrscheinlichkeit eines Atombombeneinsatzes nicht gleich Null sein – was aber auch bedeutet, dass es zum Fall einer Bombe irgendwann kommen wird, wenn nur genügend Zeit verstreicht. Das ist schlicht und einfach „Murphys law“: Was schiefgehen kann, geht irgendwann schief – dass in 77 Jahren Bombe drei, vier, fünf etc. nicht gefallen sind, noch nicht gefallen sind, ist eben keine Garantie für die Zukunft, ganz im Gegenteil! Die Menschheit hatte in den Jahren nach Hiroshima und Nagasaki eine Menge unverdientes Glück, die Welt stand oft genug – dazu ist Literatur in Fülle verfügbar – hart am Rande eines Atomkrieges.

Der einzige dauerhaft wirksame Schutz vor dem Einsatz von Atomwaffen ist deren vollständige Abschaffung – die globale Null-Lösung im Sinne des seit Januar 2021 völkerrechtlich wirksamen Atomwaffen-Verbotsvertrages. Leider steht diese überlebenswichtige politische Entwicklung nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit – ganz im Gegenteil. Die in wachsendem Maße kriegsverliebten deutschen Massenmedien haben offenbar anderes zu tun, als von einem Atomwaffenverbot zu berichten...

Dabei hatte schon am 8. Juli 1996 der Internationale Gerichtshof in Den Haag für die UN-Vollversammlung ein Gutachten verfasst, in dem er feststellte, „dass Androhung und Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich gegen diejenigen Regeln des  Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten...“

Am 7. Juli 2017 beschloss die UN-Vollversammlung dann, gegen den massiven Widerstand der Atomwaffenstaaten, mit 122 Ja-Stimmen einen Vertrag über das vollständige Verbot aller Atomwaffen. Im Oktober 2020 hatte mit Honduras der 50ste souveräne Staat diesen Atomwaffenverbotsvertrag ratifiziert – 90 Tage später, am 22. Januar 2021, konnte er somit in Kraft treten:

Seit anderthalb Jahren sind Atomwaffen also völkerrechtlich verboten! 2Der Verbotsvertrag ist mittlerweile (Stand 20. Juni 2022) von 83 souveränen Staaten unterzeichnet und von 65 von ihnen ratifiziert worden.

Und der Krieg in der Ukraine?

Die Aktivistin Beatrice Fihn von ICAN und der russische Journalist Dmitri Muratov, die Friedensnobelpreisträger der Jahre 2017 (ICAN) und 2021 (Muratov) haben dazu in einem gemeinsamen Appell geschrieben:

„Solange es Atomwaffen gibt, besteht auch die Gefahr ihres Einsatzes. Die Welt kann nicht länger den Atem anhalten und sich auf die Vernunft einer Handvoll Staatsoberhäupter verlassen, die die Macht haben, uns alle zu vernichten. Wir müssen diese Massenvernichtungswaffen abschaffen.“ (Fihn & Muratov: Schafft die Atomwaffen ab! Süddeutsche Zeitung, 4. 3. 22)

Dies scheint einleuchtend. Aber was geschieht in Deutschland?

Das Verteidigungsministerium plant den Kauf von Flugzeugen des Typs F-35 als künftige Atombomber der Bundesluftwaffe. Mit ihnen sollen deutsche Piloten die auf dem Fliegerhorst Büchel (Eifel) stationierten US-Atombomben (künftig auch Bomben des neuen Typs B-61-12) ins Ziel fliegen und abwerfen können.

Diese Form militärischer Zusammenarbeit, oft „nukleare Teilhabe“ genannt, ist verfassungswidrig! In Artikel 25 des Grundgesetzes heißt es:

„Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor...“ Wir fordern die deutschen Parlamentarier auf, sich daran zu halten und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland durchzusetzen. Von der Bundesregierung verlangen wir, ohne taktische Manöver und Winkelzüge ein abrüstungspolitisches Zeichen zu setzen und mit der völkerrechtswidrigen „nuklearen Teilhabe“ zu brechen! Lassen Sie uns also, im Gedenken an die Toten von Hiroshima, dafür kämpfen, dass die Atomwaffen möglichst bald von unserer Erde verschwinden. Wie der IPPNW-Gründer Bernard Lown, der vor einem Jahr und kurz vor seinem 100. Geburtstag verstorben ist, zu sagen pflegte:

The arms race – or the human race“....

 

Dr. Till Bastian ist aktiv bei der IPPNW und lebt in Isny/Allgäu.