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Wirtschaftskompetenz für die UNO!
vonWenn von der Reform der UNO die Rede ist, geht es üblicherweise um die Veränderung des Sicherheitsrats, den Abbau der UN-Bürokratie, den Stop der Verschwendung von Finanzmitteln oder darum, daß überhaupt der ganze Laden demokratisiert werden muß.
Das Kernproblem ist jedoch nicht die Reform der UNO, sondern die Reform des Verhältnisses der UN-Mitglieder zu ihrer Organisation. Das gilt speziell für die westlichen Industrienationen als Weltführungsmächte. Daß hier der Hase im Pfeffer liegt, zeigt 1. ein Blick auf den UN-Haushalt (nur 2 Mrd. DM pro Jahr) und 2. einer auf die Zahlungsmoral der Mitglieder. UN-Generalsekretär Butros Ghali in seinem Tätigkeitsbericht 1994 über "das Engagement der Mitgliedstaaten, was ihre Mitwirkung an der Arbeit der Vereinten Nationen angeht":
"Dieses Engagement ist heute keineswegs zufriedenstellend, wie aus dem Umstand hervorgeht, daß in diesem Jahr nur 17 von 184 Mitgliedstaaten ihre veranlagten finanziellen Beiträge an die Organisation rechtzeitig entrichtet haben... Die Erfahrung zeigt, daß eine volle und verantwortungsbewusste Mitwirkung an der Arbeit der Vereinten Nationen für die meisten Mitgliedstaaten nicht zu den obersten Prioritäten zählt." (1)
Bedenkt man ihre große Aufgabenfülle, muß sich die UNO mit einem bescheidenen Taschengeld begnügen. Denn gemäß der UN-Charta soll sie ein Mittelpunkt sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Sicherung des Weltfriedens und zur Lösung von Problemen wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer, koordiniert werden.
Das ist die UNO leider nie geworden. Von Anfang an arbeiteten entscheidende UN-Gründungsmitglieder darauf hin, Wirtschaftsfragen aus der UNO herauszuhalten: Bereits 1 Jahr vor Gründung der UNO wurden in Bretton Woods die wichtigsten Weltwirtschaftsorganisationen der Nachkriegszeit (Internationaler Währungsfonds und Weltbank) gebildet (2). Der durchaus existente Wirtschafts- und Sozialrat der UNO (ECOSOC) ist entsprechend bis heute unverbindliches Diskussionsforum geblieben. Als sich 1973 seine Zusammensetzung zugunsten der "3.Welt"-Länder veränderte, wurde auf Initiative von Deutschland und Frankreich als neues Koordinationsforum für weltwirtschaftliche Belange der Weltwirtschaftsgipfel eingerichtet (G5, heute G7).
Daß die UNO aus internationalen Wirtschaftsfragen weiterhin herausgehalten werden soll, zeigen beispielhaft Überlegungen wie diese:
"Nach der Beendigung des Kalten Krieges aber gilt es, eine globale ökonomische und politische Archiktur aufzubauen. Dafür scheint - jedenfalls aus der Perspektive Deutschlands - die Siebenergruppe besser geeignet als die Vereinten Nationen." Dazu soll die G-7 um Russland und China zur G-9 erweitert werden, aber "die zentralen Währungs- und Finanzprobleme" sollten "weiterhin in der Siebenergruppe entschieden werden, die fern von der Weltbühne agiert und sich aus Mitgliedern zusammensetzt, die tatsächlich heute schon das Sagen haben, nämlich den Zentralbankpräsidenten, den Finanzministern, den Vertretern der OECD und des IWF."(3)
Ziel wäre demgegenüber, die UNO zum tatsächlichen Mittelpunkt wirtschaftlicher Koordination zu machen und den Einfluss der Gegengründung G7 zurückzudrängen. Die UN-Mitglieder müssten dazu die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, damit der ECOSOC wirtschaftspolitisch steuern könnte und nicht für jede Initiative monatelang betteln gehen müsste.
Es geht jedoch keineswegs nur um "klassische" Wirtschaftspolitik. Die Ökonomie spielt auch bei internationalen Konflikten, (Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats), die entscheidende Rolle. Im Atomzeitalter hat der militärische Faktor an Gewicht verloren, weil er vielfach nicht mehr einsetzbar ist. Ökonomie ist zum wichtigsten sicherpolitischen Steuerungsmittel aufgestiegen. Leider verhindert das traditionell militärisch geprägte Denken diese Erkenntnis bei den meisten politischen Akteuren.
Aufgabe der nächsten Jahre ist der systematische Aufbau ökonomischer Steuerungsinstrumente bei Konflikten. Eines davon ist der internationale Sanktionshilfefonds zur Effektierung von Wirtschaftsembargos:
Grundlegende Erkenntnis für diesen Vorschlag ist, daß regelmäßig handfeste ökonomische Ursachen ein wirkungsvolles Embargo verhindern, die Frage der Überwachung also sekundär ist. Denn ein Wirtschaftsembargo zerschneidet immer Handelsbeziehungen und eingespielte Wirtschaftswege. Schaden nimmt nicht nur der boykottierte Staat, sondern auch die boykottierenden Staaten Bei kleineren, wirtschaftlich schwächeren Staaten bedeutet die Einhaltung eines Embargos deswegen oft Harakiri.
