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Friedenskonferenz in Ohrid
vonVom 5. - 8. 11. 1992 fand in Ohrid (Republik Mazedonien) die Balkan-Friedenskonferenz der BürgerInnen und Gemeinden statt, eine Doppelkonferenz der Helsinki Citizens Assembly (HCA) mit Unterstützung der EG (CPC) und einem Zusammenschluss europäischer Städte und Gemeindeorganisationen der Standing Conference of Local and Regional Authorities of Europe (CLRAE) mit Unterstützung des Europarates (MPC).
Hauptziele dieser Konferenz waren:
1. Einen permanenten Dialog zwischen den BürgerInnen und den lokalen Behörden der Balkanregion zu ermutigen, um den Krieg zu stoppen und neue gewaltsame Konflikte zu verhindern.
2. Die BürgerInnen und Gemeinden von ganz Europa zu befähigen, umfassende gemeinsame Projekte und Programme im Balkan zu beginnen, um den Krieg zu beenden, Frieden aufzubauen und wahre Demokratie im Balkan einzuführen.
Was kann eine Konferenz inmitten eines wunderschönen Urlaubsgebietes in Mazedonien für den Frieden in Bosnien-Herzegowina bewirken? Das war nicht nur meine Frage im Vorfeld, Und es war in der Tat zunächst einmal ein krasser Gegensatz, in dieser (noch) friedlichen Welt am Ohridsee (relativ) weit weg von allen Kriegshandlungen über die tiefgreifenden Probleme und Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien zu diskutieren.
Hätte man nicht näher am Konflikt selbst - vor einem Jahr war noch Sarajewo vorgesehen - oder wenigstens in der mazedonischen Hauptstadt Skopje zusammenkommen sollen? Von hinterher gesehen, denke ich, war der Konferenzort richtig gewählt. In den beiden ausschließlich für die Konferenz belegten Hotels konnten die über 400 TeilnehmerInnen aus den meisten europäischen Staaten von Spanien bis Nagorni-Karabach, von Norwegen bis zur Türkei und dazu noch aus den USA und Indien in einer Atmosphäre der Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens miteinander reden.
Mient Jan Faber, Vorstandsmitglied der HCA aus den Niederlanden, hob auch gleich zu Beginn das Besondere dieser Konferenz hervor, daß hier nämlich nicht Politiker, sondern betroffene BürgerInnen aus Menschenrechts- und Friedensgruppen sowie aus Städten und Gemeindeorganisationen in Europa ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen und umsetzen.
Im Mittelpunkt standen natürlich die Bürgerrechte der Menschen im ehemaligen Jugoslawien. Alle Regionen dort waren vertreten: Slowenien, Kroatien, Serbien, Vojvodina, Montenegro, Kosovo, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina; und einen Nachmittag lang hatten die TeilnehmerInnen von dort die Gelegenheit ihre jeweilige Situation der Konferenz vorzustellen und sie miteinander zu diskutieren. Dies scheint gegenwärtig vielleicht nirgendwo sonst so gut möglich zu sein im ehemaligen Jugoslawien wie in Mazedonien, denn gerade dorthin sind die Brücken von allen Seiten noch intakt. (Nur EG-Griechenland tut sich mit einer offiziellen Anerkennung bekanntermaßen schwer.) Daß auf diese Weise ein innerjugoslawischer Dialog hergestellt wurde, war sicher ein ganz wichtiger Aspekt der Konferenz. Immer wieder wurde deutlich, wie entscheidend schon ein ungefärbter Informationsaustausch ist. Die nationalistische Propaganda in den einzelnen Nachfolgestaaten hatte ja einen großen Anteil der Schuld am Ausbruch des Krieges und hat ihn bis heute am Andauern der Gewalttätigkeiten. So wurde in einem Workshop auch das Projekt unabhängiger Medien, besonders von grenzüberschreitenden Radio- und Fernsehsendungen diskutiert. Media Watch, ein anderes Projekt, soll die Berichterstattung in den Medien im früheren Jugoslawien beobachten und später auf all KSZE-Staaten ausgedehnt werden.
Überhaupt wurde deutlich, daß die Projekte, die heute im Blick auf das ehemalige Jugoslawien diskutiert werden, morgen schon (oder heute!) in andern Teilen Europas genauso aktuell sein können. Ob in Georgien, Armenien - Asserbeidschan, der Slowakei und der Türkei (um nur einige zu nennen) und nicht auch in Deutschland? Überall stehen die Bürgerrechte von Minderheiten in Frage. Und überall muß gegen das Aufbrechen der Nationalismen an die Errungenschaften der Französischen Revolution erinnert werden: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit!).
