Redebeitrag von Ludwig Stauner für den Ostermarsch Aschaffenburg am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Persönliche Solidarität und Kritik der Verhältnisse

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind unterwegs und jeder Tag fordert uns persönlich. Für einen Menschen ist es leicht, für den anderen schwer, den Tag gut zu bewältigen.

Angesichts mancher persönlicher Belastungen werden uns täglich in Windeseile erschreckende Menschenverletzungen vor Augen gestellt und gleichsam unserer Seele eingebrannt.

Dabei finden kleine Gewaltaktionen und große politische Strategien gleichzeitig statt. Wir könnten von beiden eine Liste aufmachen. Jeder Mensch könnte das tun. Dafür brauchen wir keine Soziologen als Wissenschaftler.

Ich meine: Die Verwerfungen in den kleinen wie in den globalen Bezügen sind gewaltig und sie häufen sich. Alle Ebenen des gesellschaftlichen Miteinanders sollten untersucht werden.

Dazu stellen sich Fragen an uns: Wie erlebe ich Gewalttat und Menschenverachtung aus der Nähe, wie aus der Ferne? Das macht große Unterschiede, was ein Beispiel zeigen kann:

Es gibt Menschen, die schärfen unseren Sinn für Menschenwürde und Gerechtigkeit durch riskante Reisen an Tatorte von Gewalt und Tod; und sie berichten darüber.

Ein solch beherzter Mensch ist für mich Andreas Knapp aus Leipzig, der mit einem irakischen Nachbarn und christlichen Freund kurzfristig zur Beerdigungsfeier seines Vaters in eine Stadt im Norden des Irak, in das Kurdengebiet, geflogen ist.

Andreas blieb einige Wochen und erforschte über Interviews die soziale Lage und die historische Entwicklung. Die Berichte von seinen Besuchen, in einem Buch veröffentlicht, gehen unter die Haut und regen zu einem Engagement für ein gutes Miteinander in Deutschland an. Ein anderer Bekannter, ein Italiener, ist zur Zeit im Irak; er will dort an einem Friedensmarsch teilnehmen, der von dortigen Gruppierungen der Jesiden, Christen und Muslime gemeinsam stattfinden soll.

Doch trotz dieser Zeugnisse von einzelnen mutigen Menschen bleiben die vielfach unbeantworteten Fragen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung im Irak und in Syrien:

  • Was hätte sich anders entwickelt, gäbe es nicht das schwarze Gold, das Erdöl im Nahen Osten?
  • Was hätte sich anders entwickelt, ohne die Begehrlichkeiten unserer Länder des Westens?
  • Was hätte sich anders entwickelt, wenn nicht in einigen Ländern ein religiöses Bekenntnis mit totalitärer politischer Herrschaft verbunden worden wäre?

Unsere Erkenntnisse aus den Entwicklungen erfordern Antworten für ein Umdenken, für verantwortliches Handeln und zu einem Verzicht auf allen Ebenen in unseren vermögenden Ländern. Wer ist bereit zu verzichten? Wer setzt Verzicht politisch um? Wie sonst soll es einen Ausgleich geben? - Eine höhere Besteuerung der Reichen wäre wenigstens ein Hebel zu etwas mehr Gerechtigkeit.

Deswegen gehen wir auf die Straßen und müssen wir immer wieder protestieren, auch gegen Strategien der wirtschaftlichen Interessen von Landraub und Landkauf.

Deswegen verweise ich auf die Abhängigkeiten von Herren und Knechten, die mit zweifelhaften Freihandelsabkommen untermauert werden sollen.

Deswegen verwerfe ich eine Religion, die für politische Herrschaft und Unterdrückung missbraucht wird.

Eine ungerechte Weltwirtschaft, eine Politik der Vorherrschaft, eine Religion der Unterdrückung, welcher Couleur auch immer, muss entschieden abgelehnt werden.

Wer fragt denn schon nach den konkreten Arbeitsverhältnissen in den so genannten Krisenländern?!

Wer fragt denn schon, wie hier und dort ein regionales Produzieren und Wirtschaften gefördert werden kann?!

Wer fragt denn schon, wo Minderheiten ihre religiösen Traditionen und Bräuche frei pflegen können und wo nicht?!

Viele unter uns, die gesättigt sind, sind blind und laufen oberflächlichen Meinungen hinterher.

Ich meine, es reicht nicht aus, sich kurzfristig auf die Seite einer Großmacht zu schlagen.

Ich meine auch, dass es niemals gerechtfertigt sein kann, Verständnis für ein Töten als Racheakt oder Verständnis für eine präventive Militäraktion mit vielen Toten zu haben.

Erheben wir unsere Stimme gegen alle, die mit Diktatoren klüngeln, gehen wir doch neue Schritte für ein solidarisches Miteinander! Wir sind hier doch frei neue Bekanntschaften zu knüpfen!

Befreunden wir uns doch mit Menschen und Gruppierungen, die Werte des Miteinanders hoch halten. - Menschen, die neu zu uns gekommen sind und leben wollen, sie warten darauf. Danke.

 

Ludwig Stauner ist Diakon und in in der Betriebsseelsorge tätig.