Daher muß ein System wirtschaftlicher Anreize zur Einhaltung der Sanktionen geschaffen werden. Hält ein boykottierender Staat das Embargo wirklich ein und überwacht es ernsthaft, kann er mit Entschädigung durch die internationale Staatengemeinschaft rechnen. Unterläuft er es, muß er mit Strafen rechnen, im schlimmsten Fall mit der Ausweitung des Embargos auf sich selbst.
Im Einzelnen: Es wird eine UN-Sanktionsbehörde geschaffen, der die Überprüfung von Embargos obliegt. Sie genehmigt von Lebensmittel-, Medikamenten- und anderen Lieferungen an das boykottierte Land, bearbeitet Anträge einzelner Staaten zur Begleichung bzw. Abmilderung wirtschaftlicher Schäden, die aus der Einhaltung des Embargos resultieren, und gibt Hilfestellung bei Infrastrukturprojekten zur Umleitung von Güterströmen. Die Auszahlung von Geld kann nur erfolgen, wenn eine (unbewaffnete) UN-Überwachungskommission aus Fachleuten (z.B. Zöllner, Polizisten) aufgrund der Beobachtung vorort bestätigt, daß der antragstellende Staat das Embargo tatsächlich überwacht. Die lokalen Polizei- und Zollkräfte überwachen das Embargo und wenden ggfs. Zwangsmittel gegen Embargobrecher an. Sind sie unzureichend für diese Aufgabe ausgerüstet, erhalten sie internationale Hilfe (Ausrüstungsgüter, Personalschulung). Zur Finanzierung werden alle UN-Mitglieder je nach Wirtschaftskraft herangezogen. Eine weitere Finanzierungsquelle ist die Beschlagnahmung von Auslandsguthaben des boykottierten Staates. (4) Der Sanktionshilfefonds müsste Größenordnungen von vielen Milliarden $ erreichen - nicht-militärische Konfliktlösung gibt es eben nicht zum Nulltarif! Auch bei der Überwachung von Waffenstillständen können ökonomische Steuerungsmechanismen eingesetzt werden, wodurch sich auch hier die Überwachungsfrage entspannt (unbewaffnete Blaumützen genügen). So war es in den vergangenen Monaten für den Waffenstillstand in Bosnien wesentlich, daß es auf allen Seiten ein ökonomisches Interesse am Friedensprozess gab. Die in Aussicht gestellten Wiederaufbauhilfen (in Größenordnungen, die das Bruttosozialprodukt Bosnien jährlich verdoppeln!) sind es gewesen, die ein Wiederaufflammen des Krieges verhindert haben. Daß die gezielte Erpressung mit Entzug / Aussetzen dieser Hilfe kaum angewendet wurde, ist auf das militärische Brett vorm Kopf bei den politischen Akteuren zurückzuführen. Die erwähnten ökonomischen Mechanismen könnten ohne komplizierte Satzungsänderungen der UNO in Gang gesetzt werden. Wie kann aber die Akzeptanz der UN-Mitglieder erreicht werden? Durch eine weltweite Spendenkampagne ("Peace-Endowment-Fonds"), die vor allem in den nördlichen Industriestaaten die UNO stärker in den Gesellschaften verankerte. Wenn es gelänge, den Menschen die Bedeutung und die Chancen der UNO nahezubringen, wäre es möglich, Milliarden an Spenden zu akquirieren. In einem solchen gesellschaftlichen Klima könnten auch die Regierungen die Überweisungen ihrer Mitgliedsbeiträge an die UNO nicht so schleifen lassen wie bisher. Neue Aufgaben und Instrumente der UNO würden finanzierbar. Es geht darum, gesellschaftliches Bewußtsein zu verändern und gleichzeitig den privaten Reichtum für UNO, UN-Wirtschaftskompetenz und Friedenssicherung zu nutzen. Ein alter Gedanke eigentlich: Das UN-Hauptquartier in New York wurde nicht von der US-Regierung, sondern von der privaten Rockefeller-Stiftung bezahlt.
(1) aus: Tätigkeitsbericht von UN-Generalsekretär Butros Ghali, 2.9.94; Ziffer 793; zitiert nach Europa-Archiv 25.12.94, S. D 750
(2) Daß IWF und Weltbank formal UN-Sonderorganisationen sind, ändert nichts an der Sache.
(3) Walter L. Bühl: Gesellschaftliche Grundlagen der deutschen Außenpolitik in Karl Kaiser / Hanns W. Maull "Deutschlands neue Außenpolitik" München 1994 S. 197 f.
(4) vergl. U. Cremer: Sanktionshilfe - Ein Konzept für wirksamere nicht-militärische Einmischung in Blätter für deutsche und internationale Politik 2/94 S. 142ff