Für viele osteuropäischen TeilnehmerInnen war es wichtig, den Horizont auch auf ihre Länder zu erweitern. Sie brauchen Unterstützung bei der Herausstellung des Bürgerprinzips bei sich, um so ähnliche Entwicklungen wie im ehemaligen Jugoslawien zu verhindern.
In einem ökumenischen Workshop wurde die Rolle der Kirchen und Religionen bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen diskutiert. Dabei machte Marko Orsolic, Direktor des Zentrums für interreligiösen Dialog in Sarajewo, in dem Christen verschiedener Konfessionen, Muslime und Juden zusammenarbeiten, klar, daß es sich in Bosnien-Herzegowina nicht um einen Glaubens- oder Religionskrieg handelt. Bosnien war nie ein religiöser Staat. Dagegen könnten die Religionen mit ihrer Zusammenarbeit der Vereinnahmung durch nationalistische Führer entgegenwirken.
Im Schlussdokument der Konferenz werden an konkreten Forderungen erhoben:
1. auf westliche Regierungen Druck auszuüben, daß sie mehr Flüchtlinge als bisher aufnehmen.
2. Sarajewo und - wenn möglich - andere Städte wie Tuzla sofort zu international geschützten Zonen zu machen, die zu demilitarisieren sind und noch vor einer endgültigen politischen Lösung wenigstens das Überleben der Menschen ermöglichen.
3. Aktivitäten zu unternehmen, um die Ausweitung des Krieges in andere Regionen des ehemaligen Jugoslawien zu verhindern und dazu so viele internationale Beobachter wie nötig zu schicken, um Frieden zu bewahren sowie die Menschen- und Minderheitenrechte durchzusetzen.
4. Programme für unabhängige Medien zu unterstützen oder - wenn nötig - zu initiieren und eine internationale Medienbeobachtung einzusetzen.
Dialog zwischen Volksgruppen und Religionen, Vernetzung von Menschenrechts- und Friedensgruppen über ganz Europa, Partnerschaften zwischen Gemeinden in Ost und West, Nord und Süd und vor allem die Herausstellung des Bürgerprinzips gegen das nationalstaatliche Denken sind die Friedenswege, die die Ohridkonferenz vorschlägt. Sie sind eine Alternative zu Gewalt und Krieg auf dem Balkan wie auch in anderen Teilen Europas. Ihr Erfolg ist kurzfristig nicht gesichert, aber beharrlich weiterverfolgt bieten sie vielleicht doch eine lebenswerte Perspektive für die Zukunft.
Reinhardt Seibert, Goldbergstr. 33, 7032 Sindelfingen, Tel. 07031/871546
Den Winter überleben helfen!
Europaweite Postkartenaktion der HCA: Für das Überleben der Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien im angebrochenen Winter initiiert die "Helsinki Citizens Assembly (HCA) eine europaweite Postkartenaktion. Mit den an die Internationale Jugoslawienkonferenz (Cyrus Vance für die UN und Lord David Owen für die EG) und die jeweilige eigene Regierung gerichteten Appellen soll Druck für effektive Winterhilfe und Öffnung der Grenzen gemacht werden. Die Aktion beginnt am 5. Dezember. Die Postkarten-Sets für Deutschland sind u.a. beim Netzwerk Friedenskooperative erhältlich (DM 0,50 pro Set).
Der Text hat folgenden Wortlaut: Sehr geehrter Mr. Vance, sehr geehrter Lord Owen,
Millionen Flüchtlinge im früheren Jugoslawien wissen nicht, wie sie diesen Winter überleben sollen. Die internationale Gemeinschaft muß alles in ihrer Macht stehende tun, ihre Leben zu retten. Zwei Maßnahmen müssen unverzüglich geschehen:
1. Alle Staaten und besonders die reichen Länder müssen ihre Grenzen öffnen und mehr Flüchtlingen Zuflucht geben;
2. Sichere Häfen müssen in Bosnien-Herzegowina eingerichtet werden, speziell in Sarajewo, wo Flüchtlinge Nahrung und Unterkunft finden.
Ich fordere Sie dringend auf, diese Maßnahmen zu befürworten und die nötigen finanziellen Mittel dafür sicherzustellen.