Seit Anfang 2020 stehen die Zeiger der Atomkriegsuhr, auch Weltuntergangsuhr genannt, auf 100 Sekunden vor Zwölf. So nah wie seit ihrer Einführung im Jahr 1947 niemals zuvor. Die Modernisierung der Atomwaffenarsenale statt ernstgemeinter
Abrüstung, der existenzbedrohende Klimawandel und eine Aushöhlung der Demokratie durch gezielte Desinformationskampagnen in den sozialen Medien sind Ursachen für das bedrohliche Vorrücken der Zeiger, begründen die für die Uhr zuständigen Atomwissenschaftler*innen der Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists.“

Seit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, den bisher einzigen in einem Krieg, sind mittlerweile 75 Jahre vergangen. Am 6. August 1945 um 8.15 Uhr wurde die Massenvernichtungswaffe aus dem US-Bomber Enola Gay über Hiroshima abgeworfen und explodierte um 8.16 Uhr und zwei Sekunden. In Hiroshima starben rund 100.000 Menschen sofort – 90 Prozent der Menschen in einem Radius von 500 Metern und ca. 59 Prozent im weiteren Umkreis von bis zu einem Kilometer.

Der gleißende Blitz der Explosion und die unglaubliche Hitze brannte Schattenrisse von Personen in stehengebliebene Hauswände ein, bevor die Menschen von der Druckwelle der Bombe fortgerissen wurden. Die bei der Explosion freigesetzte nukleare Strahlung tötete in den Wochen darauf zahlreiche weitere Einwohner*innen. Bis heute sterben damalige Einwohner*innen Hiroshimas und Nagasakis an Krebs als Langzeitfolge der Strahlungen. Die Mahnung der Hibakusha, der Überlebenden der Atombombenabwürfe, werden wir nicht vergessen: „Niemand sollte jemals so leiden wie wir.“

Im 50. Jahr des Atomwaffensperrvertrages ist die atomare Bedrohung wieder immens gewachsen. Die großen Atommächte USA, Russland und China modernisieren ihre Arsenale und machen sie damit einsatzfähiger. Der Ausstieg der USA aus dem Verbotsvertrag für landgestützte nukleare Mittelstreckenraketen mit Russland (INF-Vertrag) und aus dem internationalen Abkommen zum iranischen Atomprogramm von 2015 schüren die Befürchtung, dass es zu einer neuen atomaren Aufrüstungsspirale kommt. Die sogenannte Stockholm-Initiative von 2019 ist ein erster Schritt, um Wege aus dem Stillstand der nuklearen Abrüstung zu finden. Klar ist aber auch: Es braucht mehr als mahnende Appelle, wir brauchen endlich wieder sichtbare Fortschritte in der nuklearen Abrüstung!

Hannover und Hiroshima verbindet eine 37-jährige Städtepartnerschaft und die gemeinsamen Aktivitäten im weltweiten Netzwerk der Mayors for Peace. Mehr als 7.900 Städte setzen sich unter der Leitung von Hiroshima für eine Welt ohne Atomwaffen ein. Hannover als Lead City dieses Bündnisses wird seine besondere Friedensverantwortung auch zukünftig mit aller Kraft in diesem Städtenetzwerk wahrnehmen. Mit zahlreichen Veranstaltungen unter dem Motto „Frieden 2020+: Verantworten – Bewahren – Machen!“ werden wir in 2020 und 2021 aktuelle Fragen der Abrüstungspolitik und der Friedensarbeit thematisieren.

Zum Zeichen der Verbundenheit mit unserer Partnerstadt Hiroshima schlagen wir in Hannover am 6. August um 8.15 Uhr die Friedensglocke in der Aegidienkirche an. Dieser Tag ist nicht nur ein Symbol der Trauer und der Erinnerung an die Opfer, sondern auch eine sichtbare Geste der Mahnung und der Hoffnung. Mit dem Aussetzen von Papierlaternen auf dem Maschteich im Park der Partnerstädte beenden wir den Jahrestag zur Erinnerung des Atombombenabwurfes.

Mein Dank gilt den Organisationen und Initiativen, die sich in der Kontaktpflege mit Japan und Hiroshima und in der Friedensarbeit engagieren. Ihr Engagement stärkt die Verbundenheit zwischen Hiroshima und Hannover und gibt unserem gemeinsamen Wunsch nach Frieden und einer Welt ohne Atomwaffen Ausdruck.

Ich wünsche den Veranstaltungen zum Hiroshima-Tag 2020 gerade auch in der Zeit der Corona-Pandemie hohe Aufmerksamkeit und hoffe, dass sie einen Beitrag leisten für eine friedliche Welt.

Belit Onay (OB der Landeshauptstadt Hannover)