Redebeitrag für die Hiroshima-Gedenkveranstaltung in Rüsselsheim am 6. August 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Im Dezember letzten Jahres fand in Hamburg der G20 Gipfel statt. Alle Medien berichteten ausgiebig darüber. Gefällte Beschlüsse zur weiteren Aufrüstung wurden nicht etwa mit Empörung zur Kenntnis genommen, sondern als ganz normale multinationale Übereinstimmung kommentiert. Das war keine gute Friedensnachricht.

Zur gleichen Zeit aber wurde in Oslo der Friedensnobelpreis an die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, die ICAN, eine Koalition aus 468 Nichtregierungsorganisationen, verliehen. Die ICAN hat es erreicht, dass die Vereinigten Nationen, die UN im vergangenen Jahr einen Atomwaffen-verbotsvertrag verabschiedet haben. Tatsächlich geht es nicht nur um Abrüstung, sondern wirklich um ein Verbot von Atomwaffen.

122 Länder haben diesen Vertrag unterzeichnet. Sie sind von der Vorstellung beflügelt und von der Notwendigkeit überzeugt, in absehbarer Zeit eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen.

Ist das für Deutschland nicht erstrebenswert? Warum gehört Deutschland noch nicht zu den Befürwortenden dieses Beschlusses?

Wir stehen hier am Gedenkstein mit der Aufschrift „Dem Krieg in den Weg gestellt“. Ist die Verweigerung von Deutschland nicht wie eine Umkehrung der Worte, nämlich den Frieden blockierend?  Willi Göttert, der Initiator der Rüsselsheimer Friedensinitiative, hatte zu Lebzeiten immer darauf aufmerksam gemacht, dass alles zu tun ist, was Krieg verhindert.

Sollte der Stein nur Alibifunktion haben, dem keine Handlungen folgen?

Die Welt erlebt zurzeit viele schreckliche Kriege. Verhalten wir uns gar wie das Kaninchen vor der Schlange, das keine eigenen Chancen für Friedensarbeit sieht?

Abwesenheit von Krieg ist nicht gleichzusetzen mit Frieden. Und Aufrüstung ist Vorbereitung für Krieg.

1938 schrieb die bekannte englische Schriftstellerin Virginia Woolf das bemerkenswerte Werk „Drei Guineen“. In diesem Buch spürt sie dem Gedanken nach, wie kann Krieg verhindert werden, wohl gemerkt nur wenige Monate vor dem Beginn des zweiten Weltkriegs. Die Erzählung ist in ihrer Analyse für die heutige Zeit genauso bedeutsam, wie zu der damaligen Zeit. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Bildung, die heute sicher einer breiteren Bevölkerung zuteil wird als damals. Doch welche Ziele verfolgt Bildung und von wem wird sie wozu vermittelt? Welche Haltung, welches Bewusstsein wohnt dem Bildungssystem inne.

Menschen, die Waffen in immer größerem Umfang herstellen und diejenigen in der Politik, die das begünstigen, sind sicher keine dummen ungebildeten Personen. Viele verfügen über Intelligenz und Bildung. Sie fühlen sich aber offensichtlich nicht dem gesellschaftlichen Konsens nach Frieden verpflichtet, sondern allein dem Gesetz des Marktes.

Also ist es von großer Wichtigkeit, dass der Begriff Frieden mit anderen Begriffen, wie verantwortungsvolles Bewusstsein ausgefüllt werden muss. Und es ist nicht so, dass eine Stadt wie Rüsselsheim ohnmächtig ist und die Handlungsebene an Land und Bund geben muss. Entscheidend ist das Ziel.

Heute kommen unsere Kinder wieder in die Schule, dazu fast 700 Jungs und Mädchen, die zum ersten Mal die Hallen der Wissensvermittlung betreten. Sie alle haben es verdient, dass sie aufgrund lokaler Beispiele und Vorbilder erfahren und lernen dürfen, was Frieden schaffen bedeutet.

Friedensbildung ist eine ganz bewusste Erziehung zum Frieden. Konfliktlösendes Verhalten kann erlernt werden. Dabei ist es von Bedeutung, dass alle Muster und Strukturen von Gewalt frühzeitig wahrgenommen und in gewaltfreie Lösungen umgewandelt werden. In einer Stadt mit so vielen unterschiedlichen Kulturen ist es das wichtigste Lernziel überhaupt. Das gilt im Übrigen auch für die Politik.

Der Friedensplatz könnte ein Ort sein, an dem wir uns als Stadtgemeinschaft sichtbar damit beschäftigen. Z.B. Mayor for Peace. Das ist eine Bewegung die 1982 von Hiroshimas Bürgermeister begründet wurde, jener Stadt, an deren Vernichtung durch die 1. Atombombe wir heute erinnern. Sein  Bekenntnis und Appell besagt, als Bürgermeister ist es die Aufgabe, Friedensschutz für die Stadt zu ermöglichen und gegen Atomwaffen einzutreten. 7500 Städte aus 163 Länder gehören dem Netzwerk bisher an und 550 Städte in Deutschland. Allein in Hessen sind es 42 Städte.

Es könnte also ein 1. Schritt sein, das Bewusstsein in unserer Bevölkerung auf Friedensarbeit zu lenken, wenn unser OB dem Bündnis für die Stadt Rüsselsheim beitreten würde. Inhaltlich steht das Bündnis also für Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen.

Im letzten Jahr regte ich hier an, den 6. August auch immer als den Tag anzusehen, an dem wir als Kommune uns über unsere Fortschritte informieren, uns erzählen, was sich in Sachen Frieden bewegt hat, im gewaltfreien Lösen von Problemen. Vielleicht führt es dazu, dass wir hier an diesem, dem Krieg in den Weg gestellten Stein erfahren können, dass eine Mahnwache einerseits das Erinnern wach hält und gleichzeitig den Weg in die Zukunft begleitet. Wir sind alle gefragt. Und wer dazu bereit ist, mit Ideen und Unterstützung mitzumachen, kann das in jeder Gruppe oder auch allein oder sich beim Friedenstreff melden, denn der Weg zu einer Friedensschutzstadt hat erst begonnen.

Friedvolles Zusammenleben von Mensch, Tier und Natur, jeglicher Verzicht auf Gewalt, Stärkung der Zivilgesellschaft durch gemeinsame Lernprozesse, das macht uns Menschen auch in Zukunft handlungsfähig.

 

Christel Göttert ist Verlegerin eines Frauenbuchverlag in Rüsselsheim.